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Ernährung: Die Kehrseite der Sojalebensmittel

Sojaprodukte sind für Gesunde eine gute Alternative, um tierische Produkte zu meiden. Nach der Diagnose "Brustkrebs" könnten sie hingegen riskant sein.
Sojabohne

Immer mehr Deutsche ernähren sich vegetarisch oder sogar vegan. Da diese Ernährungsformen auf eiweißreiche, tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier oder Milch verzichten, gelten Sojaprodukte als ideale Alternative. Eiweißgehalt und -menge sind überragend, dazu kommt, dass sekundäre Pflanzenstoffe in Tofu, Sojamilch oder Tempeh womöglich für die niedrigen Raten an bestimmten Krebsarten, Herzkrankheiten, Osteoporose und Wechseljahresbeschwerden in asiatischen Ländern verantwortlich sind. Vor allem in China, Japan und Korea stehen täglich Sojalebensmittel auf dem Speiseplan.

Soja gilt mittlerweile auch in Industrieländern als "Superfood", als vermeintlicher Gesundbrunnen. Anbieter von solchen Lebensmitteln verzeichneten darum in den letzten Jahren ein erhebliches Umsatzwachstum. So verkaufte der europäische Marktführer Alpro (Provamel) im Jahr 2013 insgesamt zwölf Prozent mehr als im Vorjahr, beim Freiburger Tofuhersteller Taifun waren es sogar 20 Prozent. Laut dem Statistikunternehmen "Statista" konsumieren heute 700 000 Deutsche mehrmals pro Woche Sojamilchprodukte, während es 2010 nur 530 000 waren.

Produktpalette der Sojalebensmittel | Die Inhaltsstoffe der zahlreichen Sojaerzeugnisse variieren zum Teil sehr stark, weshalb sich allgemein gültige Aussagen nur sehr schwer treffen lassen.

Doch sind Sojalebensmittel so gesund, wie das Image nahelegt? Pauschal lässt sich das nicht bejahen. Richtig ist, dass viele Zellkultur- und Tierstudien den Soja-Isoflavonen Genistein und Daidzein einen wachstumshemmenden Effekt auf Tumorzellen bescheinigt haben. Ob gesunde Menschen mit Soja anstatt Fleisch und Milch auf ihrem Speiseplan tatsächlich Krebsarten wie Brust- oder Prostatakrebs vorbeugen können, ist jedoch laut dem World Cancer Research Fund (WCRF) nicht belegt. So zeigen etwa Studien mit gesunden Frauen, die täglich für eine gewisse Zeit Isoflavon-Tabletten mit 70 bis 150 Milligramm Wirkstoff zu sich nahmen, keine Unterschiede in ihren Hormonspiegeln oder in der Brustgewebsdichte zu Frauen, die ein Placebo erhielten. Ein Hinweis, dass Soja Brustkrebs nicht verhindert – aber immerhin auch nicht dazu führt. Auch gegen Osteoporose und Wechseljahresbeschwerden scheint die Bohne nicht das Allheilmittel zu sein, wie jüngst groß angelegte Studien nahelegten.

Gut fürs Herz, schlecht bei Krebs?

In Sachen Herzschutz sieht die Datenlage zumindest nach Meinung der US-Lebensmittelbehörde FDA anders aus. In den USA gibt es seit 1999 einen so genannten "Health Claim" für Lebensmittel, die Sojaprotein enthalten, dabei werden 25 Gramm des Pflanzeneiweißes empfohlen, was 50 Milligramm Isoflavonen entspricht. Diese Waren dürfen als herzgesund beworben werden. Denn Studien belegen, dass Isoflavone in der Lage sind, das gefäßschädigende LDL-Cholesterin zu senken. Ob damit tatsächlich Herz-Kreislauf-Krankheiten vorgebeugt werden, ist zwar nicht gesagt. Trotzdem: "Sojaprodukte können die Ernährung von gesunden Erwachsenen sinnvoll ergänzen", sagt Sabine Kulling, Lebensmittelchemikerin am Karlsruher Max Rubner-Institut. Orientiert man sich an asiatischen Ländern, können 100 Milligramm Isoflavone als Obergrenze gesehen werden, enthalten etwa in einem Dreiviertel Liter Sojamilch oder rund 400 Gramm Tofu.

Indes wird gestritten, wie viel Soja gesund ist, wenn sich bereits ein Tumor in der Brust gebildet hat. Helfen Sojalebensmittel den betroffenen Frauen, den Krebs zu bekämpfen, also Rezidive zu verhindern und länger zu leben, oder regen die Phytohormone die bereits anwesenden Krebszellen nicht sogar zum Wachsen an? Das ist die große Frage, die die Soja-Forscher derzeit umtreibt. Denn Genistein und Daidzein wirken ähnlich wie das Geschlechtshormon Östrogen, sie docken also an entsprechenden Rezeptoren in der Brust an – fatal vor allem, wenn auch die Krebszellen östrogenpositiv (ER+) sind, also entsprechende Antennenmoleküle besitzen.

Dass Sojalebensmittel nach der Diagnose Brustkrebs eher negative Eigenschaften haben könnten, legen frühere Versuche verschiedener Arbeitsgruppen nahe. Um etwa die Hormonlage bei krebskranken Frauen in der Menopause zu simulieren, wurden Ratten Brustkrebszellen implantiert und die Östrogen produzierenden Eierstöcke entfernt. Diesen Ratten wurden dann Sojaextrakte verabreicht, in Mengen, die mit gängigen Nahrungsergänzungsmitteln erreicht werden können. Das Ergebnis: Soja im Futter ließ die Krebszellen schneller wachsen. Zwar verstoffwechseln Nagetiere Isoflavone anders als Menschen, die Wissenschaftsgemeinde war seither trotzdem alarmiert. In Zellstudien fand man auch kürzlich, dass Soja-Isoflavone besonders an den so genannten ER-alpha-Rezeptoren binden – sind diese aktiviert, verstärken sie das Tumorwachstum.

Und eine aktuelle Humanstudie verdichtet nun die Sorge der Onkologen. So haben US-Wissenschaftler um Moshe Shike vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center aufgedeckt, dass eine tägliche Nahrungsergänzung mit 50 Gramm Sojaprotein bei brustkrebskranken Frauen die Genexpression tumorfördernder Stoffe steigert. Sabine Kulling meint: "Die Bedeutung dieser Veränderung ist zwar unklar, aber im Sinne einer größtmöglichen Vorsicht sollten Brustkrebspatientinnen – wenn überhaupt – nur sehr moderate Menge an Sojalebensmitteln zu sich nehmen." Auch die Studienautoren raten erkrankten Frauen zwar nicht komplett von Sojaprodukten ab, mahnen aber zur Mäßigung. Vor allem jungen brustkrebskranken Frauen vor der Menopause hat die Sojadiät eher geschadet. "Die Daten sprechen auch keinesfalls dafür, dass der Verzehr von Sojalebensmitteln oder die Aufnahme von Isoflavonen sich bei Brustkrebs positiv auswirken könnten", meint Kulling in Hinblick auf die Theorie, dass Sojalebensmittel bereits grassierende Krebszellen bekämpfen helfen sollen. Da Frauen jedoch auch unentdeckte Minitumoren in ihrer Brust tragen können, mahnt Shike generell zur Vorsicht: "Auch äußerlich gesunde Frauen sollten nicht zu große Mengen an Sojaprodukten essen."

Kritik aus der Industrie

Die Industrie kritisiert jedoch die Studie von Moske Shike: Da es nicht bewiesen sei, dass eine Änderung in der Genexpression auch tatsächlich zu vermehrtem Tumorwachstum führe, stelle die Studie die derzeitigen Empfehlungen der Fachgesellschaften nicht in Frage, meinte Bernard Deryckere, Präsident der Europäischen Sojalebensmittelhersteller (ENSA) kürzlich gegenüber dem Brancheninformationsdienst "Nutraingredients". Auch wären die verabreichten Sojaproteinmengen mit normalen Lebensmitteln nur schwer zu stemmen. Kulling hingegen urteilt: "Die aufgenommene Isoflavonmenge ist nicht unrealistisch, gerade Frauen nach der Krebsdiagnose, die sich gesund ernähren möchten und deshalb vermehrt zu Sojaprodukten greifen, können diese erreichen."

Soja als Gesundheitsrisiko? | Über mögliche schädliche Wirkungen von Soja im Essen ist sich die Forschung bislang uneinig.

Das American Institute for Cancer Research (AICR) hält die aktuelle Studie wiederum für nicht so aussagekräftig und meint weiterhin, dass auch für Frauen mit Mammakarzinom die empfohlenen Mengen von 25 Gramm sicher sind – auch wenn viele Fragen noch offen seien. Interessanterweise hat unter anderen Mark Messina, ein Lobbyist der Sojaindustrie, das AICR in dieser Sache beraten. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) schließt sich den AICR-Empfehlungen an, rät aber auf jeden Fall gesunden wie kranken Frauen von entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln ab, die meist in der Hoffnung eingenommen werden, Wechseljahresbeschwerden zu lindern.

Wichtig für das Gesundpotenzial der Bohne scheint es zu sein, dass bereits von Kindesbeinen an Sojaprodukte auf dem Speiseplan stehen. Denn asiatische Frauen, die täglich Tofu und Miso konsumieren, sind tatsächlich besser gegen Brustkrebs gefeit – sie haben ein drei- bis fünffach niedrigeres Risiko als Europäerinnen oder weiße Amerikanerinnen. Zudem kann der Sojakonsum bei Asiatinnen auch nach der Diagnose die Prognose verbessern, wie mittlerweile mehrere Forschungsarbeiten bestätigt haben. Warum? Leena Hilakivi-Clarke, Ernährungswissenschaftlerin an der Georgetown University, vermutet in einem Übersichtsartikel aus dem Jahr 2010: "Epigenetische Prozesse in Brustzellen während der Pubertät könnten gegen Krebs feien." Die Zellen seien dann besser ausdifferenziert und könnten Mutationen leichter wieder in den Griff bekommen.

Eine Frage der Produktion?

Dazu kommt, dass westliche Sojaprodukte ganz anders beschaffen sind als östliche. In Asien wird meist die ganze Bohne verwendet, häufig auch fermentiert, etwa als Sojasoße, Miso, Natto oder Tempeh. In westlichen Produkten wie Sojamüsli oder -würstchen stecken dagegen oft nur hochgradig prozessierte Bestandteile der Bohne, etwa das isolierte Protein. Denn das ist eigentlich ein Abfallprodukt bei der Sojaölherstellung. "Womöglich ist es aber die Lebensmittelmatrix, die Soja gesund macht", schreibt Hilakivi-Clarke. Zellkulturstudien zeigten, dass isoliertes Genistein Krebszellen wachsen ließ, während Sojapulver dies nicht tat.

Von Bedeutung scheint auch zu sein, in welchem chemischen Gewand die Isoflavone in den Magen-Darm-Trakt gelangen. In fermentierten Lebensmitteln treten sie als Aglycoside auf, in prozessierten Lebensmitteln oder Soja-Pillen als Glycoside. Aglycoside werden jedoch leichter zu Equol umgebaut – eine Substanz, die eine vor Krebs schützende Hormonlage begünstigt. Zudem gehen hohe Equol-Spiegel mit einer guten Herz- und Knochengesundheit sowie reduzierten Wechseljahresbeschwerden einher. Wie viel davon im Verdauungstrakt gebildet und durch den Körper transportiert wird, hängt aber auch von der Genetik und der Bakterienbesiedlung im Darm ab. Nur jede vierte US-Amerikanerin beherbergt Darmbakterien, die Equol bilden, während es in Japan, China und Korea 50 bis 60 Prozent der Erwachsenen sind.

Letztlich unterscheiden sich Asiatinnen jedoch auch in ihrem ganzen Lebensstil von westlichen Frauen: Sie sind im Schnitt schlanker, trinken weniger Alkohol und rauchen weniger. Ihre gute Gesundheit nur mit dem hohen Konsum an Sojaprodukten zu erklären, wäre also vielleicht zu kurz gegriffen.

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  • Quellen
J Natl Cancer Inst. 4, S. 106, 2014
Breast Cancer Res Treat. 125, S. 315–323, 2011
J Nutr. 140, 2326S-2334S, 2010
J Nutr. 140, 1355S-62S, 2010

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