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News: Es war der Gärtner

Was wäre die Biologie ohne Charles Darwin? Der Schöpfer der Evolutionstheorie lieferte auch das theoretische Rüstzeug für viele weitere Disziplinen, wie der Genetik oder der Ökologie. Doch auch Darwin beruft sich auf andere Forscher - nur leider hat er bei der Quellenangabe mitunter etwas geschlampt. So beschreibt er eine Studie zur Artenvielfalt, dessen Urheberschaft erst jetzt bekannt wurde: Ein fast vergessener Klostergärtner namens George Sinclair hat vermutlich das erste wissenschaftlich fundierte ökologische Experiment durchgeführt.
Woburn Abbey
"Versuche haben ergeben, dass, wenn ein Fleck mit einer Grasart besät wird und ein ähnlicher mit mehreren Gräsern verschiedener Gattungen, dass dann von letzterem eine größere Anzahl Pflanzen und ein bedeutenderes Gewichstquantum Heu gewonnen wird als vom ersterem." Dieser, etwas trocken geschriebene Satz erschien 1859 in dem wohl berühmtesten Werk der Biologie. Charles Darwin legte in seinem Buch The Origin of Species nicht nur die Grundlage der Evolutionstheorie, er beschrieb auch ökologische Studien, auf die er seine Thesen stützte. Hier beruft er sich auf ein Experiment, mit dem er offensichtlich belegte, dass eine größere Artenvielfalt zu einer höheren Produktivität eines Ökosystems führt. Heute, nach fast 150 Jahren, beschäftigen sich Ökologen immer noch gerne mit diesem Thema.

Doch wer war der Experimentator? Darwin selbst war es wohl nicht. Und über seine Quelle hält sich der berühmte Autor bedeckt. Denn Darwin, der es zunächst nicht sehr eilig gehabt hatte, sein Epoche machendes Werk zu veröffentlichen, da er den Großteil seiner Erkenntnisse erst später in einer Gesamtschau publizieren wollte, sah sich plötzlich genötigt, die Origin of Species schnell zusammenzuschreiben. Hatte er doch ein Manuskript von Alfred Russel Wallace erhalten, der zu ähnlichen Schlüssen wie Darwin gekommen war. Ein Literaturverzeichnis musste dabei zu kurz kommen. Und so blieb der unbekannte Forscher im Dunkel der Geschichte verborgen.

Doch Andy Hector vom britischen Imperial College of Science, Technology and Medicine und Rowan Hooper vom japanischen National Institute for Environmental Studies begaben sich jetzt auf die Suche nach dem Verschollenem. Sie stöberten ein Exemplar von Darwins unvollendetem Buch Natural Selection auf. Und hier fand sich tatsächlich abermals der Hinweis auf das ökologische Experiment – diesmal mit einer Quellenangabe: Hortus Gramineus Woburnensis von einem gewissen George Sinclair, Gärtner des Duke of Bedford.

Von Bibliothek zu Bibliothek reisend, wurden die beiden Detektive schließlich in der Manuskriptsammlung der British Library fündig. In der ersten Auflage von 1816 zunächst nur erwähnt, beschreibt Sinclair 1826 in der dritten Auflage der "Versuche über den Ertrag und die Nahrungskräfte verschiedener Gräser und anderer Pflanzen, welche zum Unterhalt der nützlichern Hausthiere dienen" – wie der deutsche Untertitel lautet – ausführlich sein Experiment.

Und die Genauigkeit dieser Beschreibung überrascht. In den Gärten von Woburn Abbey hat Sinclair 242 Experimentalflächen angelegt, auf denen er verschiedene Grassorten – entweder allein oder zusammen mit anderen Arten – anbaute. Akkurat maß er den Ertrag jeder Fläche, wertete sie statistisch aus und kam schließlich zu dem Schluss, dass Artenvielfalt das Wachstum der Pflanzen fördert.

Den Begriff "Ökologie" kannte Sinclair noch nicht – den hatte erst Ernst Haeckel 1866 geprägt –, doch vermutlich war der vergessene Gärtner der Erste, der ein wissenschaftlich fundiertes ökologisches Experiment durchgeführt hat.

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