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Farbensehen: Es werde bunt!

Farbenfroh erscheint uns das Leben um uns herum. Damit ist der Mensch - zumindest unter den Säugetieren - recht privilegiert: Die meisten Säuger leben in einer deutlich weniger bunten Welt. Es sei denn, sie bekommen einen zusätzlichen Sehfarbstoff untergeschoben.
Retina
Wie ein gelbes Meer wogt das Rapsfeld im Abendlicht, und die letzten Sonnenstrahlen lassen die Wiesen noch einmal im saftigsten Grün aufleuchten. Ganz allmählich wechselt dann beim Sonnenuntergang der Himmel über dem Horizont von einem hellen Sommerblau über leuchtendes Orange in ein tiefes Rot, bis schließlich die Nacht die Farben des Tages verschlingt.

Das prächtige Farbenspiel eines Sonnenuntergangs zu bewundern, ist zwar kein menschliches Privileg, doch die meisten Säugetiere sehen die Welt in einem ganz anderen Licht: Ihre Welt ist in der Regel von Blau-, Grün- und Grautönen geprägt.

Schuld daran sind die zwei verschiedenen Typen von Lichtsinneszellen in ihren Augen, einer für den kurzwelligen und einer für den längerwelligen Bereich, die nur auf blaues und grünes Licht reagieren. Durch dieses dichromatische Sehen bleiben den meisten Säugern andere Farben verborgen, die lediglich als Grautöne erscheinen. Primaten hingegen – zu denen auch der Mensch gehört – bekamen irgendwann in der Evolution infolge einer zufälligen Mutation einen weiteren Fotorezeptor geschenkt, der rotes Licht registriert: Das trichromatische Farbensehen war geboren und eröffnete die bunte Welt, wie wir sie kennen.

Um Farben wahrnehmen zu können, reichen aber die Fotorezeptoren alleine nicht aus: Die Information muss auch ans Gehirn weitergeleitet und dort entsprechend verarbeitet werden. Ob nun allein die Entstehung eines dritten Rezeptortyps genügte, um den Primaten ein reichhaltigeres Farbensehen zu bescheren, oder ob dazu zusätzliche Veränderungen im Nervensystem notwendig waren, wollten jetzt Gerald Jacobs von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara und seine Kollegen von der Johns Hopkins Medical School in Baltimore wissen.

Dazu ersetzten sie bei Mäusen mit einem genetischen Kniff einen Sehfarbstoff durch ein menschliches Sehpigment. Mäuse verfügen nämlich über einen Fotorezeptor für kurzwelliges Licht, der im UV-Bereich arbeitet, und einen für mittelwelliges Licht, der optimal blaugrünes Licht einer Wellenlänge von 510 Nanometern registriert. Jacobs und seine Kollegen tauschten nun den Großteil des Sehfarbstoffs für mittelwelliges Licht durch ein menschliches Pignment aus, das am besten gelbgrünes Licht einer Wellenlänge von 556 Nanometern verarbeitet. Die Mutanten besaßen dadurch über einen zusätzlichen dritten Sehfarbstoff.

Anschließend testeten die Wissenschaftler, ob die veränderten Tiere auch tatsächlich andere Wellenlängen wahrnehmen konnten. Dazu setzten sie die Nager vor drei kleine Bildschirme, von denen jeweils einer in zufällig wechselnder Reihenfolge jeweils mit Licht einer bestimmten Wellenlänge beleuchtet wurde. Die Mäuse mussten nun an den Bildschirm tippen, der von dem Testlicht angestrahlt wurde und dadurch anders aussah als die anderen, um eine Belohnung in Form von leckerer Sojamilch zu bekommen.

Bei diesem Test zeigte sich, dass die Mutanten – im Gegensatz zu unveränderten Mäusen – Licht einer Wellenlänge von 500 bis etwa 590 Nanometern erkennen konnten. Damit hatten sie das Spektrum, das sie wahrnehmen konnten, deutlich in Richtung grün erweitert. Außerdem waren sie in der Lage, grünes und gelboranges Licht zu unterscheiden.

Demnach ist das Gehirn von Säugern durchaus in der Lage, die neuartigen Informationen, die dort von dem hinzugefügten Rezeptor ankommen, sinnvoll zu verarbeiten. Die Entstehung eines neuen Sehpigments in der Evolution ist also vollkommen ausreichend, um dem Träger dieser Veränderung eine neue Welt der Farben zu eröffnen. Der erste Primat mit drei Fotorezeptoren konnte wohl wirklich sofort mit diesem Neuerwerb das prächtige Farbenschauspiel eines Sonnenuntergangs genießen.

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