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Sonnensystem: Etwas läuft schief im Sonnensystem

Einen Turm aus Bauklötzen zu bauen, ist eine wacklige Angelegenheit. Beginnt einer zu kippeln, gerät alles ins Schwanken. Dass im Sonnensystem ganz ähnliche Probleme herrschen, zeigen die geneigten Drehachsen der Planeten. Ein Computermodell verrät, wie es dazu kommen konnte.
Uranus im Infrarotlicht
Wissen Sie, warum wir Frühling haben? Und warum es im Sommer wärmer als im Winter ist? Erstaunlicherweise liegt es nicht daran, dass die Erde in unserem Sommer näher an der Sonne ist als im Winter – das Gegenteil ist der Fall. Der Grund für die Jahreszeiten ist vielmehr in der gekippten Drehachse unseres Planeten zu sehen. Rund 23 Grad neigt sie sich, relativ zur Ebene der Umlaufbahn gesehen. Das ganze Jahr über weist sie ungefähr Richtung Polarstern. Wandert die Erdkugel um die Sonne, ist darum für ein halbes Jahr die Nordhalbkugel vermehrt der Strahlung ausgesetzt (unser Sommer) und für die andere Jahreshälfte die Südhalbkugel (wenn hier Winter ist). Die Umschlagspunkte, wenn die Erde gewissermaßen "seitlich" zur Sonne steht, nennen wir Frühlings- und Herbstanfang.

So eine geneigte Drehachse ist beliebt bei Planeten. Sie ist ein Zeichen dafür, wie turbulent es während der Bildung des Sonnensystems zuging – als Gesteinsbrocken miteinander kollidierten und ihre unterschiedlichen Drehimpulse zusammenwarfen. Hinzu kam und kommt noch die zerrende Gravitationskraft von Sonne und anderen Planeten sowie, im Falle der Erde, des Mondes. In der Summe entstand daraus eine kompliziert torkelnde Bewegung mit einer Achse, die nicht immer um 23 Grad geneigt ist und nicht immer zum Polarstern weist. Bei dem Geeiere ist es kein Wunder, dass die Achse mal so und mal so ausgerichtet ist – es handelt sich eh nur um einen Zwischenzustand.

Anders bei den vier Riesenplaneten im Sonnensystem. Die Drehachsen der Gasgiganten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun sind ziemlich starr und lassen sich nicht so einfach beeinflussen. Dennoch stehen sie keineswegs kerzengerade auf ihren Umlaufbahnen. Während Jupiter es noch bei majestätischen 3,1 Grad Neigung belässt, sind Saturn und Neptun mit 25,6 beziehungsweise 28,3 Grad ähnlich schräg wie die Erde. Vollends abgedreht ist aber der Uranus: Um 97,8 Grad geneigt "rollt" er regelrecht durch das Sonnensystem. Dabei weist ein Pol stets zur Sonne, der andere dauernd von ihr weg. Was müssen das für Kräfte gewesen sein, die einen solchen Gasriesen derart aus der Fassung bringen konnten?

Mit dieser Frage beschäftigen sich Astronomen seit vielen Jahren. Sie brachten einige Hypothesen hervor, die alle bei genauerer Prüfung ziemlich wackelig waren. Beliebt war die Annahme, ein gewaltiger Zusammenstoß mit einem Brocken von Erdgröße hätte die Planetendrehung umgelenkt. In so einem Szenario wären die Monde des Gasriesen jedoch unweigerlich ins Weltall geschleudert worden, weil es für sie außerhalb der Äquatorebene des Planeten keine stabilen Umlaufbahnen gibt. Nun besitzen die vier Giganten jedoch ausgesprochen viele Monde, die sich vermutlich sehr früh gebildet haben und unweigerlich Zeugen des Zusammenstoßes geworden wären. Einen schnellen Wechsel der Drehachse hätten sie nicht mitmachen können.

Wohl aber eine langsamere Verlagerung. Ein entsprechendes Szenario entwarf der argentinische Astronom Adrian Brunini, der in seinem Computer eine numerische Simulation eines frühen Sonnensystems ablaufen ließ. Siehe da: Die gegenseitigen Beeinflussungen durch die Schwerkraft reichen aus, um die Rotationsachsen zum tatsächlichen Zustand zu verbiegen. Im Prinzip also ganz einfach, nur eben wegen der vielen Wechselwirkungen beliebig kompliziert.

In seinem Modell ging Brunini davon aus, dass die vier Gasriesen zunächst in geringerem Abstand zur Sonne entstanden sind, als es ihren gegenwärtigen Bahnen entspricht. Als Folge einer Unzahl kleinerer Zusammenstöße mit vergleichsweise winzigen Brocken veränderten sie langsam ihren Lauf. Zur Initialzündung wurde das Verhalten von Jupiter und Saturn. Als die beiden eine Grenze überschritten, bei der ihre Umläufe im Verhältnis 1:2 gekoppelt verliefen, destabilisierten sich die Wanderungen und Drehungen der Planeten. Die Gasriesen entfernten sich teilweise erheblich von der Sonne und erreichten ihre gegenwärtigen Regionen. Gleichzeitig kippten die Rotationsachsen auf die aktuellen Werte. In 19 von 30 Simulationsläufen ergab sich dieses Szenario – offenbar kein exotisches Ergebnis also.

Bruninis Rechnungen geben natürlich nicht unbedingt die wirklichen Abläufe von damals wieder. Dafür musste der Wissenschaftler zu viele willkürliche Vorgaben machen, bei denen er sich meistens an den heutigen Daten orientierte. Aber sie zeigen eine Möglichkeit, die in Einklang mit der Dynamik aller beteiligten Himmelskörper steht und durch weitere Beobachtungen und Simulationen überprüfbar ist. Bis wir eines Tages genau wissen, warum im Sonnensystem auch die großen Spieler in Wahrheit schräge Vögel sind.

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