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News: Evolution der Familienähnlichkeit

Wie ähnlich sich die Mitglieder einer Sippschaft sind, hängt nicht nur mit dem "wie" ihres Verwandtschaftsgrades zusammen - in evolutiven Maßstäben scheint auch ein "wann" im Stammbaum entscheidend.
Anolis grahami
Miterleben könnte man es zwar nur mit Hilfe eines die Jahrmillionen verkürzenden Zeitraffers – wie die Vielfalt des Lebens entsteht, lässt sich aber nichtsdestoweniger auch wissenschaftlich recht plausibel zusammenreimen. Ausgangspunkt wäre etwa eine unspezialisierte Allround-Tierspezies als zukünftiger Stammvater, die in ein konkurrenzfreies und nischenreiches Paradies umzieht – dort warten allerlei verschiedenen Möglichkeiten, einen Lebensunterhalt zu fristen.

Die daraufhin einsetzende Entwicklung nennen Evolutionsbiologen adaptive Radiation: Nachkommen der Ursprungsspezies werden nach und nach die unterschiedlichen, zugänglichen ökologischen Nischen besetzen, sich an die dort herrschenden Bedingungen möglichst optimal anpassen und so eine Reihe unterschiedlicher Spezialisten hervorbringen – neue Arten entstehen. Dabei bleiben wesentliche Merkmale der Stammart erhalten, auch wenn die ökologischen Lebensumfelder oder bestimmte äußerliche Erscheinungsbild sehr unterschiedlich werden können.

Adaptive Radiation prägte die Evolution aller Lebensformen auf der Erde – nur das bekannteste Beispiel sind die Darwin-Finken auf dem Galapagos-Archipel. Zum Leidwesen der Wissenschaftler folgt der Vorgang allerdings offenbar keiner übergeordneter Gesetzmäßigkeit: Nur die gegebenen Umstände scheinen die Entstehung der Arten in einem bestimmten Gebiet zu bestimmen, und jede Spezies-Linie bildet demnach offenbar typisch eigenständige, nur für sie charakteristische Familienstammbäume aus.

Das führt zu einem für Evolutionstheoretiker ärgerlichen Wildwuchs: Mal sind sich etwa die verwandten Arten eines Gebietes äußerlich überraschend ähnlich, obwohl die Vielfalt ökologischer Nischen groß ist – mal aber unterscheiden sich die Nachkommen-Spezies in einem vergleichbar mannigfaltigen Umfeld auch in ihren Körpermerkmalen so stark, dass man ihnen kaum noch einen gemeinsamen Ursprung ansieht.

Unterwirft adaptive Radiation sich also wirklich keinem grundlegenden Prinzip? Jonathan Losos von der Washington University und seine Kollegen wollten dies nicht wahrhaben – und suchten nun mit Hilfe genetischer Stammbaumanalysen nach einem solchen.

Als Modell wählten die Forscher vier Gruppen von artenreichen, sowie ökologisch und äußerlich mannigfaltigen Eidechsenfamilien. Alle hatten ihre jeweilige Radiation zu vergleichbaren Zeiträumen begonnen, ausgehend von ähnlichen Stammformen und in naturgeschichtlich und ökologischen vergleichbaren Umweltumgebungen – und entwickelten sich doch äußerlich recht unterschiedlich einheitlich.

Tatsächlich scheinen die Analysen der Forscher nun Hinweise zu liefern, warum dies so gewesen sein könnte. Mit Hilfe der von ihnen erstellten molekulargenetischen Stammbäume verglichen sie, wann im Laufe der jeweiligen Stammbaugeschichte der Artenreichtum besonders angestiegen war – also besonders viele neue Arten von der Stammart abzweigten. Bei einer der Eidechsengruppen, den australischen Agamen, geschah dies bereits recht früh. Im Gegensatz dazu die Erdleguane der Gattung Liolaemus: hier bildeten sich neue Spezies kontinuierlich und auch erst in jüngerer Zeit.

Auffällig auch ein zweiter relevanter Unterschied zwischen Agamen und Erdleguanen: Erstere sind morphologisch – hinsichtlich der Unterschiede zwischen Beinlänge, Kopfform und anderen Merkmalen – eher einheitlich, letztere ziemlich vielfältig.

Daraus, so Losos, könnte sich nun die gesuchte grundlegende Regel zur adaptiven Radiation ableiten lassen: Je früher eine Spezies sich aufspaltet und alle ökologischen Nischen erfolgreich und dauerhaft besetzt, desto eher leben die Nachkommen relativ unbehelligt voneinander über lange Zeit nebeneinander her – ohne gezwungen zu sein, durch ständige weitere Anpassungen ihre äußere Form im Konkurrenzdruck zu ändern. Alle Arten tragen so einige gemeinsamen Merkmale ihrer Stammform unverändert weiter und bleiben sich morphologisch recht ähnlich. Beispiel: die Agamen.

Entstehen aber, wie bei Liolaemus, nach und nach immer neue Arten – etwa, weil nicht früh perfekt an ökologische Nischen angepasste Formen entstanden sind – so folgen stets neue Bauplanänderungen im harten Konkurrenzkampf um die ökologischen Nischen aufeinander. Es entwickeln sich ökologische Lückenfüller aus unterschiedlichen Evolutionsschüben, die alle verschiedene Merkmalskombinationen erben – und untereinander eben sehr verschieden sind.

Diese Beziehung zwischen dem Zeitpunkt intensiver Artbildung in einem Stammbaum und der morphologischen Vielfalt innerhalb einer Gruppe könnte nun endlich einen roten Faden durch die berüchtigt verworrene Unübersichtlichkeit adaptiver Radiationsprozesse legen. Und das nicht nur im Reich der Eidechsen, so Losos: Die verbreitete Meinung, es gebe keine übergeordnetes Muster über den Geschichten jeder Abstammungslinie, "scheint durch unsere Ergebnisse zweifelhaft zu werden".

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