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Forschung mit Militärgeldern: Forschung ohne Gesinnungsvorbehalt

Zivilklauseln verstoßen gegen die Wissenschaftsfreiheit und schaden der Forschung, meint Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes.
Bernhard Kempen

Die Meldung, dass 22 deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen über Jahre hinweg Forschungsaufträge und -gelder vom Pentagon angenommen haben, hat vielerorts Unbehagen ausgelöst. Handeln sie moralisch verwerflich oder gar rechtswidrig? Einige der nunmehr kritisierten Hochschulen haben ihren Lehrenden und Lernenden eine Verpflichtung zur Friedensförderung auferlegt, die so genannte Zivilklausel. Sie unterbinden zugleich jedwede Forschungsaktivität, die militärisch genutzt werden könnte. Nach den Gräueltaten, die im deutschen Namen im 20. Jahrhundert begangen worden sind, soll sichergestellt werden, dass kein Krieg mehr von deutschem Boden ausgeht oder mit deutscher Beteiligung geführt wird.

Das Bekenntnis zum Frieden entspricht der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes. Doch setzt dieses Friedensbekenntnis nicht eine Tabuisierung aller militärischen Gewalt voraus. Das Grundgesetz kennt keinen pazifistischen Gesinnungsvorbehalt. Verfassungswidrig sind die absichtliche Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker, insbesondere die Vorbereitung und Führung eines Angriffskriegs. Als legitim und verfassungsrechtlich geboten kennzeichnet das Grundgesetz aber zugleich die Anwendung militärischer Gewalt zum Zweck der Landesverteidigung und – im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme – zur Friedenssicherung in Europa und der Welt. Die Befürworter antimilitärischer Zivilklauseln irren daher, wenn sie meinen, die Wissenschaftsfreiheit einem Friedensprimat unterordnen zu können. Weder der Gesetzgeber noch die Hochschulen dürfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter einen so weit reichenden Gesinnungsvorbehalt stellen. Diese können und müssen letztlich frei entscheiden, wozu sie forschen wollen.

"Über Zivilklauseln gerät sehr schnell jeder Forschungszweig unter Generalverdacht"

Die eingangs gestellten Fragen lassen sich vor diesem Hintergrund mit einem klaren Nein beantworten: Vorwürfe gegenüber den Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die die Forschungsgelder angenommen haben, laufen ins Leere. Gewiss: Über die Politik der USA lässt sich trefflich streiten. Wer wollte dies angesichts des NSA-Skandals leugnen? Aber die USA sind ein demokratischer Rechtsstaat. Sie waren der Geburtshelfer der bundesrepublikanischen Demokratie und bleiben der wichtigste deutsche Bündnispartner in der Nato, einem auf Verfassung und Gesetz beruhenden Verteidigungsbündnis. Forschungsaufträge amerikanischer Regierungsstellen, auch des Pentagons, sind deshalb nicht per se verwerflich. Die Forscherinnen und Forscher müssen letztlich autonom entscheiden, ob sie die Arbeit an den jeweiligen Projekten verantworten können. Niemand kann ihnen das abnehmen. Dies muss auch so bleiben. Denn messerscharfe Trennlinien zwischen militärisch nutzbarer und ziviler Forschung gibt es ohnehin nicht – weder in der Medizin- und der Pharmaforschung noch in der Werkstoff-, Laser- und Satellitenforschung, um nur einige Beispiel zu nennen.

Über Zivilklauseln gerät folglich sehr schnell jeder Forschungszweig unter Generalverdacht. Die langfristig damit verbundenen Folgen sind fatal: Forschung unter Zivilklauseln lähmt die wissenschaftliche Neugier, da wegen der Dual-Use-Problematik die Gefahr besteht, große Teile der Forschung unter Generalvorbehalt zu stellen und von langwierigen rechtsförmigen Genehmigungsverfahren abhängig zu machen. Zivilklauseln verstoßen daher gegen die Wissenschaftsfreiheit und schaden der Wissenschaft. Um der missbräuchlichen Verwendung von militärisch nutzbaren Forschungsergebnissen entgegenzutreten, stehen mit dem Strafrecht, dem Kriegswaffenkontrollrecht und dem Außenwirtschaftsrecht wirkungsvolle Rechtsinstrumente bereit.

Lesen Sie dazu auch den Gegenkommentar von Simon Meisch: "Forschungsfreiheit bedeutet auch Verantwortung".

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