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News: Frustrierte Magnete

In manchen Materialien will das magnetische Verhalten auf atomarer Ebene so gar nicht zu der vorgegebenen Kristallstruktur passen. In der Folge sind die winzigen Elementarmagnete frustriert und zeigen keine besondere Ordnung - so dachte man zumindest.
Zincochromit
Angefangen hat alles in den dreißiger Jahren mit Eis. So liegt dessen wohl bekannte Kristallisationstemperatur von null Grad Celsius einige hundert Grad unter dem theoretisch zu erwartenden Wert von rund 640 Grad. Denn das wäre die Temperatur, wenn man lediglich die Energien der Wasserstoffbrückenbindungen berücksichtigen müsste.

Eis nimmt jedoch einen optimalen – energetisch tiefsten – Zustand ein, wenn in seiner tetraederartigen Struktur jeweils zwei der Wasserstoffatome etwas stärker an das Sauerstoffatom gebunden sind als die beiden anderen. Insgesamt gibt es sechs Möglichkeiten die Atome entsprechend zu arrangieren, und da es keine bevorzugte gibt, findet ein steter Wechsel zwischen den Anordnungen statt, der die ungewöhnlich niedrige Kristallisationstemperatur bewirkt.

Derart unentschlossene Systeme hat man in der Folgezeit auch in anderen physikalischen Bereichen entdeckt, so unter anderem in Gestalt der frustrierten magnetischen Materialien. Hier sind es nun nicht die Atome, die verzweifelt nach der besten Lage suchen, sondern die Elektronenspins beziehungsweise deren magnetische Momente. Ein herkömmlicher (Ferro-)Magnet weist nämlich noch ein strenge Ordnung der Spins auf: Alle zeigen in eine Richtung und legen so die Magnetisierung des Körpers fest. Auch ein so genannter Antiferromagnet, dessen Magnetisierung von außen nicht spürbar ist, besitzt noch diese feste Ordnung – seine Spins sind stets paarweise zueinander entgegengerichtet, sodass sich die magnetischen Momente gegenseitig auslöschen.

Während es nun in kubischen Gittern kein Problem ist, ein derartiges Arrangement zu erfüllen (dazu müssen die Spins benachbarter Würfelecken jeweils zueinander entgegengerichtet sein), gibt es in dreieckigen oder tetraedrischen Gittern keine solche Möglichkeit: Denn wenn der Spin der ersten Ecke beispielsweise nach oben weist, dann muss der der zweiten nach unten zeigen und der der dritten müsste eigentlich gleichzeitig nach oben und nach unten deuten – was freilich nicht möglich ist.

Es gibt also keine Möglichkeit in diesen frustrierten Systemen die Spins so einzustellen, dass sich ihre magnetischen Momente auslöschen und sie gleichzeitig parallel oder antiparallel ausgerichtet sind. Ist allerdings lediglich das gegenseitige Auslöschen gefragt, dann gibt es unendlich viele Möglichkeiten: beispielsweise, wenn alle Spins zur Mitte des Dreiecks weisen oder alle nach außen. Wie dem auch sei, aufgrund der mehr oder minder zufälligen Streuung der Momente in solchen Materialien, sind Wissenschaftler bislang nicht von einer mittel- oder langreichweitigen Ordnung in solchen Systemen ausgegangen, also einem gewissen Ordnungsmuster, dass sich im Bereich von fünf bis hundert Ångström wiederholt.

Dass das nicht stimmt, fanden nun Seung-Hun Lee vom National Institute of Standards and Technology in Gaithersburg und seine Kollegen heraus. Die Wissenschaftler untersuchten mithilfe der Röntgenbeugung das tetraedrisch aufgebaute, magnetisch frustrierte Material Zincochromit (ZnCr2O4). Da Neutronen zwar ein magnetisches Moment jedoch keine Ladung tragen, eignen sie sich besonders gut, um die magnetische Struktur des Materials aufzuklären. Wie sich zeigte, weist ZnCr2O4 doch eine gewisse Ordnung auf: Und zwar orientieren sich die Spins in sechseckigen Ringstrukturen immer entgegengesetzt zu ihrem direkten Nachbarn, sodass sich in Summe über den Ring ein magnetisches Moment von Null ergibt.

Innerhalb eines Sechsecks sind also alle Spins parallel oder antiparallel zu einer festen Richtung orientiert, welche die Forscher spin director nennen. Das Sechseck wird dabei von den Kanten von sechs Tetraedern aufgespannt, wobei jeder Spin nur zu einem Sechseck zählt. Insgesamt gibt es vier Möglichkeiten, die Sechsecke im Raum zu platzieren – jeweils entlang einer Tetraederfläche. Indem man nun das System durch seine spin directors beschreibt anstelle durch unabhängige Spins, lassen sich eine Reihe von ungewöhnlichen magnetischen Eigenschaften des Materials erklären.

Und nicht nur das – die Ergebnisse lassen sich vielleicht auch auf andere Vielteilchensysteme im Kleinen und im Großen übertragen, wie die Forscher vermuten: So könnten sie Licht auf bestimmte Organisationsprozesse der Quarks im Atom werfen, aber auch auf die Faltung von Proteinen oder gar die Häufung von Sternen in Galaxien.

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