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Lesen: Für das Gehirn sind alle Schriften gleich

Buchstabensalat

Ein Areal, das nur auf das Entziffern von Schrift spezialisiert ist, findet sich nirgendwo im Hirn: Wer lesen und schreiben lernt, recycelt Bereiche seines Denkorgans, die von Natur aus für andere Aufgaben vorgesehen waren. Auf Grund von Hirnscanneruntersuchungen hatten manche Forscher jedoch angenommen, dass jeweils unterschiedliche Areale in Anspruch genommen werden – je nachdem, welches Schriftsystem erlernt wird.

Dem widersprechen nun Forscher um Stanislas Dehaene von der Université Paris XI in Orsay: Das Gehirn verwende immer zwei parallele Netzwerkpfade, um ein Wort oder Schriftzeichen zu interpretieren – allerdings in unterschiedlichem Maß. Im Fall unserer lateinischen Schrift verlasse es sich stärker auf den einen, im Fall der chinesischen Schrift eher auf den anderen.

Mit dem einen Pfad versuche das Gehirn die Gestalt eines Worts wiederzuerkennen; Buchstaben und Wörter werden dazu als grafische Formen behandelt. Auf dem anderen Pfad, der beim Lesen der chinesischen Schriftzeichen zum Zug kommt, analysiere das Gehirn das Geschriebene, indem es die Handbewegungen nachvollzieht, die zum Schreiben notwendig sind – statt der Gestalt spielten hier Gesten die Hauptrolle, erläutern Dehaene und Kollegen.

Nach Meinung der Forscher sei durchaus verständlich, warum beide Schriftsysteme diese Pfade unterschiedlich stark beanspruchen: Die übliche lateinische Druckschrift hat nur noch wenig Bezug zur ursprünglichen Handschrift, während bei chinesischen Zeichen die Strichfolge einen entscheidenden Beitrag zur Gestalt selbst gedruckter Zeichen leistet. Diese sei deshalb auch im Gehirn der Lesenden stärker repräsentiert.

Erwartungsgemäß verschwand dann auch der Unterschied in den Hirnaktivierungsmustern zwischen chinesischen und französischen Testpersonen, wenn den Franzosen eine lateinische Schreibschrift präsentiert wurde. Dies sei bei bisherigen Studien immer unterlassen worden, meinen die Wissenschaftler.

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