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Verhaltensforschung: Gähnen bei Wellensittichen ist ansteckend

Bisher kannten wir das Phänomen nur von Säugetieren. Aber auch Wellensittiche sind vom ansteckenden Gähnen betroffen. Ein Hinweis auf die Fähigkeit zu Mitgefühl?

Menschen, Schimpansen und einige Ratten können es, Hunde wahrscheinlich auch. Eine aktuelle Studie zeigt zum ersten Mal, dass Wellensittiche sich mit ihrem Gähnen ebenfalls gegenseitig anstecken. Das fand ein Forscherteam um Andrew Gallup von der New York State University heraus.

Für das Experiment führten die Wissenschaftler zwei verschiedene Versuche durch: Im ersten Teil notierten sie, wie häufig je zwei Wellensittiche gähnten, die in verschiedenen Käfigen mit und ohne Sichtkontakt zueinander gehalten wurden. Im zweiten Versuch spielten die Forscher jeweils einem einzelnen Tier verschiedene Videos vor. Die Filmsequenzen zeigten entweder gähnende oder nicht gähnende Artgenossen. Erneut zählten die Forscher das Gähnen des Wellensittichs als Reaktion auf die beiden Videos. Tatsächlich gähnten die Vögel im ersten Teil dreimal so häufig, wenn sie sich sehen konnten, und im zweiten Teil immerhin doppelt so oft, wenn ihr Artgenosse im Video gähnte.

In freier Wildbahn hatten die Forscher bereits beobachtet, dass Wellensittiche in großen Schwärmen auffallend häufig gleichzeitig gähnten. Das Laborexperiment bestätigt die Beobachtung und zeigt, dass dieses Verhalten nicht allein durch einen gemeinsamen Tagesrhythmus entsteht.

Die Forscher gehen in der Interpretation dieses Verhaltens allerdings noch einen Schritt weiter und sehen darin einen Hinweis auf Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Der Zusammenhang zwischen ansteckendem Gähnen und Mitgefühl ist jedoch allgemein umstritten. Verteidiger der Empathie-Theorie führen ins Feld, dass sich nachweislich vor allem Mensch und Schimpanse vom Gähnen anstecken lassen und beide ein hoch entwickeltes Sozialverhalten aufweisen. Außerdem sind sie vor allem für das Gähnen derjenigen Artgenossen empfänglich, die ihnen emotional am nächsten stehen. Die Wellensittiche jedoch machten beispielsweise keinen Unterschied, ob ihnen der Artgenosse vertraut war oder nicht. Auch die Ergebnisse von Studien mit Ratten und Hunden sind dahingehend nicht eindeutig.

Es ist völlig offen, wie viele Tierarten für ansteckendes Gähnen überhaupt empfänglich sind. Wellensittiche und Schildkröten sind bisher die einzigen nicht zu den Säugetieren gehörenden Spezies, bei denen dieses Verhalten überhaupt untersucht wurde. Im Gegensatz zu Wellensittichen zeigen Schildkröten es nicht. Kritiker der Empathie-Theorie halten das ansteckende Gähnen eher für eine primitive Verhaltensweise: Bei einigen Tierarten könnte es der einfachen Kommunikation und Synchronisation des Verhaltens in der Gruppe dienen. Dass bei Mensch und Schimpanse ansteckendes Gähnen zusammen mit Empathie und komplexem Sozialverhalten auftritt, sei demnach eher Zufall.

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