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News: Gefährliche Liebschaften

Runzelhornvögel sind wählerisch und gründen längst nicht mit jedem Artgenossen eine Familie. Weil die Kinderstuben der vom Aussterben bedrohten Tiere in vielen Zoos leer blieben, haben Zoologen ein Projekt ins Leben gerufen, mit dessen Hilfe die Tiere auch in Gefangenschaft einen Partner fürs Leben finden sollen. Zwar war der erste Versuch schon bald mit Erfolg gekrönt, doch es blieb ein bitterer Nachgeschmack, weil ein Mitbewohner des liebestollen Paares wahrscheinlich deren Flirt mit seinem Leben bezahlen musste.
Noch wissen Biologen sehr wenig über das Verhalten der Runzelhornvögel (Aceros corrugatus) Und so standen viele Zoos auch relativ ratlos der Tatsache gegenüber, warum bei Ihren Paaren trotz aller Bemühungen und obwohl die Tiere offensichtlich friedlich zusammenlebten, die Nistplätze leer blieben. Da die Runzelhornvögel im Juli 1997 in das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP) aufgenommen wurden, haben Zoodirektoren die Paare bislang vor dem Hintergrund genetischer Gesichtspunkte zusammengesetzt, um gesunde Nachkommen zu züchten.

Wie wir Menschen aber aus eigener Erfahrung wissen, verliebt sich niemand aufgrund der Gene. Auch bei Runzelhornvögeln ist es eine Frage der Sympathie, ob sich Kindersegen einstellt oder nicht. Aus Freilandbeobachtungen ist immerhin bekannt, dass sich die Vögel oftmals in großen Gruppen von bis zu 30 Tieren versammeln. So können sich einzelne Tiere nach ihren individuellen Vorlieben miteinander verbändeln. Um solch eine Situation in Zoos zu schaffen, fehlte bisher der nötige Platz. Außerdem verhalten sich flirtende Runzelhornvogel-Paare aggressiv gegenüber Artgenossen. Hetzjagden und böse Hackattacken bleiben dabei nicht aus. In räumlich begrenzten Volieren kann das lebensgefährlich sein, weil die Tiere sich nicht aus dem Weg gehen können.

Um Nachzuchten zu fördern, indem die Tiere auch in Gefangenschaft die Chance haben, sich selbst einen Partner für die Familiengründung auszusuchen, hat der Heidelberger Tierpark ein bis dahin einmaliges Projekt einer Verpaarungsstation gestartet. Da die Schicksale aller in Europa in Gefangenschaft gehaltenen Runzelhornvögel seit 1998 in einem so genannten Zuchtbuch aufgelistet und verfolgt werden, war es nicht schwer, alle Individuen herauszufinden, die ihr Dasein einsam fristen mussten. Die durch das Zuchtbuch registrierte Population besteht derzeit aus 57 Individuen, die allerdings über ganz Europa verteilt sind. Fünf alleinstehende weibliche und ein männliches Tier kamen für einen ersten Versuch in Heidelberg zusammen. Das einzige Runzelhornvogel-Männchen hatte kurz zuvor sein Weibchen umgebracht, mit dem es schon fast drei Jahre augenscheinlich friedlich vereint in La Palmyr (Frankreich) zusammengelebt hatte.

Die sechs Vögel bildeten nun den Grundstock der neuen Verpaarungsstation. Das Männchen konnte sich aus dem Angebot der Weibchen das ihm liebste auswählen – vorausgesetzt natürlich, auch das Weibchen fand Interesse an dem Bräutigam. Nun ist es bei den Runzelhornvögeln nicht immer leicht, ein Liebespaar zu erkennen. Laut Aussagen des Zuchtbuchführers Jens Lilleör ist zum Beispiel auffälliges Zusammensitzen zweier Tiere ein eindeutiges Anzeichen für eine Liebelei. Das Paar muss dann sofort separiert werden, damit es keine Möglichkeit hat, Mitbewohner aggressiv anzugehen.

Schon wenige Tage nach Start des Runzelhornvogel-Pilotprojektes berichtete der Pfleger, dass anscheinend eines der Weibchen öfter neben dem Männchen sitzt als die anderen Hennen. Die beiden Vögel tauschten allerdings keinerlei Zärtlichkeiten aus oder ließen gar eine Liebelei erkennen. Sie verhielten sich auch keineswegs aggressiv gegenüber den übrigen Tieren. Schon anderthalb Monate nachdem die Gruppe zusammengefunden hatte, passierte dann allerdings das Unglück: Ein Weibchen lag tot und mit Hackwunden übersäht auf dem Boden der Voliere. Hatte das Liebespaar in seinem Liebestaumel trotz der wachsamen Augen der Zoobediensteten ein unbeteiligtes Weibchen kurzerhand umgebracht?

Die mutmaßlichen Täter mussten sofort die gemeinsame Voliere verlassen, und das tote Weibchen wurde sorgfältig obduziert. Die Untersuchung ergab leider kein eindeutiges Ergebnis. Das Tier wies neben den Wunden auch eine Yasinien-Infektion auf, die als Todesursache in Frage kam. Möglicherweise haben die anderen Vögel den Leichnam erst zerhackt, als er schon reglos am Boden lag.

Durch diesen Vorgang allerdings waren die beiden liebestollen Vögel eindeutig als Paar identifiziert und wurden nach Frankreich gebracht, wo sie hoffentlich im Frühjahr 2001 als liebende Eltern gemeinsam ihre Jungen aufziehen werden. Die übriggebliebenen Runzelhornvogel-Weibchen warten derzeit als Gruppe im Heidelberger Zoo sehnsüchtig auf weitere Männchen, unter denen sie nach Lust und Laune ihre Freier aussuchen können.

Auch wenn ein unschuldiges Tier die Liebelei eines Paares mit seinem Leben bezahlen musste, so hat sich diese Verpaarungsstation dennoch bewährt. Schließlich haben die Tiere dadurch die Möglichkeit, sich ihren Partner selbst auszuwählen. Und da die Runzelhornvögel im Freiland stark bedroht sind, hofft man nun, in Heidelberg eine Möglichkeit gefunden zu haben, die stark geschwächte Population durch gesteigerte Nachzuchten wieder zu stärken. Damit das Liebesspiel eines Paares nicht wieder das Todesurteil eines unbeteiligten Dritten bedeutet, werden in Zukunft zwei Vögel schon dann die Voliere verlassen, wenn sie sich nur interessiert beäugen. Da kann man den Runzelhornvögeln doch nur ein scharfes Auge wünschen.

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