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Primatologie: Gefeiertes Affenfossil ist nur "Halbaffe"

Urzeit-Primate
Das gut erhaltene, vor fast 30 Jahren gefundene und im letzten Jahr unter großem Presserummel vorgestellte Affenfossil von Darwinius masillae ist weniger eng mit Menschen verwandt, als Forscher zunächst nahegelegt hatten. Der 47 Millionen Jahre alte Fund aus dem Eozän, in dem sich die Vorfahren von echten Affen, Menschen und Lemurenartigen gerade auseinanderentwickelt hatten, gehöre recht eindeutig zu der großen Gruppe der Feuchtnasenaffen und stehe damit den ältesten Lemuren nahe, berichten Callum Ross von der University of Chicago und seine Kollegen [1].

Urzeit-Primat | Das schon 1983 in der Ölschiefergrube Messel bei Darmstadt gefundene Fossil ist nun als das derzeit wohl weltweit älteste komplett dokumentierte Fossil eines Primaten anerkannt. Forscher halten es für ein hochinteressantes Bindeglied aus jener Zeit, in der sich Primaten-Entwicklungslinien trennten, die zu Lemuren einerseits und den "echten Affen" – inklusive des Menschen – andererseits führten. Vor einer genauen Einordnung von Darwinius masillae seien aber noch viele weitere Untersuchungen nötig, geben die Wissenschaftler zu bedenken.
Ross und einige andere Fossilforscher hatten die Vorstellung von Darwinius masillae im vergangenen Jahr und die Schlussfolgerungen der beteiligten Forscher um Jörn Hurum von der Universität Oslo deutlich kritisiert. Hurum und Kollegen hatten das Fossil zuvor als Vertreter der ausgestorbenen Untergruppe der Adapidae charakterisiert, zu der viele der ältesten bislang gefundenen Primaten zählen. Sie forderten dann wegen einiger untypischer Merkmale des Fossils aber, die Adapidae anders als zuvor nahe zu den Trockennasenaffen zu stellen, zu denen zum Beispiel Menschen, Schimpansen und Gibbons gehören [2]. Das Fossil wäre damit womöglich sogar ein uralter Vorfahre von Homo sapiens.

Diese Interpretation lehnten mehrere Wissenschaftler ab, unter anderem auch Ross: Die gesamte Publikation sei stellenweise "eine Farce" und ignoriere Erkenntnisse, die über 20 Jahre hinweg gesammelt worden seien. Dies wollte das Team um Ross nachholen und konstatiert nun, dass Darwinius zwar tatsächlich zu den Adapidae gehöre, diese Gruppe aber wegen bedeutender Ähnlichkeiten zu den ursprünglichen Feuchtnasenaffen zu zählen ist. Ross' Gruppe bestätigt damit auch jüngste Untersuchungen von Erik Seiffert von der Stony Brook University, der auch zu dem Schluss gekommen ist, dass die ursprüngliche Gruppe der Adapidae zu den Lemurenvorfahren gehört und nicht zu den Trockennasenaffen [3].

Die Vorstellung des nach der Tocher des Studienleiters Hurum "Ida" getauften Skeletts von Darwinius war parallel zur Fachpublikation als gezieltes Medienereignis vor geladenen Gästen erfolgt, was Kritik aus der Wissenschaftlergemeinde hervorgerufen hatte. (jo)

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