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Autoimmunkrankheiten: Gefühlskrank

Jede längere Krankheit drückt aufs Gemüt - und manche schlägt, ohne den Umweg über den Entzug von Lebensfreude, sogar sehr direkt in den Emotionszentren des Gehirns zu. Verdächtigt wird nun eine ganze Reihe von Krankheiten, bei denen das Immunsystem sich gegen den eigenen Körper wendet.
Autoimmunkrankheiten – bei denen die körpereigene Gesundheitspolizei fehlgeleitet gegen den eigenen Organismus vorgeht – liefern Ursachenforschern oft ein typisches Henne-Ei-Problem: Gehen hierbei Immunabwehrkräfte nur übertrieben gegen eine krankmachende Ursache vor? Oder verursachen sie ein Problem überhaupt erst wegen ihrer unprovozierten Attacken gegen eigentlich harmlose Angriffsziele?

Schwer zu sagen für Mediziner, die ja meist erst dann genau hinschauen können, wenn das Gewirr von Reaktion und Gegenreaktion schon im vollen Gange ist. Nehmen wir etwa die "Wolfsröte" oder "Schmetterlingsflechte". Auch bei Lupus erythematodes, so der wissenschaftliche Sammelname für diese sehr unterschiedlich verlaufende Autoimmunerkrankung, kann der Faden des verwickelten Krankheitsknäules an mehreren losen Enden aufgenommen werden. Zum Beispiel so: Im Blut Erkrankter finden sich viele Antikörper gegen doppelsträngige DNA. Produziert werden sie offenbar zum einen dadurch, dass der notwendige Abbau überschüssiger Erbgutmoleküle durch den verantwortlichen Zerhäcksler Desoxyribonuclease 1 (DNase1) gestört ist – die mangelhafte DNA-Beseitigung könnten die Entwicklung der Erkrankung forcieren.

Gründe könnten aber auch eine fehlerhafte Etikettierung von körpereigener DNA mit Methylgruppen und eine zu lange Verweildauer von eigenen Zellkernbestandteile im Körper sein, die dann letztlich das Immunsystem zur Attacke herausfordern. Bei Erkrankten löst all dies jedenfalls irgendwie, je nach Krankheitstyp, verschiedene Symptome wie generelle Organschäden, scheibenförmige Hautrötungen, chronische Nierenschäden oder Knotenbildungen im Unterhautfettgewebe aus.

In die eine Richtung weiterverfolgt führt der Faden bislang für die Forschung noch weit gehend ins Nichts: Warum die DNAse zum Beispiel eigentlich versagt, bleibt vorerst im Dunklen. Am Faden in die andere Richtung – Was lösen die zu zahlreichen Antikörper denn aus? – sind Forscher dagegen schon besser vorangekommen.

Etwa auch Patricio Huerta und seine Kollegen von der Cornell-Universität. Die Wissenschaftler widmeten sich der systemischen Form des Lupus, die alle Organe betreffen kann – auch das Gehirn: Bei schwerem Lupus-Krankheitsverlauf attackieren fehlgesteuerten Antikörper auch Hirnneuronen und sorgen in der Folge für charakteristische Ausfälle, etwa Hirnschläge, und neuropsychiatrischen Auffälligkeiten der Betroffenen.

Huerta und Kollegen wollten nun zunächst herausfinden, wie die Antikörper überhaupt so nahe an ihre Hirnangriffsziele herankommen konnten. Denn im Normalfall haben Antikörper – ob fehlgeleitet, hochkonzentriert oder auch nicht – keinen Zutritt zum Gehirn selbst: Bei Gesunden verwehrt eine Art zellulärer Türsteher, die Blut-Hirn-Schranke, Immunproteinen den Übertritt vom Blut in die das Gehirngewebe umsickernde Flüssigkeit.

Die Forscher schufen daher gentechnisch eine Versuchsmausfamilie, in deren Blut wie bei Lupus-Patienten große Mengen der für die Erkrankung typischen Antikörper gegen körpereigene, doppelsträngige DNA zirkulierten. Zwar litten diese Tiere bald an typischen Lupus-Symptomen, weil sich die Immunglobulin-Überschüsse etwa in den Nieren anreicherten. Dem Gehirn der Mäusen konnte dies aber zunächst nicht nicht viel anhaben – bis die Forscher zusätzlich begannen, mit bereits zuvor erprobten Mitteln an der Blut-Hirn-Schranke der Tiere herumzumanipulieren: Zum Beispiel durch die Injektion von bakteriellen Zuckermolekülen (LPS), mit der die Wissenschaftler eine massive Bakterieninfektion simulierten, oder durch die Gabe von Adrenalin.

Beides sorgt für eine erhöhte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke. Und beides hatte Folgen für die Versuchsmäuse: Kollabierte die Hirnbarriere wegen der hohen LPS-Konzentration, so attackierten Antikörper im Gehirn insbesondere die gedächtnissteuernde Hippocampus-Region, versagte die Schranke infolge von erhöhten Mengen an Adrenalin, so griffen sie vermehrt Neuronen im seitlichen Mandelkern an – genauer Nerven der lateralen Amygdala, einem Emotionszentrum. Was in beiden Fällen prompt auch das Verhalten der Tiere änderte, wie die Forscher nachweisen konnten: Mäuse mit angegriffenen Hippocampus-Neuronen zeigten in Verhaltenstest plötzlich Schwächen bei vom Kurzzeitgedächtnis abhängigen Aufgaben, gestörte Amygdala-Nerven sorgten dagegen für vermehrt anormal-furchtloses Auftreten der Tiere.

Auto-Antikörper, die eigene Zellen angreifen, können also die Emotionen und das Verhalten von Betroffenen beeinflussen. Nicht völlig überraschend, meinen die Forscher: schließlich seien – auch bei Menschen – schon viele neuropsychiatrische Syndrome und Bewegungsstörungen, ja sogar Schizophrenie und Autismus bereits mit einer erhöhten Menge an gegen Hirnneuronenziele gerichteten Antikörpern im Blutserum in Zusammenhang gebracht worden. Durchschlagende Wirkung habe dies aber nach ihrer Erkenntnis erst dann, wenn diese Antikörper an dem ausgeknockten Türsteher zwischen Blut und Hirn vorbeikommen können.

Statt der Lupus-Krankheit ein paar Geheimnisse mehr zu entreißen, haben die Forscher nun also ein paar zusätzliche komplexe Problem-Wollknäuel ineinander verheddert – und demnach auch noch ein paar Fragen mehr. Warum etwa greifen identische Antikörper Neuronen unterschiedlicher Gehirnbereiche an, wenn sie eine unterschiedlich aufgeweichte Blut-Hirn-Sschranke umgingen? Wie könnte das Einsickern gebremst werden? Und vor allem: Was sorgt unter natürlichen Bedingungen – also etwa bei Lupus-erkrankten Patienten – dafür, dass die Hirn-Schranke die fatal vermehrten Autoimmun-Antikörper nicht länger aus dem Gehirn fernhalten kann? Die Antwort darauf könnte durchaus häufige Adrenalin-Stöße aufgrund von Stress sein, nehmen die Wissenschaftler an – ein weiteres Puzzlestück für das komplizierte Gesamtbild der wolfsroten Autoimmunkrankheit.

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