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Roboterhände: Gefühlvoll bis in die Fingerspitzen

Roboter bekommen immer menschlichere Hände. Damit können sie noch mehr Jobs von uns übernehmen. Doch auch Prothesen werden flexibler.
Roboterhand

Einige Onlineshops bieten ihren Kunden Obst- und Gemüsekisten im Abonnement an. Sobald eine Bestellung eingeht, müssen die Mitarbeiter die Kisten manuell verpacken. Jede Automatisierung wäre hier extrem schwierig: Ein Roboter hat keine Ahnung, wie er mal eine Zucchini und mal einen Salatkopf anpacken soll. Dabei wären Roboter sowohl in der Logistik als auch bei der Ernte gefragte Helfer. Forscher möchten ihnen deshalb endlich flexible Hände verpassen – nach menschlichem Vorbild.

Das ist leichter gesagt als getan. Unsere Hand lässt sich nicht einfach nachbilden, denn sie ist Teil eines komplexen biologischen Systems. "Wenn wir zum Beispiel einen Stift in die Hand nehmen, bezieht unser Gehirn Informationen von der Haut, von Muskeln, Sehnen, Gelenken und sogar von unserem Gleichgewichtssinn", sagt Psychologe Martin Grunwald, der das Haptik-Forschungslabor an der Universität Leipzig leitet und Ingenieure bei der Entwicklung von mechanischen Händen berät. "Unser Körper verfügt über rund 900 Millionen tastsensible Rezeptoren. Man kann sich vorstellen, was für eine gigantische Signalflut das Gehirn gleichzeitig verarbeiten muss, sobald wir nach etwas greifen".

Pneumatische Hand | Dank speziell geformter Luftkammern lassen sich die Finger dieser Hand zum Zugreifen bewegen. Das Besondere ist die Flexibilität: Die Finger können sich an den zu greifenden Gegenstand anschmiegen.

In den letzten Jahren sind Roboterhände dennoch immer menschenähnlicher geworden. Grund ist ein Umdenken unter den Ingenieuren. "Früher gingen sie davon aus, dass ein Roboter die Geometrie eines Objekts genau verstehen muss, um es zu greifen", sagt Oliver Brock vom Robotics and Biology Laboratory der Technischen Universität Berlin. "Ein Roboter musste zum Beispiel einen Stift erst identifizieren und abmessen, damit die Software genaue Anweisungen geben kann, wie die mechanische Hand damit umgehen soll." Roboterhände waren daher recht unflexibel.

Drucklufthand ist besonders anpassungsfähig

Brock hat mit seinem Team eine Hand entwickelt, die sich an beliebige Gegenstände anpasst. Ihr Geheimnis: Sie funktioniert mit Druckluft. Deshalb hat sie gewisse Ähnlichkeiten mit Latexhandschuhen, die sich beim Aufpusten wie ein Ballon aufblähen. Die Roboterhand ist allerdings aus Silikon und verfügt über sieben Luftkammern. Wenn die Hand ein Objekt berührt, erhöht sich an dieser Stelle in ihrem Innern der Druck. Die Luft verteilt sich neu, weil die einzelnen Kammern miteinander verbunden sind. Die anderen Finger ziehen nach, und die Hand schließt sich. "Die Hand ist sozusagen ein in Silikon gegossener Berechnungsmechanismus, der durch den dynamischen Luftdruck einen robusten Griff erzeugt", erläutert Brock.

© TU Berlin
Pneumatik hilft beim Zugreifen
Eine pneumatisch bewegte Hand der Berliner Forscher zeigt, dass trotz des einfachen Aufbaus diverse Griffe ausgeführt werden können.

Die Hand ist natürlich robuster als ein Latexhandschuh. "Das momentane Material hat zwar seine Grenzen", sagt Brock. "Wir nutzen weiches Silikon, weil die Herstellung leicht ist und wir in der Grundlagenforschung keine Lastwagen hochheben. Wir könnten das Silikon aber durch Gummi ersetzen, wie man ihn bei Autoreifen benutzt, oder die Finger mit Stahlseilen stärken. So eine Hand wäre robust genug, um ein Smartphone zu zerquetschen."

Derzeit arbeitet Brocks Team daran, die Hand mit Sensorik auszustatten: Kraft-, Kontakt- und Dehnungssensoren. Sie würden der Robotersoftware Feedback geben, zum Beispiel ob der Gegenstand fest genug in der Hand liegt. Falls ein Roboter einem Menschen eine heiße Tasse Tee reichen würde, könnte die Software mittels Sensorik entscheiden, zu welchem Zeitpunkt die mechanische Hand die Tasse loslassen muss, damit diese bei der Übergabe nicht auf dem Boden zerschellt.

Hände für den Weltraumeinsatz

Die Pneumatikhand ist freilich nur einer von verschiedenen Ansätzen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat in den letzten 20 Jahren ein ganzes Arsenal an Roboterhänden entwickelt. Ein neueres System ist die DLR Hand II. Sie wiegt 1,8 Kilogramm und besteht aus vier Fingern mit jeweils vier Gelenken und drei Freiheitsgraden. Im Gegensatz zur Pneumatikhand sind Antriebe, Sensoren und Kommunikation direkt in der Hand verbaut, so dass sie auf jeden beliebigen Roboter aufgesetzt werden kann. Getestet wurde sie mit den humanoiden Weltraumrobotern "Rollin Justin" und "Agile Justin".

Die DLR-Roboter nutzen eine Bildverarbeitung, um Arm und Hand bis auf etwa drei Millimeter zu einem Gegenstand zu bewegen. Dann übernimmt die Sensorik der Hand das Abtasten und Greifen. Auch die DLR-Ingenieure haben sich Inspiration von der menschlichen Hand geholt: Was macht ein Mensch eigentlich genau, wenn er mit seiner Hand zugreift? Um einen Stift vom Tisch zu heben, streichen wir zum Beispiel zunächst unsere Fingerkuppen leicht über die Tischfläche und umschließen erst dann den Stift – und zwar mit drei oder vier Fingern. Mit zwei Fingern würde der Stift baumeln. Erst wenn wir ihn robust eingeklemmt haben, heben wir ihn auf. Die DLR-Hände setzen deshalb stets alle vier Finger ein, um etwas zu greifen. Es gibt auch eine DLR-Hand mit fünf Fingern, doch der fünfte Finger hat eher optische Gründe.

Ballspielen mit der Roboterhand

Die DLR-Forscher legten besonders viel Wert auf ein freundliches Äußeres. "Wenn wir unsere Hände auf einer Messe präsentieren, patschen die Zuschauer sie ohne Hemmungen an. Sie haben keinerlei Berührungsängste", sagt Peter Meusel vom DLR-Institut für Robotik und Mechatronik. Das ist nicht selbstverständlich – einige aktuelle Roboterhände sehen eher wie mechanische Spinnen aus.

Die Hand, die Meusel und sein Team entwickelten, ist so schnell, dass sie sogar einen Ball fangen kann. Der Roboter Rollin Justin etwa fing mit der DLR Hand II einen Ball, den ihm Kollege Agile Justin zugeworfen hat. Er musste dazu die Flugbahn berechnen und dann die Hand rückwärts daran entlangführen.

© DLR
Roboter werfen sich Bälle zu
Rollin Justin fängt einen Ball, der ihm von Agile Justin zugeworfen wurde.

Meusel hat nun ein Start-up gegründet, das die Roboterhände künftig an Forschungseinrichtungen verkauft. Sie können die Software weiterentwickeln und verschiedene Einsatzszenarien vorbereiten. Meusel sieht in der produzierenden Industrie einen großen Markt. Dort rücken Arbeiter und Roboter näher zusammen. So könnte künftig in der Montage ein Werkstück zwischen Roboter und Mensch hin- und hergereicht werden – je nachdem, wer welche Arbeit besser kann.

Von den Roboterhänden profitieren auch Prothesenträger

Multisensorische Vierfingerhand des DLR | Auch die Optik spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle: Wenn Roboterhände nach Leichenteilen oder Monstergliedmaßen aussehen, erschwert das die Akzeptanz.

Ein weiterer Markt für sowohl die DLR-Hand als auch die Pneumatikhand sind Prothesen. Je gefühlvoller diese Hände werden, desto interessanter sind sie für Menschen, die ihre Hand oder ihren Arm verloren haben. Noch sind beide Hände dafür allerdings zu teuer. Der Robotiker Joel Gibbard, ehemals an der University of Plymouth, hat auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo nun eine Hand vorgestellt, bei der "Knochen" und "Haut" aus einem 3-D-Drucker kommen. Sie soll nur 650 Pfund kosten – und über Muskelkontraktionen gesteuert werden.

Wenn jemand seine Hand verloren hat, funktionieren die Muskeln im Unterarm noch, so dass das Gehirn sie ansprechen kann. Dabei entstehen elektrische Signale, die als Steuerbefehle für eine Prothese interpretiert werden können. Diese Signale will Gibbard nutzen, indem er Elektroden auf dem Unterarm des Prothesenträgers anbringt. Die Träger müssen dann mit der Trial-and-Error-Methode zunächst die optimale Position für die Elektroden herausfinden. Eine Software soll sie dabei unterstützen. Schwierigkeiten bereiten Gibbard jedoch elektrische Nebengeräusche: Computer, Lautsprecher und andere Geräte stören die Signalweitergabe. Gibbard will solche Mängel noch beheben.

Die DLR-Hand fasst ein Ei | Wenn Roboter mit Menschen zusammenarbeiten sollen, müssen sie präzise und vorsichtig zugreifen können – gleichzeitig darf ihnen der Gegenstand nicht entgleiten. Diese Balance zu halten, gelingt Roboterforschern immer besser.

Der Markt für seine Prothese ist zwar nicht groß, aber dem Entwickler geht es nach eigener Aussage ohnehin weniger um Reichtum als darum, anderen zu helfen. Die Firma Touchbionics bietet bereits eine ähnlich funktionierende Hand kommerziell an, doch sie ist technisch hochkomplex und kostet mit einführendem Training um die 80 000 Euro. Dafür lassen sich einige Griffe und Gesten zusätzlich noch über eine App steuern.

Implantierte Elektroden geben Gefühl zurück

Eine weitere neuartige Prothese, bei der die Elektroden nicht mehr länger auf der Haut aufliegen, hat die Chalmers-Universität in Göteborg kürzlich getestet. Der 42-jährige Patient, ein Lkw-Fahrer, verlor vor zehn Jahren seinen Arm und kann seither viele alltägliche Verrichtungen nicht mehr ausführen – weder Eier schälen noch die Schlittschuhe seiner Kinder zusammenbinden, wie er sagt. Dank seiner neuen Handprothese gelingt ihm das wieder. Der künstliche Arm ist über eine Titanstange am Oberarmknochen verankert. Die Nerven und Muskeln sind direkt mit den neuromuskulären Elektroden der Prothese verbunden, so dass Mensch und Maschine ineinander übergehen. Das hat den Vorteil geringerer Störungsanfälligkeit: Die Prothese erkennt dadurch die Signale besser.

Tastgefühl in der Hand | Die Prothese von Dustin Tyler und Kollegen erlaubt es ihren Trägern durch regelmäßiges Training Dinge zu erfühlen. Das Gehirn beginnt mit der Zeit, die künstlichen Sinnesreizungen, die über drei Oberarmelektroden an Nerven des Tastsinns geleitet werden, richtig zu interpretieren.

Die Forscher wollen die Technik nun weiterentwickeln, bis die künstlichen Finger sogar Tastreize aufnehmen und an den Körper zurückmelden können. Im Labor funktioniert der Ansatz schon: Die Hand erfasst über eine Reihe von Sensoren Daten der Umgebung und schickt sie als elektrische Signale an das Gehirn. In einigen Jahren soll das System marktreif sein. Der Nutzer kann dann zum Beispiel verschiedene Texturen oder Wasser, das über die Hand läuft, erspüren. Igor Spetic, der an der University of Cleveland eine ähnliche Prothese testete, erklärte, dass dank der Testhand sogar der Phantomschmerz aufhörte, den er an der amputierten Stelle fühlte.

Auch Pneumatik könnte für Prothesen taugen

Auch die Pneumatiktechnik wäre grundsätzlich für Prothesen geeignet. Sie hat den Vorteil, nicht viel zu wiegen. Allerdings müsste sie weiterentwickelt werden – mobile Luftdrucksysteme sind bislang zu klobig. "In den letzten Jahren hat man viel Aufwand betrieben, um Batterien und Motoren für mobile Geräte zu verbessern", sagt Brock. "Würde man das Geld in die Erforschung mobiler Kompressoren stecken, wäre das ein ernst zu nehmendes Konkurrenzsystem." Eine Pneumatikhand muss nur einmal fest zugreifen, dann bleibt der Druck erhalten, ohne dass Motoren weitere Kraft aufwenden müssen. Das würde Energie sparen.

Die Experimente verdeutlichen, dass in der Prothetik ein tief greifender Umbruch bevorsteht. Götz von Berlichingen ließ sich 1504 eine Handprothese anfertigen, bei der man die Finger mittels kleiner Zahnräder bewegen und anschließend in der gewünschten Stellung fixieren konnte. Bis vor wenigen Jahren waren Prothesen noch immer moderne Abwandlungen dieser Grundidee. Die jüngsten Experimente lassen hoffen, dass sich unsere komplexe Hand tatsächlich so weit ersetzen lässt, dass die Menschen im Alltag keinerlei Nachteile mehr haben.

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