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Neuroplastizität: Gehörlose nutzen ihre Hörrinde zum Sehen und Fühlen

Ohrmuschel

Das Gehirn lässt nichts ungenutzt: Blinde beispielsweise widmen Teile ihrer Sehrinde speziellen Aufgaben bei der Raumwahrnehmung, und Gehörlose tun dasselbe – wie sich nun zeigt – mit jenen Bereichen, mit denen Hörende Töne verarbeiten. Was zuvor bereits vermutet worden war, konnten jetzt Forscher um Christina Karns von der University of Oregon in Eugene mit einer genauen Hirnscannervermessung nachweisen.

Den Forschern zufolge dienen Teile der Hörrinde, die so genannten heschlschen Gyri, den Gehörlosen zur Verrechnung von gleichzeitigen Seh- und Tastreizen. Dazu hatten sie ihre Probanden in einen funktionellen Magnetresonanztomografen gelegt und ihnen Blinklichter gezeigt sowie leichte Luftstöße auf die Wange verabreicht.

Insbesondere konzentrierten sich die Wissenschaftler auf die taktile Variante eines bekannten Wahrnehmungseffekts, der mit Tönen und Lichtern arbeitet: Kombiniert man zwei kurze, aufeinander folgende Töne mit einem einzelnen Lichtblitz, meinen hörende Probanden, zwei Blitze gesehen zu haben. In seiner Abwandlung für Gehörlose präsentierten die Forscher zeitgleich zum Lichtblitz zwei Luftstöße unmittelbar hintereinander. Während ihre hörenden Kontrollprobanden in diesem Fall nur einen Lichtblitz wahrnahmen, fielen Gehörlosen der Illusion anheim: Sie glaubten, zwei Blitze gesehen zu haben.

Nach Meinung von Karns und Kollegen deutet ihr Ergebnis darauf hin, dass die Quervernetzung von Tast- und Sehsinn bei Gehörlosen besonders ausgeprägt ist. Das dürfte ihnen im Alltag helfen, den Ausfall des Gehörs zu kompensieren. Den Preis dafür zahlen sie offenbar in Form einer höheren Anfälligkeit für Illusionen dieser Art. Die Forscher stellten sogar fest: Je stärker die Hörrinde eines Probanden auf Reize reagierte, desto leichter ließ sich dieser Proband in die Irre führen.

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  • Quellen
J. Neurosci. 32, S. 9626–9638, 2012

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