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Molekularbiologie: Gene und RNA stilllegen

Unser Genom hat einiges mehr zu bieten als nur Gene. Ohne die dazwischen liegenden DNA-Abschnitte würde im Körper nichts funktionieren: Da wären Proteine im Überfluss oder viel zu wenig, Zellen, die sich ungehindert teilen oder stagnieren. Mit den neuen Kenntnissen über die ehemals als "Junk" bekannten DNA-Abschnitte, wollen Wissenschaftler Krankheiten besser verstehen und therapieren.
siRNA auf der Zelloberfläche
Gerade mal zwei Prozent der DNA-Sequenzen, aus denen die Chromosomen aufgebaut sind, kodieren unsere schätzungsweise 30 000 Gene. Den Irrtum, dass jede Körperzelle folglich 98 Prozent nichts sagende DNA-Sequenzen beinhalten müsste, durchschaute die Wissenschaft erst nach einiger Zeit. Aber was wenn nicht Gene könnte das Genom noch kodieren?

Mittlerweile sind die Forscher mehr als der Hälfte der Nicht-Gene, der "Non-Sense-DNA" auf die Schliche gekommen. Am Anfang der Entdeckungsreise fanden sie 1993 erstmals kleine Schnipsel von Ribonukleinsäureketten, die sie microRNAs nannten. In den letzten Jahren erlangten diese RNAs mehr Bedeutung, als man bei ihrem ersten Auftauchen gedacht hätte.

Damals kannte man bereits die Boten-RNA (mRNA) – eine Art Stempelabdruck der DNA-Sequenzen, der lebenswichtig für die Zelle ist, um Proteine herzustellen. Denn erst, wenn Enzyme Gene in mRNA umgeschrieben haben, können Ribosomen daraus Proteine übersetzen. Die microRNAs waren dagegen etwas völlig anderes: Kodiert von "Junk"-DNA, kontrollieren sie ihrerseits fast ein Drittel unserer Gene und entscheiden etwa nach Bedarf, wie viel mRNA in Proteine umgeschrieben wird.

Eine besonders wichtige Rolle der microRNAs ist das Ausschalten von Genen, das Gen-Silencing. Der microRNA-Einzelstrang sucht sich dabei eine passende mRNA und heftet sich an sie, wie eine an die andere Hälfte eines Reißverschlusses. Eine andere Strategie der microRNA ist es, an die Ribosomen direkt zu binden, um die Proteinherstellung zu blockieren. Über diese Mechanismen beeinflussen die kleinen RNAs die Entwicklung, Zellteilung und Krankheiten wie etwa Krebs, Diabetes und Virusinfektionen.

Grüne Meerkatze | MicroRNA-Silencing (miR-122) in afrikanischen grünen Meerkatzen führte zu gesenkten Cholesterin Spiegeln.
Wissenschaftler würden diese wichtigen Genregulatoren deshalb gerne unter ihre Kontrolle bringen, um sie so therapeutisch nutzbar zu machen. Dieser Ansatz hat, verglichen mit der Gentherapie, einen entscheidenden Vorteil: Das menschliche Genom müsste nur vorübergehend, nicht unwiderruflich verändert werden.

Forscher um Sakari Kauppinen von der Santaris Pharmafirma in Horsholm kamen nun auf diesem Weg einige Schritte voran [1]. Sie legten dazu eine der vielen microRNAs – genauer gesagt, den Vertreter "miR-122" – in Leberzellen von afrikanischen grünen Meerkatzen still. Nach der Injektion der Inhibitoren sank wie geplant die Menge der durch miR-122 regulierten mRNA und anschließend auch der Cholesterinspiegel in den Leberzellen der Affen. Das war das erste Mal, das Affen für diesen therapeutischen Ansatz als Versuchskandidaten erfolgreich, also ohne toxische Nebenwirkungen erleiden zu müssen, getestet wurden.

RNA-Interferenz: Arbeitsteilung verschiedener Enzyme | Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin des Jahres 2006 ging an die Amerikaner Andrew Fire und Craig Mello – sie hatten den wichtigen zellregulatorischen Prozess der RNA-Interferenz und die beteiligten biochemischen Mechanismen auseinandergedröselt. Bei der RNAi zerhäckselt die Endonuclease "dicer" zunächst doppelsträngige RNA in kleinere Stücke (siRNA). Der sequenzhomologe antisense-Abschnitt dieser kurzen RNA-Schnipsel wird dann vom "RISC-Komplex" aufgenommen und mit dem Ziel-Boten-RNA-Strang verpaart. Daraufhin schneidet RISC die Boten-RNA ab, sie wird anschließend abgebaut.
Als Inhibitoren in ihrem Versuch diente den dänischen Forschern übrigens ebenfalls ein kleines RNA-Stück: so genannte siRNA, die ihr Ziel über den über den Mechanismus der RNA-Interferenz (RNAi) erreicht, für die Andrew Fire und Craig Mello 2006 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhalten hatten. Die hemmende siRNAs (small interfering RNA) bindet dabei an die passende auszuschaltende RNA – eine Technik, die mittlerweile schon fester Bestandteil klinischer Studien ist, in denen Krankheiten von Parkinson bis zu Krebs untersucht werden. Kauppinens Team hofft daher nicht ganz ohne Grund optimistisch, dass auch die von ihnen erprobten siRNAs, die sich gegen microRNAs richten,demnächst erfolgreich in ersten klinischen Phase-I-Studien bei Menschen angewandt werden.

Das dürften Forscher wie Jayakrishna Ambati allerdings deutlich kritischer sehen. Denn der Wissenschaftler von der Universität Kentucky in Lexington und seine Kollegen warnen in ihrer neuen Studie vor ungeplanten Nebenwirkungen der RNA-Interferenz auf das Gefäß- und Immunsystem [2].

In Versuchen mit Mäusen, die sie ihrerseits mit siRNAs behandelt hatten, traten neben den gewünschten auch unerwünschte Effekte auf: Sowohl spezifische als auch als Kontrolle eingesetzte unspezifische siRNAs unterdrückten die Gefäßneubildung. Kontroll-siRNAs zeichnen sich durch eine Sequenz aus, die nicht in der Mauszelle vorkommt, wie etwa jene eines grün fluoreszierenden Proteins aus Quallen. Daher können sie in den Mäusen mRNA weder binden noch blockieren und dürften somit theoretisch auch keinen Einfluss auf die Mauszellen haben. Weil sie im Versuch aber dennoch eine Wirkung zeigten, machten sich die Wissenschaftler auf die Suche nach der Ursache.

Zelloberfläche, an die siRNAs binden | siRNAs (rot) binden über Toll-like-Rezeptoren (TLR) (grün) an die Oberfläche einer Endothelzelle, Zellkern (blau).
Die siRNAs, so fanden Ambati und Kollegen heraus, erreicht ihr Ziel, den Zellkern, gar nicht erst: Spezielle Zelloberflächenproteine, aus der Gruppe der Toll-like-Rezeptoren (TLR) fingen die kleinen RNAs schon vor der Zelle ab. Dadurch verhinderten sie, dass Blutgefäße im Auge, der Haut und vielen anderen Organen wachsen konnten, erklärte Ambati. Denn in Mäusen, denen TLR fehlte, waren auch die unspezifischen Kontroll-siRNAs wieder wirkungslos.

Ambati beeilt sich zu erklären, dass er damit keinesfalls den immerhin nobelpreisgekrönten Mechanismus der RNA-Interferenz in Frage stellen wolle. Allerdings würden aber siRNAs den Ergebnissen zufolge eben nicht ausschließlich über den etablierten Reaktionsweg funktionieren.

siRNA-Bindung an TLR | Kristallstruktur , die die Interaktion zwischen siRNA-Helix (orange) und den Toll-like-Rezeptoren (TLR) (grün, cyan) über RNA-Bindungsmuster (rot, magenta) in einem Model zeigt.
Dass siRNAs Blutgefäße daran hindern zu wachsen, sehen die Forscher auch unter einem positiven Aspekt: Viele Krankheiten kennzeichnen sich schließlich dadurch, dass sich Blutgefäße ungewollt ausbreiten. Dazu zählen beispielsweise Krebs und eine häufige altersbedingte Sehstörung. Vorsicht sei aber stets geboten, da auch das Wachstum von Blutgefäßen anderer Organe in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.

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