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News: Genetische Bienen-Berufswahl

Soziale Insekten leben in einem starren Korsett festgelegter Verhaltensweisen. Lässt sich an ihren Genen ablesen, welche Aufgaben sie wann übernehmen?
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In Diskussionen um menschliches Verhalten taucht ein Satz immer wieder auf: "Es liegt in den Genen." Anerkanntermaßen beeinflusst das gesammelte genetische Arsenal eines Individuums, wie dieses in bestimmten Situationen mit bestimmter Wahrscheinlichkeit handelt. Sicher ist aber auch, dass Umwelt und Lebensumstände, Erziehung und andere nicht molekular festgeschriebene Faktoren die letztendlichen Verhaltensentscheidung mitbestimmen.

Menschen zumindest sind also wohl kaum einem unbedingten DNA-Despotismus unterworfen, bei dem die genetische Hardware bestimmte Handlungsautomatismen zwingend vorschreibt. Unser Verhalten lässt sich demnach nicht an den Genen ablesen – gilt das aber auch für weniger komplexe soziale Organismen als den "denkenden" Homo sapiens? Dieser Frage näherte sich ein Forscherteam um Charles Whitfield von der University of Illinois at Urbana-Champaign an einem Untersuchungsobjekt, das auf den ersten Blick als nahezu idealer Verhaltensroboter gelten könnte: der Honigbiene.

Bienen zeigen ein durchaus komplexes Verhaltensrepertoire, scheinen dies aber quasi auf Knopfdruck abzuspielen. So ergreifen Arbeiterinnen in ihrer Jugend stets zunächst den Beruf der Babysitterin in den Brutkammern des Stocks und erfüllen Aufgaben wie das Füttern und Putzen des Larvennachwuchses. Mit zunehmendem Alter wachsen sie in höhere Aufgaben hinein und werden zu Sammlerinnen, die Nektar und Pollen in der Umgebung aufspüren und eintragen – eine Berufung, die gänzlich andere Verhaltensweisen erfordert als die zuvor gefragten.

Wäre Verhalten tatsächlich genetisch beeinflusst, mutmaßten Whitfield und seine Kollegen, so müssten auch deutliche Unterschiede in den genetischen Aktivitäten der Zellen im Zentralnervensystem von Sammlerin und Babysitterin existieren. Die Forscher extrahierten daher aus den Köpfen von 60 Exemplaren aus beiden Bienenberufsgruppen genetisches Material und erstellten daraus einzelne mRNA-Profile, an denen abzulesen war, welche Gene in den Gehirnzellen der Tiere zum Zeitpunkt der Probenentnahme aktiv waren und abgelesen wurden.

Und tatsächlich, die genetischen Aktivitätsprofile der etwa 5500 untersuchten Gene von Sammlerin und Babysitterin waren subtil, aber eindeutig unterschiedlich. Anhand der Analyse-Daten programmierten die Forscher einen Vorhersagealgorithmus, über den ein Computer unbekannte mRNA-Profile einzelner Bienen eindeutig einem bestimmten Bienenberuf zuordnen konnte – mit einer Vorhersagewahrscheinlichkeit von rund 97 Prozent.

Aber: Spiegeln sich tatsächlich unterschiedliche Verhaltensrepertoires in unterschiedlicher Genexpression wieder – oder doch nur das unterschiedliche Alter einzelner Bienen? Schließlich bestimmt das Lebensalter unter natürlichen Bedingungen fast zwingend den Tätigkeitsbereich von Honigbienen. Um dies auszuschließen, züchteten die Forscher einen künstlichen Bienenstaat aus gleichaltrigen Jungbienen. Darin schulen einerseits stets einige junge Bienen vor ihrer Zeit zu dringend benötigten Sammlerinnen um, andererseits aber bleiben einige älter werdende Bienen Babysitterinnen, weil kein natürlicher Nachwuchs rechtzeitig ihre Stellung übernimmt. Auch solcherart geschaffene, gleich alte Bienen beider Berufsgruppen waren anhand ihres genetischen Aktivitätsmusters erkennbar.

Differierende Verhaltsrepertoires bei Bienen spiegeln sich also eindeutig in ihrer Genaktivität wieder. Nun arbeiten die Wissenschaftler beispielsweise daran, einzelne der bei Sammlerinnen stärker aktiven Gene mit einzelnen Verhaltenschritten in Verbindung zu bringen. Eines dieser Gene etwa scheint einer Gen-Variante zu ähneln, die bei den gut erforschten Taufliegen offenbar für rastloses Nahrungssammel-Verhalten mitverantwortlich ist. Die Frage, ob Verhalten "in den Genen liegt", bleibt dennoch auch bei Insekten falsch gestellt: Schließlich zeigen gerade Versuchssituationen wie die im künstlich gleichaltrigen Bienenstaat von Whitfield und Kollegen, dass äußere Notwendigkeiten – wie hier etwa das Fehlen erfahrener Sammlerinnen – genetisch festgelegte Programme situationsbedingt auslösen oder verzögern können. Selbst bei Insekten bleiben Gene also eindeutig nur ein Teil des Ganzen.

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