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Getränke: Wie wird das Bier perfekt?

Hopfen, Malz, Hefe und Wasser - mehr braucht ein gutes Bier eigentlich nicht. Doch die einzelnen Zutaten lassen sich noch perfektionieren. Die Hightech-Züchtungen und die Gentechnik sollen dabei helfen.
Bier - frisch vom Fass

Beim Labormeeting der Gruppe um Kevin Verstrepen geht es manchmal ziemlich feuchtfröhlich zu. Die Mitarbeiter vom Vlaams Instituut voor Biotechnologie der belgischen Universität Löwen treffen sich zweimal pro Woche an einem Tisch mit vielen schwarzen, tulpenförmigen Biergläsern, dazu Cracker – und Spuckkübel.

Verstrepen hält gerade ein Glas in der Hand und riecht am Duft des Inhalts. "Für mich ist das eine Ethylacetat-Bombe", sagt er und meint damit eine chemische Verbindung, die normalerweise in Süßigkeiten mit Pfirsichgeschmack verwendet wird, in höheren Konzentrationen aber wie Nagellack riecht.

Die Doktorandin Brigida Gallone erkennt zwei Aromen und nennt "Ethylacetat und 4-VG". Das 4-Vinylguajacol riecht nach Rauch, Nelken und nach einer Behandlung beim Zahnarzt – zumindest nach Maßgabe einer vor ihr liegenden Liste mit Geschmacksrichtungen. "Eigentlich mag ich 4-VG schon, aber für mich war da einfach zu viel davon drin." Stijn Mertens ist ebenfalls Student am Institut; er erkennt einen Hauch von nasser Pappe, was häufig in abgestandenem Bier zu finden ist. "Hier ist noch etwas trans-2-Nonenal", fügt er hinzu. Damit beendet die Gruppe ihre Analyse des Gebräus und macht sich an das neunte und letzte Glas – das Ganze um nicht einmal 11 Uhr morgens.

"Es gibt so vieles zu tun, da kann man sich leicht verzetteln", sagt der Postdoc Miguel Roncoroni, bei dem diese Meetings nun schon regelmäßig seit mehr als vier Monaten stattfinden. Sie sind Teil eines Projekts, in dem etwa 200 für den Verkauf hergestellte belgische Biere charakterisiert werden. Die Ergebnisse dieser Verkostungen und genauen Messungen der für Geschmack und Aroma im Bier verantwortlichen Chemikalien wollen die Mitarbeiter nun nutzen, um spezifische Geschmacksprofile zu erstellen. Hiermit könnten sich die künftigen Konsumenten dann auf die Suche nach neuen Biersorten machen, die ihren bevorzugten Geschmacksrichtungen entsprechen.

Bierhefe | Gentechnik soll helfen, die Bierhefen noch besser und effizienter zu machen.

Was ist die perfekte Hefe?

Verstrepen hat aber eigentlich viel ehrgeizigere Ziele, als nur den Bierliebhabern bei der Auswahl ihrer nächsten Flasche zu helfen: Er will die einfach perfekte Hefe entwickeln – mit Hilfe all der Erkenntnisse seiner Forscher über die chemische und genetische Basis des Biergeschmacks. So möchte er Hefestämme mit bisher einzigartigen Geschmacksrichtungen und Eigenschaften züchten, die bei heutigen Bierbrauern und Konsumenten dann gut ankommen.

Die Bierfreaks seines Labors arbeiten irgendwo zwischen einer von Neugierde getriebenen Wissenschaft und der Brauindustrie. Sie bewegen sich einerseits im Feld der Evolution, der Biochemie und der Neurowissenschaften, haben andererseits weltweit Verträge mit Bierproduzenten, von multinationalen Mischkonzernen bis hin zu den aktuellen Trendsettern, den so genannten Craft-Beer-Brauereien. In der Zeitschrift "Cell" erscheint demnächst eine Veröffentlichung mit der Beschreibung des Genoms von 150 Hefestämmen, die zur Herstellung von Bier, Sake und anderen fermentierten Produkten eingesetzt werden – ein Projekt in Kooperation mit einem der Hauptlieferanten von Brauereihefe und einer Biotechnologiefirma mit dem Schwerpunkt synthetische Biologie.

In einer 500 Milliarden US-Dollar schweren Industrie, deren Produkte von den komplexen Interaktionen zwischen Chemie und Mikrobiologie abhängig sind, gelten hoch entwickelte Hefestämme als extrem wichtige Rohstoffe. "Jeder will wissen, was Kevins Labor wieder Neues herausgefunden hat", erzählt der Braumeister Peter Bouckaert von New Belgium, einer der führenden Craft-Beer-Brauereien in Fort Collins im Bundesstaat Colorado. "Alle schauen auf seine Arbeit."

Der Geschmack eines Bieres wird von nur wenigen Zutaten bestimmt (siehe Infografik). Getreide – hauptsächlich Gerstenmalz – liefert Zucker und Grundgeschmack, kann das Gesamtbild aber auch durch andere Noten bereichern, wie beispielsweise Schokolade im dunklen Stout. Hopfenblüten liefern bei so manchem Craft Beer die Noten "bitter" und "tropische Früchte", und im Wasser gelöste Mineralien beeinflussen den vom Getreide und Hopfen kommenden Geschmack. Die Bierhefe Saccharomyces cerevisiae sorgt dann noch für Alkohol, Kohlendioxidblasen und Hunderte von Aromakomponenten, die ebenfalls bei der Gärung gebildet werden: von Isoamylacetat, das dem Hefeweizen seine Bananennote verleiht, bis hin zu 4-VG, das eine Nelkennote bringt.

Forschung aus dem Braukessel

Die Bierbrauer waren die Ersten, die an Hefe forschten. Die dänische Brauerei Carlsberg eröffnete 1875 das erste Experimentierlabor für Hefebiologie, und genau hier isolierte Emil Christian Hansen im Jahr 1883 auch die erste Reinkultur der Bierhefe. In den 1930er und 1940er Jahren entdeckte der bei Carlsberg arbeitende Øjvind Winge, dass Hefe sich sowohl sexuell als auch asexuell vermehren kann. Mit diesem Wissen begann er neue Stämme zu züchten, die andere, den Bierbrauern nützliche Eigenschaften trugen.

Winges Arbeiten brachten letztlich auch die Hefe von der Brauerei in die Labors der Biologen, wo sie inzwischen bei vielen Wissenschaftlern als Modellorganismus zur Untersuchung der Abläufe in komplexen Zellen fest etabliert ist. Viele Brauherren arbeiten allerdings nach wie vor auf dem Stand des 19. Jahrhunderts, zumindest was die eingesetzte Hefe angeht. "Bierbrauer, insbesondere jene mit traditioneller Brauweise, nutzen nicht immer die für ihre Belange optimalen Hefen." Die meisten nehmen für all ihre Biere ein und denselben Stamm, der vor Jahrzehnten in ihrer Brauerei herangezogen oder von anderen eingeführt wurde.

Verstrepen möchte das ändern. Am Anfang seiner Laufbahn arbeitete er in Südafrika in einem Labor, das sich mit Weinhefe beschäftigte; dann wechselte er 1999 an die Universität Löwen und promovierte in einem an Bier forschenden Labor. Aber es störte ihn, dass die meisten Projekte sich nur um die Probleme der Bierbrauer drehten. "Es war wirklich so, dass sich keiner mit der Biologie dahinter beschäftigte", erzählt er. Enttäuscht wechselte er an das Whitehead Institute for Biomedical Research in Cambridge in Massachusetts, wo er als Postdoc bei Gerald Fink arbeitete, einem der Pioniere der Gentechnik in Hefen in den 1970er Jahren.

Modellorganismus auch für Gentechnik

Doch auch wenn viele Wissenschaftler dort Hefe gerne einsetzten – für Bier interessierte sich anfangs niemand, zumindest nicht am Tag, scherzt Verstrepen. Deshalb beschäftigte er sich anfangs auch mit Proteinen, die von pathogenen Hefen genutzt werden, um sich im Gewebe des Menschen anzuheften. Wie Verstrepen herausfand, bestimmt die Anzahl repetitiver DNA-Sequenzen in einem der Hefegene, wie stark sich die Organismen festheften können. "Das ist wie bei Klettschlaufen, bei denen die längeren besser zusammenhalten", erklärt er. Die Proteine sind auch für die Flockenbildung wichtig, durch die sich Hefezellen im Bier zusammenklumpen und ausfallen. Die Flockenbildung variiert unter den einzelnen Braustämmen und beeinflusst den Geschmack, die Trübung und den Alkoholgehalt eines Bieres.

Wie man besser Bier braut

Im Jahr 2005 zog Verstrepen dann innerhalb der Stadt um und richtete sein Labor an der Harvard University ein, wo er sich mit dem Einfluss der verschiedenen repetitiven DNA-Sequenzen bei der Ausbildung der Vielfalt der Hefen konzentrierte. Er lehrte Biologie für Harvard-Studenten und beschäftigte sich auch mit der Braukunst. "Das war ein relativ harter Kurs", erinnert er sich. Danach spielte Bier erst einmal keine Rolle mehr in seiner Forschung, bis er im Jahr 2009 nach Löwen zurückkehrte.

Verstrepen wollte nämlich gern seine Laborforschung mit seinem Interesse für Bier und Wein kombinieren, doch es war eher ein Telefonanruf einer Schokoladenfabrik, der seine Zusammenarbeit mit der Industrie einleitete. Der weltgrößte Kakaoproduzent Barry Callebaut mit Sitz in Zürich benötigte seine Hilfe, um bittere Kakaobohnen in Kakaopulver umzuwandeln, was normalerweise durch die in der Umwelt vorhandenen Hefen geschieht. "Ich fragte ihn erst einmal, ob Schokolade etwa fermentiert würde. Das war nicht unbedingt sehr clever", weiß er heute.

Dennoch wurde das schweizerische Unternehmen der erste Kunde seines Consultings, das inzwischen ungefähr 500 000 Euro pro Jahr einbringt. Die Hälfte der etwa 25 Wissenschaftler seines Teams macht angewandte Forschung über Bier, Biotreibstoffe und weitere fermentierte Produkte; die andere Hälfte der Mitarbeiter arbeitet an Epigenetik, molekularer Evolution und anderen Themen der Grundlagenforschung.

Das Lager im Labor

Auf den ersten Blick sieht es in seinem Labor aus wie in jedem anderen: Zentrifugen, Petrischalen und Pipetten liegen überall auf den Arbeitsbänken; dazu gibt es einen Inkubator voll mit kleinen Glasfläschchen. Fast könnte man sich wie in irgendeinem Labor der Mikrobiologie fühlen, wären all die Flaschen nicht mit einem starken Gebräu aus Gerstenmalz, Zucker und Hopfen gefüllt. Und der Kühlraum hat sogar noch mehr zu bieten. "Hier ist im Moment noch nicht ganz so viel Bier drin", sagt Verstrepen und deutet auf ein paar volle Steigen. In einem Lagerraum stehen dafür Hunderte von schwarzen Gläsern für die Blindverkostung bereit – sie sind undurchsichtig, damit die Geschmackstester nicht sehen, woran sie gerade nippen.

In den Gefrierschränken im Labor lagern etwa 30 000 Hefetypen, einschließlich 1000 Stämmen, die von Bierbrauern, Bäckern und anderen Produzenten weltweit eingesetzt werden. Dazu finden sich ebenso viele Isolate von Früchten, Blumen, Insekten und sogar dem Menschen. In etlichen der Isolate haben die Forscher schon Gene untersucht, die beim Bier für den Geschmack sorgen, und andere, die Braumeister interessierende Eigenschaften bieten. Nun kooperiert das Labor mit dem Hefelieferanten White Labs in San Diego in California und mit Craig Venters Synthetic Genomics im nahe gelegenen La Jolla, mit denen sie einen Stammbaum der Industriehefe erstellen wollen.

Neben all den bekannten Hefetypen lagern im Gefrierschrank auch eine ganze Reihe neu etablierter Stämme mit einmaligen Kombinationen von Merkmalen. Die Forscher züchten sie durch Kreuzung verschiedener Stämme und screenen die neuen Generationen auf Aromen und neuerdings auch die zu Grunde liegenden Gene. Diese so genannte Selektionszucht (englisch: marker-assisted breeding) wird häufig in der Landwirtschaft eingesetzt und werde nach Verstrepens Meinung das Bierbrauen noch stark verändern. Eine kanadische Brauerei hat einen dieser maßgeschneiderten Hefestämme bestellt, um ein würziges belgisches Tripel mit niedrigerem Alkoholgehalt herzustellen. Eine andere Brauerei hat nach einer Hefe gefragt, die schokoladenähnliche Aromen produziert – ein Projekt, das dem Labor bisher noch Kopfzerbrechen bereitet.

Tägliche Massenzüchtung

Mit Hilfe eines Laborroboters können die Forscher täglich Hunderte von Stämmen kreuzen und wesentlich mehr neue generieren, als sie überhaupt zu analysieren und in Geschmackstests zu untersuchen schaffen. Um mit dieser Menge an Organismen zurechtzukommen, arbeiten die Forscher derzeit an der Entwicklung von Mikrofluid-Chips, auf denen im 20-Pikoliter-Maßstab 2000 einzelne Hefezellen zur Gärung gebracht werden können. Gleichzeitig soll der Alkoholgehalt des entstandenen Piko-Gebräus bestimmt werden und – so die Hoffnung – demnächst auch die produzierten Aromen. Die Gruppe arbeitet aber nicht nur im Miniformat: Sie wartet gerade auf die Lieferung eines Kits, um in Zukunft 500-Liter-Chargen ihrer Biere herzustellen und sich damit den Herausforderungen des industriellen Bierbrauens besser stellen zu können.

Gewünscht: ungewöhnliche Aromen wie Stallgeruch und Pferdedecke

Verstrepens Sammlung hält jede Menge einzigartige Geschmacksrichtungen für Braumeister bereit. So suchte Bouckaert beispielsweise einmal so ungewöhnliche Aromen wie Stallgeruch und Pferdedecke, allerdings ohne die übliche Fruchtnote. Bisher wurden schon vier Erfolg versprechende Hefestämme des Labors getestet, doch war wohl keines der Resultate passend für ein neues Bier der New-Belgium-Brauerei. "Kevins Hefen sind nicht ganz das, was wir bräuchten, und nur begrenzt einsetzbar", sagt Bouckaert. "Was nicht heißen soll, dass nicht vielleicht doch in Zukunft noch etwas Großes daraus werden kann."

Die natürlichen Varianten der Bierhefe bieten eine ganze Reihe von Geschmacksrichtungen und anderen Eigenschaften – die Tools zur genetischen Veränderung könnten noch mehr ermöglichen, meint Verstrepen. "Durch Züchtung lässt sich ein Geschmack 10-fach verstärken, durch genetische Manipulation sogar 100- oder 1000-fach. Das haben wir auch versucht", erklärt Verstrepen. "Die Biere schmecken dann aber eher wie Bananen-Milchshakes. Wollen wir das wirklich?" Auch wenn Braumeister von der Arbeit begeistert sind, lässt das Stigma der gentechnisch veränderten Lebensmittel die Forscher im Labor doch eher konventionelle Techniken wie Züchtung und gelenkte Evolution bei der Entwicklung von Industriestämmen einsetzen.

Mittels Gene-Editing-Techniken wie CRISPR ließen sich ebenfalls natürliche Geschmacksvarianten in Hefestämme einbringen, die zwar gute Brauergebnisse, aber wenige Geschmacksnoten liefern. Auf diese Weise könnte man die gleichen Ziele erreichen wie mit konventioneller Züchtung, allerdings wesentlich schneller. Die Zulassungsbehörden beschäftigen sich schon mit der Frage, ob mittels CRISPR generierte Pflanzen und Tiere als gentechnisch veränderte Organismen gelten sollten oder nicht. CRISPR-Biere könnten die Problematik noch anheizen.

Gentechnik doch ein No-Go?

Ein paar Craft-Beer-Brauereien haben im Labor tatsächlich nach genveränderten Hefen gefragt, allerdings erfolglos. Die meisten Betriebe wollen diese auch gar nicht, erklärt Bouckaert: "Die amerikanischen Craft-Beer-Unternehmen wollen Neues – genetische Modifikationen sind aber ein No-Go." Und multinationale Brauereien wollten erst recht nicht mit Gentechnik in Verbindung gebracht werden.

Der in Löwen ansässige, weltgrößte Mischkonzern AB InBev sowie die Brauereien Budweiser und Stella Artois stehen auch zur Zusammenarbeit mit Verstrepen. Philippe Malcorps ist Gruppenleiter in der Abteilung für Hefe und Fermentation; er erzählt, wie AB InBev die Diversität der Wildformen der Hefe nutzen möchte, um Geschmacksnoten und andere Eigenschaften zu finden, die unsere klassischen Bierhefestämme nicht besitzen.

Für einen Großteil der Kooperationen Verstrebens mit Unternehmen bestehen strikte Geheimhaltungsvereinbarungen. "Etliche unserer besten Ergebnisse können wir nicht publizieren und dürfen auch nicht darüber reden", beklagt er. "Für einen Wissenschaftler ist das frustrierend, weil er sich jederzeit mit anderen über die neuen Daten austauschen möchte."

Die kleineren Brauereien sind da offener. Orval ist eine der sechs belgischen Brauereien und wird von Trappistenmönchen betrieben. Das Unternehmen hat Verstrepen letzthin um die Sequenzierung ihres Hausstamms gebeten und dabei jede Art von Geheimhaltungsvereinbarung und Vertrag abgelehnt. "Wo kämen wir denn hin, wenn wir nicht einmal mehr Mönchen vertrauen könnten", sagt Verstrepen, dessen privater Kühlschrank voll von seinem Lieblingsbier der Marke Orval ist. Bouckaert erzählt, wie ihm die Exklusivrechte an Hefestämmen angeboten wurden, die seine Firma testet – aber er lehnte diese ab. "Ich bin Craft-Beer-Brauer und will keine Exklusivverträge. Ich will die Hefen weitergeben!"

Die anwendungsorientierte Forschung hat aber auch zu neuen wissenschaftlichen Ergebnissen geführt. Verstrepens Team kämpft gerade mit einem Projekt, das sich von realen Problemen der Bierbrauer ableitet. Diese setzen die Hefe zur Kostenersparnis oft mehrmals ein. In regelmäßigen Abständen starten sie dann neue Kulturen, lassen diese erst auf Glukose – dem Lieblingsnährstoff der Hefe – wachsen und fügen sie dann zu noch unfermentiertem Bier hinzu, das hauptsächlich aus Maltose besteht.

Die neue Nährstoffquelle wird von den Hefen aber anfangs oft nur schleppend verstoffwechselt, und es kann Tage dauern, bis das Bier vollständig fermentiert ist, was wiederum die Gefahr der Kontamination erhöht. "Hefezellen erinnern sich nicht nur an ihr vorheriges Nahrungsmittel, sondern auch an das ihrer Urgroßeltern bis zu fünf oder sechs Generationen zurück", erklärt Verstrepen. Am Mechanismus scheinen auch Veränderungen von DNA oder Proteinen durch epigenetische Modifikation beteiligt zu sein, was nun von seinem Labor untersucht wird.

Die Forscher haben schon öfter festgestellt, dass gute Biere und gute Wissenschaft Hand in Hand gehen. Im Rahmen seiner Doktorarbeit sollte Mertens neue Hefestämme für Lagerbiere entwickeln. Lagerbier wird bei niedrigeren Temperaturen gebraut als andere Biere, und dabei wird Hefe eingesetzt, die vor mehreren Jahrhunderten bei der Hybridisierung von S. cerevisieae mit der verwandten, kältetoleranten Spezies Saccharomyces eubayanus entstanden ist.

Schmackhaftes überlebt im Labor nicht lang

Auch wenn Lagerbier zu den am häufigsten verkauften Sorten zählt, gibt es eine eher eingeschränkte Bandbreite im Geschmack. Mertens wollte nun die Palette erweitern und brachte verschiedene Stämme der zwei Arten dazu, sich zu kreuzen. Einige der mit diesen neuen Hefen hergestellten Biere schmeckten nach Zwiebeln, und viele wurden schlecht fermentiert. Eines allerdings zeigte die belebende Frische eines guten Pils (ein helles Lager), gepaart mit leichter Note fruchtiger Aromen, die für diese Biersorte sonst ungewöhnlich sind. Das Bier war bei den Labormitgliedern so beliebt, dass sogar Flaschen auf unklare Weise aus dem Kühlraum verschwanden. Nicht umsonst wollen nun mehrere Brauereien den H29 genannten Stamm für ihre Vorhaben ausprobieren.

Mertens fände es natürlich prima, wenn seine neue Hefe zu einem kommerziell erhältlichen Bier führen würde. Er möchte aber auch das Genom der anderen Hefen aus seinen Ansätzen sequenzieren und untersuchen, wie verschiedene Hefearten hybridisieren – vielleicht könnte er auf diese Weise sogar herausfinden, unter welchen Bedingungen die erste Lagerhefe entstanden ist. "Die Braumeister lieben unsere neuen Hefen", sagt er. "Doch uns interessiert auch, wie der Mechanismus der Hybridisierung in der Hefe funktioniert. Das ist weit mehr als nur Bierforschung."

Gegen Ende der morgendlichen Bierverkostung füllen sich die Spuckbehälter langsam. Verstrepen hat noch eine Besprechung mit einem Unternehmen, das DNA-Sequenzierungen durchführt, und Mertens wie die anderen Studenten müssen sich wieder an ihre Projekte machen. Das Labor mag vielleicht Bierliebhaber anziehen – nur tägliche Bierpartys gibt es dort nicht. "Natürlich arbeiten wir mit einem netten Produkt – letztendlich ist es aber Genetikforschung, und wir trinken das Bier auch nicht aus Spaß", lacht Mertens. Zumindest nicht während der Arbeit.

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