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News: Geschlechter-Mathematik

Manche Zwitter vereinen zwar die Vorteile von Männchen und Weibchen, wählen aber - aus ökonomischen Gründen - zumindest zeitweise nur eines beider Geschlechter. Dann ist allerdings irgendwann eine schwere Rollentausch-Entscheidung fällig.
Anemonenfisch
Dass Frauen und Männer gelegentlich über die Schwere ihrer Geschlechterrolle klagen, hat schon seine Gründe: Rein fortpflanzungstechnisch betrachtet, ist es nicht immer günstig, nur einem der beiden Geschlechter anzugehören. Dennoch werden beide benötigt, um die Vorteile sexueller Reproduktion – etwa die Erhaltung genetischer Vielfalt innerhalb der Art – gegenüber einer rein ungeschlechtlichen Vermehrungsstrategie zu ermöglichen.

Einen Kompromiss aus dem Geschlechterdilemma versuchen die Hermaphroditen des Tierreichs: Zwitter, durchaus gängig beispielsweise unter Weichtieren, Würmern, Fischen, Stachelhäutern und Krebstieren, vereinen beide Geschlechter in einem Individuum und profitieren so im Idealfall von weiblicher Fruchtbarkeit und männlicher Potenz.

Natürlich hat die geschlechtliche Doppelköpfigkeit ihren Preis: Funktionsfähige Fortpflanzungsorgane beider Typen müssen aufrechterhalten, die Paarungsrituale beider Rollen erlernt und beherrscht werden. Um diesen Aufwand zu minimieren, sind viele Hermaphroditen nicht simultan zwittrig, sondern zu einem gegebenen Zeitpunkt ihres Lebens entweder nur maskulin oder feminin. Manche Anemonenfische zum Beispiel bleiben von Geburt an zunächst Männchen und wandeln sich später zu Weibchen um, Korallenfische dagegen verhalten sich gerade umgekehrt.

Diese Fischarten und andere derartige "konsekutive" Zwitter haben damit zwar eine komfortable Wahl – aber zugleich die Qual der individuellen Entscheidung über den Zeitpunkt des Wechsel zwischen beiden Geschlechtern: Wann sollte aus einem Männchen besser ein Weibchen werden und umgekehrt?

Evolutionsbiologische Überlegungen liefern auf diese Frage nur theoretische Antworten. Ist die Fitness – die Aussicht auf Reproduktionserfolg eines Individuums – bei älteren oder größeren Männchen einer Art beispielsweise höher als bei kleineren und jüngeren, und gleichzeitig die Fitness von kleinen, jungen Weibchen größer als bei ausgewachsenen und älteren weiblichen Tieren, dann sollten logischerweise alle danach streben, als Weibchen auf die Welt zu kommen und erst später im Leben zu Männchen werden, so wie die oben erwähnten Korallenfische. Bei manchen Muscheln sieht das schon wieder ganz anders aus, etwa weil größere und ältere Weibchen hier viel deutlicher davon profitieren, ihre Körpermasse zur Produktion der aufwändig herzustellenden Eizellen einzusetzen, als große, männliche Muscheln vielleicht davon, mehr Spermien produzieren zu können.

David Allsop und Stuart West von der Universität in Edinburgh untersuchten nun bei 77 konsekutiv zwittrigen Spezies, zu welchem Zeitpunkt diese von einem zum anderen Geschlecht umschalten. Verschiedene, auf den ersten Blick wenig eingängige Parameter wirken bei allen Arten auf die Wahl dieses Zeitpunkts, so etwa das Verhältnis zwischen Wachstumsgeschwindigkeit und Mortalitätsrate. Artübergreifend Einfluss aber spielt, wie die Forscher feststellten, ein ganz einfacher Faktor die entscheidende Rolle: schlicht die Körpergröße der Hermaphroditen.

Egal ob Krebs, Muschel oder Wirbeltier: Alle Zwitter-Arten wählten genau den Zeitpunkt des Wechsels von Mann zu Frau (oder umgekehrt), an dem sie bis auf rund 72 Prozent ihrer maximalen Körpergröße herangewachsen waren. Die mühseligen, vielerlei Lebensumstände berücksichtigenden theoretischen Überlegungen darüber, wann welcher Zwitter wohl sein Geschlecht wechselt, wären demnach durch relativ simple Rechnerei ersetzbar. Ähnlich überraschend simple Korrelationen erwarten die Wissenschaftler nun auch bei den anderen Fortpflanzungs- und Wachstumsparametern.

Hinter all dem müsse, so die Forscher, wohl eine fundamental bedeutsame Gemeinsamkeit aller zwittrigen Lebensabläufe liegen – völlig unerwartet angesichts der enormen Spannweite der unterschiedlichen artspezifischen Fortpflanzungsrituale, Entwicklungsgeschichten und Lebensräume der untersuchten Arten vom zwei Millimeter großen Krebs bis zum eineinhalb Meter langen Fisch. Schade nur: Welche fundamentale Gesetzmäßigkeit damit gemeint ist, bleibt bis auf weiteres nicht einmal theoretisch erklärbar.

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