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Sprache: Gesten lernt man nicht vom Zusehen

Schauen wir uns die Gesten, mit denen wir beim Sprechen unsere Worte unterstreichen, von anderen ab? Nein, sagen Forscher nun. Denn auch Blinde gestikulieren ähnlich.
Gesten

Wenn wir sprechen, nehmen wir meist ganz selbstverständlich unsere Hände zur Hilfe, um unseren Worten Nachdruck zu verleihen. Solche Gesten schauen wir uns allerdings nicht zwangsläufig von anderen ab, sondern sie scheinen sich vielmehr direkt beim Lernen einer Sprache herauszubilden. Das zeigt nun ein Versuch von Forschern um Şeyda Özçalışkan von der Georgia State University in Atlanta. Die Wissenschaftler rekrutierten dafür 40 Personen, die von Geburt an blind waren und entweder Türkisch oder Englisch als Muttersprache beherrschten. Diese verglichen sie mit je 40 sehenden Muttersprachlern.

In ihrem Experiment präsentierten sie allen Probanden Schaukasten-Szenen, in denen verschiedene Figuren eine Bewegung darstellten, also zum Beispiel vor einem Motorrad davonrannten. Die Teilnehmer durften die Szene mit ihren Händen abtasten und erkunden und sollten sie anschließend beschreiben. Dabei beobachteten die Wissenschaftler, dass englische und türkische Muttersprachler grundsätzlich nach einem anderen Muster gestikulierten, um ihre Beschreibungen zu unterstreichen. Dieses Phänomen ist schon länger bekannt: Wie wir gestikulieren, hängt auch von der Sprache ab, mit der wir aufwachsen. So stellen Engländer etwa die Art und Weise und den Pfad einer räumlichen Bewegung im Rahmen einer einzigen, flüssigen Geste dar, während Türken hierfür, ähnlich wie Franzosen, Spanier oder Japaner, typischerweise mehrere verschiedene Gesten nutzen. Diese Unterschiede spiegeln sich schließlich auch auf Ebene der gesprochenen Sprache wider.

Keinen großen Unterschied konnten die Forscher in ihrem Versuch aber zwischen sehenden und blinden Sprechern ausmachen: Ganz gleich, ob sie mit oder ohne Augenlicht aufgewachsen waren, gestikulierten alle Sprecher einer Sprache ähnlich. Für Özçalışkan und Kollegen ist das ein klarer Hinweis darauf, dass die Gesten, die wir beim Sprechen nutzen, auch eng mit unserer Sprache selbst verknüpft sein müssen. Man muss sie als Kind nicht erst bei anderen sehen, um sie sich anzueignen – und deshalb beherrschen sie auch Blinde.

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