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Luftverschmutzung: Gesundheitsrisiko hängt auch von der Art des Feinstaubs ab

Weniger Feinstaub in der Luft genügt womöglich nicht, um die Gesundheit zu schützen. Maßnahmen sollten auf eine besondere Eigenschaft des Feinstaubs abzielen: das Oxidationspotenzial.
Kaminofen mit Holzpellets

Es reicht nicht, insgesamt weniger Feinstaub in die Luft zu blasen: Auch auf seine chemische Zusammensetzung kommt es an. Zu diesem Schluss gelangt das Schweizer Paul Scherrer Institut anhand von Messungen und Modellrechnungen, die jetzt im Fachjournal »Nature« veröffentlicht wurden. Wie das Team berichtet, zielen die üblichen Maßnahmen allerdings nicht auf diesen besonders gesundheitsschädlichen Feinstaub ab, sondern auf die gesamte Feinstaubkonzentration in der Luft.

Das Team um Kaspar Dällenbach vom Labor für Atmosphärenchemie hatte 90 Luftproben an neun Orten in der Schweiz und Liechtenstein gesammelt. Mit Massenspektrometrie analysierte die Gruppe die Zusammensetzung des enthaltenen Feinstaubs, der aus verschiedenen Substanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften besteht. Daraus schloss sie auf dessen Oxidationspotenzial: der Eigenschaft von Feinstaub, Zellen und Gewebe des menschlichen Körpers zu schädigen. Als die Forscher im Labor ihre Feinstaubproben auf Zellen der Atemwege gaben, schütteten diese entzündungsfördernde Botenstoffe aus.

Außerdem bestimmten die Forscher, wo der Feinstaub herrührte. »Das oxidative Potenzial von Feinstaub und seine Menge hängen nicht von denselben Quellen ab«, fasst Dällenbach zusammen. Die meisten Feinstaubpartikel in der Luft bestehen demnach aus mineralischem Staub und sekundären anorganischen Aerosolen etwa von Sulfaten und Nitraten, die vor allem auf die Landwirtschaft zurückgehen. Das Oxidationspotenzial komme dagegen vor allem von menschengemachten sekundären organischen Aerosolen, die aus der Holzverbrennung stammen, sowie vom Abrieb der Bremsen und Reifen im Straßenverkehr. Entsprechend seien Menschen in den Städten nicht nur mehr Feinstaub ausgesetzt als die auf dem Land, sondern auch Feinstaub mit höherem oxidativem Potenzial, besonders in Metropolregionen wie Paris und der Po-Ebene in Italien.

Was bedeutet das Oxidationspotenzial für die Gesundheit?

Gerhard Lammel vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, der nicht an der Studie beteiligt war, hält die Rolle des oxidativen Potenzials im Vergleich zu anderen Treibern negativer gesundheitlicher Effekte noch nicht für geklärt. »Neben Krankheiten, für die oxidativer Stress auf Zellebene ursächlich sein kann, gibt es weitere – nämlich Krebs, Erbgutschädigungen und andere –, die von organischen Schadstoffen ohne Oxidationspotenzial ausgehen, etwa viele kanzerogene und endokrin wirksame Stoffe«, sagt er gegenüber dem Science Media Center.

Die Epidemiologin Barbara Hoffmann vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Düsseldorf sieht das ähnlich. Klar belegt seien die Gesundheitsschäden durch PM2.5 und PM10 – »Particulate Matter« mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 beziehungsweise 10 Mikrometern. Deshalb würden sich diese derzeit am besten als Indikatoren für Feinstaubemissionen eignen. Wie Atmosphärenforscher Rodney Weber vom Georgia Institute of Technology in einem Kommentar in »Nature« schreibt, haben wissenschaftliche Übersichtsarbeiten bislang nur wenig Belege dafür gefunden, dass man besser eine Metrik mit Fokus auf die Zusammensetzung oder Quelle der Aerosole verwenden sollte.

Bisher werde grundsätzlich nur die Partikelmasse von Feinstaub – PM2.5 – zur Risikobewertung herangezogen, die erheblich variierende chemische Komposition aber in der Regel vernachlässigt, bestätigt Stefan Reis vom Centre for Ecology and Hydrology in Edinburgh dem Science Media Center. Doch die Bewertung von Feinstaubemissions-Minderungen anhand des Oxidationspotenzials zeige »zum Teil erhebliche Unterschiede im Vergleich zu der Methode, die lediglich auf der Feinstaubmasse basiert«, sagt er mit Blick auf die Studie. Damit könnten Feinstaubquellen wie Reifen- und Bremsabrieb sowie organische Feinstaubkomponenten in den Fokus der Forschung rücken und zu effizienteren Strategien führen.

Auch der Epidemiologe Josef Cyrys vom Helmholtz Zentrum in München hält das Messen von anderen Parametern zusätzlich zur Masse von PM10 und PM2.5 für hilfreich. »Die Forderungen, weitere Parameter zusätzlich zur Masse von PM10 und PM2.5 zu berücksichtigen, sind nicht neu«, sagt er. Die Ergebnisse seien nicht immer eindeutig, aber es bestehe der Verdacht, dass die Partikel aus Verbrennungsprozessen toxischer sind als sekundäre Sulfate oder Nitrate.

Schlechte Luft zählt zu den größten Gesundheitsrisiken, und das nicht erst, wenn die Grenzwerte für Feinstaub überschritten sind. 400 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr gehen laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur auf die Belastung durch PM2.5 zurück. Zwar gingen die Zahlen 2019 dank verbindlicher Regeln zurück. Doch dem Bericht zufolge herrscht in europäischen Städten weiterhin schlechte Luft. 85 Prozent der Menschen leben in Städten, deren Feinstaubwerte die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation überschreiten.

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