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Biomechanik: Gierende Geckos

Zeigt her eure Füße: Unter diesem Motto stand bislang die Forschung an den vierbeinigen Klettermeistern der Tierwelt - den Geckos. Längst versuchen Ingenieure, das haarige Haftprinzip der Reptilien nachzubauen, mit mehr oder weniger Erfolg. Doch wer die Geschicklichkeit der Echsen wirklich verstehen will, muss den Blickwinkel etwas erweitern.
Gecko im freien Fall
Ob ein Gecko Pate stand für den Ausdruck "Sieben-Meilen-Stiefel"? Durchaus denkbar: Wer in einer Sekunde mit dreißig Schritten an einer senkrechten Wand das 15-Fache der eigenen Körperlänge zurücklegt, der muss Zauberfüße haben. Die Echsen sind optimal daran angepasst, Flächen jeglicher Neigung, auch über Kopf, zu erklimmen und oben zu bleiben: Winzige Härchen an ihren Fußsohlen sorgen mit Van-der-Waals-Kräften innerhalb von wenigen Millisekunden für gute Haftung, die sich aber – sonst wäre sie widersinnig – ebenso schnell wieder lösen lässt. Eine Konstruktion, deren Nachbau Bioniker in Laboren weltweit beschäftigt.

Aber auch Geckos stolpern, rutschen und stürzen sogar ab – und das gar nicht so selten. Anlass für Robert Full von der Universität von Kalifornien in Berkeley und seine Kollegen, statt den Füßen einmal einem weiteren Körperteil ihre Aufmerksamkeit zu widmen, das bei anderen Tieren für wichtige Halte- und Steuerungsfunktionen bekannt ist: dem Schwanz.

Schlüpfiges Büromaterial

Um dessen Rolle genauer verfolgen zu können, brachten sie ihre Geckos kontrolliert zum Straucheln. Dafür nutzten sie ein häufiges Büroutensil: Mit Faserstiften bemalte Magnettafeln erwiesen sich als zu glitschig für die sonst so haftfreudigen Füße von Cosymbutus platyurus, dem in Asien heimischen Saumschwänzigen Hausgecko.

Verloren die Tiere nun mit den Vorderbeinen den Halt, stoppten sie jedoch die Rutschparty in Millisekunden mit dem Schwanz, den sie gegen den Untergrund pressten. Reichte das nicht aus und drohte eine Drehung um die Körperachse, nutzten sie ihn sogar wie einen Fahrradständer, um die Bewegung anzuhalten.

Angesichts der schnellen und bei allen Tieren gleichen Reaktion "könnte es sich um einen Reflex handeln", erklären Full und seine Kollegen. Zuvor hatten sie beobachtet, dass die Geckos den Schwanz von der Oberfläche abhoben, wenn sie ausgesprochen guten Halt hatten, ihn jedoch schon dann als zusätzliche Hilfe einsetzten, sobald die emporzukletternde Wand etwas schlüpfrig wurde.

Und im freien Fall? Stürzten die Geckos in Rückenlage ab, nutzten sie ihren Schwanz effektiv als Schwunggewicht: Erst klappten sie ihn senkrecht zur Körperachse nach unten, schwangen ihn dann im Kreis und drehten sich damit innerhalb von hundert Millisekunden wieder in die normale Position mit dem Rücken nach oben – eine bislang unübertroffene Geschwindigkeit bei Tieren ohne hilfreiche Flügel. Dabei spreizten sie die Beine und machten sich breit und flach, um den Fall zu bremsen. Geriet die Körperlage nochmal ins Wanken, stabilisierte der Schwanz, und er korrigierte auch den Kurs bei der Suche nach einem geeigneten Landeplatz.

In einem senkrecht stehenden Windkanal beobachteten die Forscher bei den Geckos sogar regelrechte Landemanöver des Körpers wie bei einem Flugzeug: Sie schwenkten um die senkrechte Körperachse, was in der Luftfahrt auch als Gieren bezeichnet wird. In allen Fällen landeten die Tiere wohlbehalten auf ihren Füßen.

Schwanzlose Geckos hingegen waren schwer beeinträchtigt – und dabei kann ihnen das in freier Wildbahn durchaus passieren: Um einem Feind zu entkommen, wird das Anhängsel an einer Sollbruchstelle geopfert und wächst anschließend nach. Bis zur vollständigen Regeneration jedoch müssen die Tiere mit einer eingeschränkten Sicherung beim Klettern und Fallen leben, dementsprechend stürzten sie häufiger an der rutschigen Stelle ab und schafften im freien Fall nur eine unvollständige Drehung, weshalb sie auch nur halbwegs auf den Füßen ankamen.

Sieben weiche Landungen

Wie Tiere auf allen Vieren landen, beschäftigt Forscher seit mehr als hundert Jahren – 1894 hatte Etienne-Jules Marey untersucht und festgehalten, wie sich beispielsweise Katzen im freien Fall verhalten.

Säugetiere steuern die Bewegung meist, indem sie die Wirbelsäule krümmen, weshalb auch schwanzlosen Katzen die entscheidende Rolle gelingt. Ratten, die den Körper nicht frei bewegen können, schaffen dementsprechend die Ausrichtung in der Luft nicht. Dagegen zeigte sich bei verschiedenen Studien an anderen Echsen bereits, dass sie gekonnt den Schwanz einsetzen. Diese Fähigkeit scheint daher eine Reptilienspezialität zu sein.

Und was wäre Geckoforschung, die nicht gleich eine technische Anwendung findet? In diesem Fall profitierte RiSE – ein kleiner Roboter, der Ziegelmauern, Zäune und Bäume erklimmt: Auch er hat nun einen aktiven Schwanz. Wenn auch dem natürlichen Vorbild näher, wird er ihm allerdings vorerst weiter hinterher hinken.

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