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Gleichgewicht: Stürzend und stolpernd durch den Alltag

Aufrecht gehen ist kompliziert. Mit dem Alter wird es schwieriger. Doch selbst junge Menschen fallen immer öfter hin. Das Gute: Es ist nie zu spät, die Balance zu trainieren.
Frau balanciert auf Baumstamm

In der Öffentlichkeit zu stolpern und hinzufallen, ist ein bisschen peinlich. Glücklicherweise passiert uns das nicht mehr so oft, sobald wir aus dem Spielplatz- und Kindergartenalter heraus sind. Dafür kann es später umso schwerwiegendere Folgen haben, das Gleichgewicht zu verlieren.

Die Zahl der Stürze, die zu schweren Verletzungen oder gar zum Tod führen, nimmt weltweit zu – selbst bei jungen Menschen. Meist ist dabei weder Alkohol im Spiel noch machen die Menschen etwas wirklich Kompliziertes. Sie versuchen lediglich, zu gehen oder zu stehen.

Auch wenn uns das Gehen leichter fällt, sobald wir dem Kindergartenalter entwachsen sind, sollten Sie deswegen Ihre aufrechte Haltung nicht als selbstverständlich erachten. Die Fähigkeit, das Gleichgewicht auf zwei Beinen zu halten, ist eine der wichtigsten evolutionären Errungenschaften des Menschen. Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass wir dabei sind, sie zu verlieren.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellen Stürze nach Verkehrsunfällen weltweit die zweithäufigste Ursache für tödliche Unfälle dar. Laut einer Studie hat sich die Gesamtzahl der tödlichen Stürze zwischen 1990 und 2017 fast verdoppelt. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, das Gleichgewicht zu verlieren.

Eine Annahme: Diese statistische Auffälligkeit liegt lediglich daran, dass die Babyboomer alt werden. Mehr alte Menschen bedeutet logischerweise mehr Stürze. Jüngsten Schätzungen zufolge nimmt die Anzahl der Stürze allerdings deutlich schneller zu, als durch diesen Effekt zu erklären wäre.

Was also ist los? Unsere kollektiv abnehmende Stabilität hat Fachleute dazu veranlasst, sich jenes komplexe Zusammenspiel zwischen Körper und Gehirn genauer anzuschauen, das uns hilft, das Gleichgewicht zu halten. Sie versuchen herauszufinden, auf welche Art und Weise das Ganze mit der kognitiven und der emotionalen Verarbeitung von Signalen verbunden ist. Obwohl das System außerordentlich kompliziert ist, hat sich herausgestellt, dass die wichtigsten Störfaktoren recht einfach sind. Das heißt: Es gibt ein paar Dinge, die wir alle tun können, um unser Gleichgewicht zu verbessern und das Sturzrisiko zu verringern.

Gehen ist kompliziert

Jeder, der in letzter Zeit einmal unbeabsichtigt den Boden geküsst hat, kann sich damit trösten, dass es alles andere als leicht ist, sich auf zwei Beinen fortzubewegen. Vor allem so, wie Menschen es tun: Der Rumpf wird durch die Beine nur sehr schlecht ausbalanciert. Diese Art der Fortbewegung ist so wenig robust, dass wir die einzige Spezies auf diesem Planeten sind, die sie fast ausschließlich nutzt.

Der menschliche Körper sei, wenn er aufrecht steht, von Natur aus instabil, sagt Manoj Srinivasan von der Ohio State University. Der Oberkörper macht das Hauptgewicht aus, darunter kommt eine im Verhältnis zu unserer Körpergröße winzige Stützbasis. Als wäre das nicht schon problematisch genug, liegt unser Körperschwerpunkt auch noch weit oben, etwa auf Beckenhöhe, ein klein wenig vor unseren Knöcheln. Selbst wenn wir keinen schweren, umherschwingenden Kopf und Brustkorb hätten, wäre der aufrechte Gang eine Herausforderung.

Dass uns das Gehen dennoch problemlos gelingt – zumindest, sofern wir gesund sind –, haben wir einem ausgeklügelten Gehirn-Körper-Netzwerk zu verdanken. Es ordnet die Informationen ein, die es von unseren Muskeln, den Augen und dem Gleichgewichtssystem im Innenohr empfängt. Anschließend steuert es die Muskeln der Beine und des Rumpfes an, um die Körperhaltung entsprechend anzupassen. Die Beinmuskeln leisten dabei die meiste Arbeit. »Wir würden umfallen, wenn wir beim Stehen die gesamte Beinmuskulatur abschalten würden«, sagt Srinivasan.

Die sich ständig ändernden Informationen aus Muskeln, Gelenken, Sinnen und der Umwelt zu integrieren, erfordert eine gewaltige Rechenleistung. Neurowissenschaftler verstehen nicht vollständig, wie das Gehirn diese Aufgabe bewältigt. Einige der wichtigsten Akteure haben sie aber bereits identifiziert. Dazu gehört zum Beispiel das Kleinhirn. Die kleine, knollenförmige Region liegt im hinteren, unteren Teil des Gehirns und enthält mehr Neurone als alle anderen Hirnareale zusammen. Evolutionswissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass es rasch an Größe zunahm, sobald unsere Vorfahren begannen, auf zwei Beinen zu gehen (siehe »Als der Mensch zum Zweibeiner wurde«).

Der Zusammenhang zwischen Psyche und Gleichgewicht

Studien belegen, dass Angst, Depressionen, Schizophrenie und andere psychische Erkrankungen die Gleichgewichtsfähigkeit beeinträchtigen, sowohl beim Gehen als auch beim Stehen.

Dafür gäbe es viele mögliche Gründe, sagt Ron Feldman von der Tel Aviv University. Menschen mit Depressionen neigen zu einer gebückteren Körperhaltung und bewegen sich oft deutlich langsamer. Wenn sie stolpern, ist das Risiko höher, dass sie die notwendigen Ausgleichsbewegungen zu langsam ausführen. Zum Krankheitsbild einer Schizophrenie gehört oft eine schwankende Körperhaltung, was es den Menschen erschwert, visuelle Reize mit anderen Komponenten des Gleichgewichtssystems zu verknüpfen. Und die Angst vor einem Sturz kann die Körperhaltung von Personen mit Angstzuständen paradoxerweise so beeinflussen, dass ein Sturz wahrscheinlicher wird.

Dieses Wissen hat sich allerdings bisher noch nicht in den aktuellen Diagnose- oder Behandlungsmethoden niedergeschlagen. »Bei psychischen Erkrankungen werden die körperlichen Komponenten in der Regel nicht berücksichtigt«, sagt Feldman. Das sei eine vertane Chance. Denn der Zusammenhang zwischen Gleichgewicht und psychischer Gesundheit ließe sich möglicherweise auf positive Art nutzen: Körperliches Gleichgewichtstraining könnte auch der psychischen Gesundheit zugutekommen.

Unsere Fähigkeit, schnell auf verschiedene Situationen zu reagieren, haben wir unserem Gehirn zu verdanken. Es trifft Vorhersagen auf der Grundlage früherer Erfahrungen. Einige Neurowissenschaftler nehmen an, dass diese Prozesse im Kleinhirn ablaufen. Es ist mit anderen Hirnregionen vernetzt, etwa mit dem motorischen Kortex, der unsere Bewegungen steuert. Die Informationen werden dabei in geschlossenen Schleifen hin- und hergeschickt. Das Kleinhirn fungiere als eine Art Außenstelle, die Informationen superschnell verarbeitet und alle anderen Prozesse unterstützt, sagt die Kognitionswissenschaftlerin Jessica Bernard von der Texas University: »Man schickt Dinge dorthin zurück, um sie noch effizienter zu verarbeiten.« Das Kleinhirn sende auch Informationen und helfe uns, unser Verhalten anzupassen.

Torkelnd durchs Leben

Dass das Kleinhirn bei der Kontrolle von Bewegungen eine Rolle spielt, ist schon lange bekannt. Die jüngere Forschung hat nun gezeigt: Es spielt auch bei der Feinabstimmung unserer Gedanken und Emotionen eine Rolle. Das könnte erklären, warum manche psychischen Erkrankungen oft mit Gleichgewichtsstörungen einhergehen (siehe »Der Zusammenhang zwischen Psyche und Gleichgewicht«). Es könnte zudem erklären, warum sich Menschen, die dazu aufgefordert werden, eine kognitiv anspruchsvolle Aufgabe zu erledigen, nicht so gut ausbalancieren können. Diejenigen, die bei solchen Studien ihre Aufmerksamkeit darauf richten, das Gleichgewicht zu halten, schneiden hingegen bei der kognitiven Aufgabe schlechter ab. Sprachliche Bilder, die viele Menschen benutzen, um ihre Gefühle beschreiben wie zum Beispiel: »Ich bin emotional stabil« oder »Meine Gefühle sind aus dem Gleichgewicht geraten«, könnten also durchaus zutreffen.

Als der Mensch zum Zweibeiner wurde

Bisher dachte man, die frühen Menschen hätten sich lange Zeit ähnlich wie Gorillas im Knöchelgang fortbewegt. Eine neuere Hypothese besagt jedoch, dass wir schon viel früher zu Zweibeinern wurden: als unsere Vorfahren noch auf Bäumen lebten. Demnach begannen die Baumbewohner vor etwa 15 Millionen Jahren, mehr Zeit im Stehen zu verbringen, indem sie sich zunächst mit den Händen an Ästen festhielten und allmählich selbstständig balancierten. Gemäß einer Studie von 2017 genügt es, einen sich bewegenden Ast mit den Fingerspitzen zu berühren. Dadurch wird ein sensorisches Signal ans Gehirn gesendet, das dem Menschen hilft, das Gleichgewicht zu halten. Das Erlernen des Gleichgewichts ist also ein wesentlicher Bestandteil dessen, was den heutigen Menschen ausmacht.

Gehen scheint den meisten Menschen keine Mühe zu bereiten. Als er sich die Sache genauer anschaute, war Srinivasan allerdings überrascht. Er und seine Kollegin Yang Wang, die ebenfalls an der Ohio State University forscht, hatten an den Hüften, Knöcheln und Füßen von Freiwilligen reflektierende Markierungen angebracht. Mit Hilfe einer Infrarotkamera verfolgten sie die Bewegungen ihrer Probanden, während diese auf einem Laufband gingen. Dabei stellten sie fest, dass selbst das Gehen auf einer ebenen Fläche im Grunde dem Torkeln eines Betrunkenen oder dem Stolpern nach einem unerwarteten Stoß ähnelt. »Stellen Sie sich vor, Sie gehen vorwärts und werden dabei nach rechts geschoben. Sie würden ganz intuitiv mit Ihrem Bein nach rechts ausgleichen und damit eine nach links gerichtete Kraft ausüben«, sagt Srinivasan.

Jeder Schritt ist ein Prozess, bei dem wir uns immer wieder aufrichten, während unser Oberkörper hin- und hertaumelt. Normalerweise sieht es nicht so aus, als würden wir torkeln. Das liegt daran, dass unser Kleinhirn mit den Nerven und Muskeln zusammenarbeitet und in der Mitte jedes Schrittes winzige Korrekturen vornimmt. Srinivasan und sein Team haben gezeigt, wie diese zu Stande kommen: Das Gehirn kontrolliert die Position des Beckens und veranlasst die Beine, ihre Position entsprechend anzupassen. Laut Srinivasan gehen wir nicht, wohin wir wollen, sondern »in die Richtung, in die wir fallen«.

»Wir gehen nicht, wohin wir wollen, sondern in die Richtung, in die wir fallen«
Manoj Srinivasan, Ohio State University

Weil das menschliche Gleichgewichtssystem aus so vielen miteinander verbundenen Teilen besteht, kann es auch auf vielfache Weise gestört werden. Unebener Untergrund, Probleme mit dem Gleichgewichtssinn, eine geschwächte Muskulatur oder eine hohe Geschwindigkeit können es schwerer machen, sich aufrecht zu halten. Eine Schwangerschaft, Krankheiten oder Verletzungen – insbesondere der Beine – können das System so stark beeinträchtigen, dass ein Sturz wahrscheinlicher wird. Auch Entzündungen, die meist mit Übergewicht, Stress, Verletzungen oder Infektionen zusammenhängen, können unser Gleichgewicht beeinflussen und dadurch unseren Gang verändern. Auch das könnte das Risiko für Stürze erhöhen.

Die Jugend verliert das Gleichgewicht

Wenn man Menschen darum bittet, sich mit offenen oder geschlossenen Augen auf ein Bein zu stellen, zeigt sich, dass die Fähigkeit, das Gleichgewicht zu halten, bereits im Alter von 20 Jahren nachlässt. In der Mitte des Lebens steigt also die Wahrscheinlichkeit für schwere Stürze. Doch auch unabhängig davon fallen Menschen immer öfter. Eine Analyse von zwischen 1999 und 2007 erhobenen Daten hat ergeben, dass tödliche Stürze bei Menschen im Alter zwischen 45 und 64 Jahren in den USA um 44 Prozent zugenommen haben. Dieser Anstieg spornt Wissenschaftler an, herauszufinden, welche Komponenten des komplexen Systems hier aus dem Takt geraten.

Ein Problem bestehe darin, dass sich die Kinder heutzutage nicht genügend bewegen, sagt die Physiologin Dawn Skelton von der britischen Glasgow Caledonian University. Wir bauen unsere Stabilität nach und nach auf. Indem es immer wieder hinfällt und aufsteht, lernt ein Kleinkind allmählich, mühelos zu gehen und zu rennen. Je mehr wir dieses System in der Kindheit und im frühen Erwachsenenalter fordern, desto mehr Reserven haben wir, von denen wir im Lauf unseres Lebens zehren können. Zu langes Sitzen, weniger Sportunterricht und kürzere Pausen führten dazu, dass die 20-Jährigen von heute viel wackliger auf den Beinen seien, als sie sein sollten, sagt Skelton. Und von da an geht es nur noch bergab. Die oben genannten Faktoren führen auch dazu, dass die Muskeln, die die jungen Menschen brauchen, um sich aufrecht zu halten, schwächer werden. Laut einer Studie aus England waren dortige Zehnjährige im Jahr 2014 um 20 Prozent schwächer als Gleichaltrige im Jahr 1994.

»Die 20-Jährigen von heute sind viel wackliger auf den Beinen, als sie sein sollten«
Dawn Skelton, Glasgow Caledonian University

In der Mitte des Lebens sitzen wir in der Regel noch mehr, was unsere Kraft weiter schwinden lässt und Stürze wahrscheinlicher macht. Der Trend zum vielen Sitzen ist wahrscheinlich auch mitverantwortlich für die steigende Zahl an Stürzen bei jüngeren Erwachsenen. Einer neueren Studie zufolge sind Millenials – also diejenigen, die um die Jahrtausendwende das Erwachsenenalter erreichten – deutlich schwächer als die Erwachsenen der 1980er Jahre. Alles läuft also auf die Botschaft hinaus: Wenn wir uns zu wenig körperlich betätigen, ist unser Gleichgewichtssystem unterfordert und wird von Tag zu Tag schlechter.

Und das geschieht immer früher. »Ich sehe häufig Menschen mit Mitte 40, die ein schlechteres Gleichgewicht haben als 70- oder 80-Jährige«, sagt Skelton. Früher konzentrierte sich die Sturzforschung auf Menschen ab 65 Jahren; heute untersucht sie Stürze bei 50-Jährigen.

Ein altersbedingter Rückgang der menschlichen Hirnfunktion zeige sich erst ab einem Alter von etwa 50 Jahren, sagt Bernard. Das Kleinhirn ist eine jener Regionen, die zuerst nachlässt, vor allem bei Frauen. Warum das so ist und was genau hier geschieht, ist noch nicht geklärt. Bekannt ist aber, dass das Geschlechtshormon Östrogen eine schützende Wirkung auf das Gehirn ausübt. Wenn Frauen in die Wechseljahre kommen, nimmt die Konzentration des Hormons ab – das könnte ein Teil der Antwort sein.

Glücklicherweise können wir etwas tun, um diesen Prozess zu verlangsamen oder sogar umzukehren (siehe »So kommen Sie wieder ins Gleichgewicht«). Dafür braucht es keine komplizierten Übungen: Es reicht schon, sich auf ein Bein zu stellen, auf einen Gymnastikball zu setzen oder auf einer Linie zu balancieren, die auf den Boden gezeichnet ist. Laut Studien bewirkt ein solches Training Verbesserungen bei Jung und Alt, auch bei Menschen, die zum Beispiel auf Grund der Parkinsonkrankheit Probleme mit dem Gleichgewicht haben.

Hirn hilft

Je mehr man an seinem Gleichgewicht arbeitet, desto besser ist es, oder anders ausgedrückt: Use it or lose it (zu Deutsch: Benutze es oder verliere es). Dafür müssen ältere Menschen aber etwa doppelt so hart arbeiten wie unter 40-Jährige: Eine Studie ergab, dass ältere Menschen 36 bis 40 Trainingseinheiten von mindestens 35 Minuten benötigen, um eine merkliche Verbesserung ihres Gleichgewichts zu erreichen, während Menschen unter 40 offenbar nur 16 bis 19 Trainingseinheiten mit je 15 Minuten benötigen. Darüber hinaus können Gleichgewichts- und Krafttraining helfen, die Angst vor einem Sturz zu verringern, was die Menschen dazu ermutigt, sich mehr zu bewegen. Durch das Training wird also ein gesundheitsfördernder Kreislauf in Gang gesetzt.

Neben dem körperlichen Training könnte es unserem Gleichgewichtssystem auch helfen, wenn wir uns geistig herausfordern. Dadurch werden Hirnareale trainiert, die für die Motorik und andere komplexe Aufgaben zuständig sind, die unter Beteiligung des Kleinhirns erledigt werden. Das reduziert die Rechenleistung, etwa während des Gehens.

Wie das gesamte Gehirn funktioniert auch das Kleinhirn nach dem Prinzip »Use it or lose it«. Das Wichtigste ist also, ihm etwas zu tun zu geben. Einer Studie zufolge war das Kleinhirn von Personen, die 100 Tage lang ein kognitives Training absolviert hatten (über einen Zeitraum von sechs Monaten), weniger stark geschrumpft als bei Menschen, die das nicht getan hatten. Die eigenen Ressourcen zu nutzen, helfe, funktionsfähig zu bleiben, sagt Bernard.

Auch wenn körperliches und kognitives Training für sich genommen schon gut sind, ist es noch besser, beides gleichzeitig zu machen. Tai-Chi erfordert sowohl Konzentration als auch flüssige, körperliche Bewegungen. Die eigentlich als Kampfkunst entwickelte Sportart verbessert nachweislich das Gleichgewicht, steigert die kognitiven Fähigkeiten und verringert die Angst vor dem Fallen. Letzteres gilt übrigens als größter Risikofaktor für Stürze.

Man müsse sich aber nicht für ein spezielles Trainingsprogramm anmelden, sagt Skelton. »Jede Aktivität, die Sie herausfordert, hilft, dem Verlust des Gleichgewichts entgegenzuwirken.« Egal wie alt oder wie trainiert Sie sind – jetzt ist die richtige Zeit, um damit anzufangen.

So kommen Sie wieder ins Gleichgewicht

Sie wollen etwas für Ihr Gleichgewicht tun? Zunächst sollten Sie es testen. Wenn Sie es nicht schaffen, länger als 30 Sekunden mit geschlossenen Augen auf einem Bein zu stehen, sollten Sie unbedingt trainieren, sagt Dawn Skelton von der britischen Glasgow Caledonian University.

Auf einem Bein zu stehen ist ein gutes Maß für die Gleichgewichtsfähigkeit, denn die Übung fordert das gesamte Gleichgewichtssystem. Die mit geschlossenen Augen durchgeführte Version ist besonders aufschlussreich. Denn wenn der Faktor »Sehen« wegfällt, zeigt sich, wie die Muskeln und das Gleichgewichtsorgan im Innenohr allein mit der Herausforderung klarkommen.

»Wenn Sie beim Aufstehen, etwa von einem Stuhl, die Augen schließen, werden Sie spüren, wie Ihre Knöchel und Füße wackeln«, sagt Skelton. Die Physiologin empfiehlt, im Stehen von den Fersen auf die Zehen zu wippen und die Fußmuskulatur gezielt zu stärken: Man kann zum Beispiel üben, mit den Zehen eine Murmel oder einen Stift aufzuheben. Es sei erstaunlich, wie viele Menschen ihre Zehen kaum bewegen könnten, sagt sie. Öfter barfuß zu gehen und leichte Schuhe zu tragen, könne ebenfalls helfen, die Füße gesund und stark zu halten.

Pilates und langsames, ruhiges Yoga sind laut Skelton nicht dazu geeignet, das Gleichgewicht zu verbessern. Zwar seien sie hervorragend für die Stabilität des Rumpfes und könnten auch die Beinmuskulatur so trainieren, dass wir besser aufrecht stehen können. Meist erfolgen die Bewegungen dabei aber langsam, es werden statische Positionen eingenommen. Dabei müssen wir allerdings nicht sensorische Informationen – etwa von den Augen – mit den Signalen aus dem Innenohr verknüpfen. »Machen Sie die Augen auf und bewegen Sie den Kopf: Das trainiert Ihr Gleichgewichtsorgan wirklich«, sagt Skelton.

Das bedeutet also: Wer auf einem fixen Fahrradergometer oder dem Laufband trainiert, tut seiner Gleichgewichtsfähigkeit keinen Gefallen. Der Blick geht schnurgerade aus. Beim Rennradfahren und Mountainbiken in der Natur hingegen gilt es, nach Autos oder Bäumen Ausschau zu halten. Es ist wichtig, sich gut auszubalancieren. Ähnliches gilt für das Laufen im Freien: Man muss Fußgängern ausweichen und unebenen Boden überwinden. Auf dem Laufband hingegen starrt man nur auf einen Bildschirm. Der Schwerkraft entgegenzuwirken, sollte ebenfalls Teil jeder Gleichgewichtsübung sein, ergänzt Skelton. Deshalb sei Schwimmen nicht besonders gut für das Gleichgewicht – obwohl man dabei den Kopf drehen muss.

Wenn Sie es einfach halten und trotzdem Ihr Gleichgewicht trainieren und Ihr Sturzrisiko verringern wollen, können Sie sich an den Empfehlungen des britischen National Health Service orientieren: Üben Sie, seitwärts zu gehen, überkreuzen Sie dabei Ihre Füße oder stellen Sie sich mit offenen oder geschlossenen Augen auf ein Bein. Halten Sie sich zur Unterstützung an einer Wand fest, bis Sie sicher stehen. Wenn Sie es akrobatischer mögen, können Sie üben, auf einem Wackelbrett zu stehen und sich zu bewegen. Laufen Sie Slalom auf flachem oder unebenem Boden oder versuchen Sie, auf Balken oder Baumstämmen zu balancieren – fordern Sie sich heraus!

       

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