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Ökologie: Europas Grenzzäune schaden der Natur

Stacheldraht und Stahlzäune sind wieder Trend in Europa. Sie sollen Menschen abhalten, aber verhindern auch, dass Wildtiere wandern können.
Grenzzäune wie dieser zwischen Serbien und Ungarn werden wieder vielerorts in Europa errichtet.

Mehr als 25 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs und dem Niederreißen der Grenzzäune in Europa sind Stacheldraht und Stahlgitter leider wieder Trend zwischen einzelnen Staaten. Sie sollen verhindern, dass Flüchtlinge uneingeschränkt einreisen können, oder Staatsgebiete strikt abgrenzen, wie dies beim Zaun zwischen der Ukraine und Russland der Fall sein dürfte. Bislang wenig beachtet wurden dagegen die ökologischen Folgen der teils martialischen Sperranlagen: Sie be- oder verhindern die Wanderungsbewegungen zahlreicher großer Säugetiere, die sich nicht an nationale Grenzen halten. Das könne schwer wiegende Konsequenzen für die genetische Vielfalt der Bestände haben und zum Verschwinden kleinerer Teilpopulationen führen, mahnen Biologen um John Linnell vom Norwegian Institute for Nature Research in Trondheim. Sie verweisen zudem auf die Situation in Zentral- und Ostasien, wo Staaten wie die Mongolei teilweise komplett mit Grenzanlagen eingezäunt sind. In Europa wie in Asien sind darüber hinaus zahlreiche weitere Befestigungen geplant, etwa zwischen den zentralasiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie zu China.

Mindestens 30 000 Kilometer an Zäunen und Mauern bestehen an diesen Grenzen, wobei vor allem in Europa während des letzten Jahres zahlreiche neue hinzukamen. Arten wie Bären, Wölfe, Luchse oder Elche können diese Barrieren nicht überwinden. Bestände werden voneinander isoliert und profitieren nicht mehr von einer genetischen Auffrischung durch zuwandernde Einzeltiere. Vor allem kleinere Gruppen sind deshalb vom regionalen Aussterben bedroht. Als Beispiel führen die Autoren die Wanderungsbewegungen von Bären und Luchsen aus dem Dinarischen Gebirge – einem Verbreitungsschwerpunkt dieser Arten – in Kroatien nach Slowenien und von dort weiter in die Alpen an. In den letzten Jahrzehnten nach den Grenzöffnungen zogen immer wieder junge Männchen nach Norden und besiedelten Habitate neu, in denen die Spezies einst heimisch waren und ausgerottet wurden. Die Bären Kärntens stammten beispielsweise vom Balkan; abwandernde Männchen belebten zudem die italienischen Bestände neu. Noch direkter treffen die Grenzzäune zwischen Slowenien und Kroatien mehrere Wolfsrudel, deren Revier auf beiden Seiten der Grenze liegt.

Im Gegensatz beispielsweise zu den USA, wo der Grenzzaun zu Mexiko schon lange von Ökologen kritisiert wird, gebe es dafür unter europäischen Wissenschaftlern noch kaum ein größeres Bewusstsein, so der Koautor Matt Hayward gegenüber der BBC. Die Wissenschaftler nennen jedoch auch Fälle, in denen Zäune bedrohten Arten tatsächlich geholfen haben. In der Inneren Mongolei etwa bewirken die Sperranlagen, dass bedrohte Wildesel nicht nach China ziehen können. Im Gegensatz zur Mongolei werden sie dort heftig (illegal) gejagt. Zudem verhindern die Barrieren, dass die Wilderer staatenübergreifend den Tieren nachstellen können. Dadurch hätten sich die Bestände der Wildesel zumindest mittelfristig erholen können. Ebenso hätten Zäune rund um afrikanische Nationalparks Konflikte zwischen der Bevölkerung und dem Naturschutz entschärft, so die Forscher weiter.

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