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Naturkatastrophen: Tödlicher Erdrutsch war vorhersehbar

Wahrscheinlich starben mehr als 2000 Menschen im Erdrutsch von Abi Barak. Derartige Naturkatastrophen sind häufiger, als man denkt. Der britische Geologe und Fachmann für Naturkatastrophen Dave Petley von der Durham University hat in der Vergangenheit schon viele verheerende Erdrutsche untersucht. Das Ausmaß des Unglücks vom 2. Mai im nordöstlichen Afghanistan hat aber auch ihn erschreckt. Ein Hang gab dort nach schweren Regenfällen nach und rauschte in zwei Wellen zu Tal. Bislang konnten 350 Tote geborgen werden.
Erdrutsch von Abi Barak

Herr Petley, wie gefährdet ist die Region?

Bei einer satellitengestützten Untersuchung im Nordosten Afghanistans wurden im Jahr 2011 insgesamt 34 historische Beispiele für derartige Erdrutsche entdeckt. Sie sind also relativ häufig. Die Geologie Afghanistans in dieser Region ist zweigeteilt: Der anstehende Fels besteht aus einer Mischung von altem kristallinem Gestein und einigen jüngeren Sedimentgesteinen, die wasserundurchlässig und verhältnismäßig hart sind. Darauf liegt jedoch eine dicke Lössschicht – vom Wind transportierter und hier abgelagerter Staub aus den Wüsten im Norden. Er ist relativ locker gepackt und weist größere Abstände zwischen den Partikeln auf, die kaum zusammenhalten, wenn Wasser eindringt. Wahrscheinlich war dieser Erdrutsch der jüngste einer ganzen Serie.

Ist die Zahl der Toten außergewöhnlich hoch?

Alle zwei bis drei Jahre rutscht irgendwo auf der Erde ein Hang nach Regenfällen ab und tötet mehr als 1000 Menschen. Sie finden häufiger statt, als man denkt. Dieser Erdrutsch hier ist wissenschaftlich bedeutsam, weil die Menge des abgegangenen Materials so groß war. Diese Schwachstellen im Löss scheinen ziemlich mobil zu sein, sie können sich schnell fortbewegen, und das auch über weite Strecken. Das ist offensichtlich, denn der Erdrutsch breitete sich nach beiden Seiten aus, als er ins Tal rauschte – der Hangfuß scheint unter einer 20 Meter mächtigen Ablagerung begraben zu sein. Unglücklicherweise lebten dort viele Menschen.

Abi Barak aus der Luft |

Bei einem Erdrutsch in der afghanischen Provinz Badakhshan kamen am 2. Mai 2014 Hunderte von Menschen ums Leben, die genaue Zahl der Opfer ist noch nicht bekannt.

Angesichts der Lage der Ortschaft und der Beschaffenheit des Bodens sei die Katastrophe absehbar gewesen, meint der Erdrutschexperte Dave Petley.

Erhöht der Erdrutsch das Risiko für weitere Naturkatastrophen?

Die Erdmassen riegeln das Tal komplett ab, weshalb sich das abfließende Wasser nun dahinter zu einem See staut. Diese Konstellation kann sehr gefährlich werden, denn irgendwann überflutet der Stausee die Barriere. Das Wasser gräbt eine Schneise in den Damm und kann sich dann flutartig ins Untertal ergießen. In der Vergangenheit traten andernorts deswegen schon sehr kritische Situationen auf.

Hätte man dieses Unglück vorhersehen können?

Die Bilder der Region bei Google Earth sind zwar weder besonders gut aufgelöst noch aktuell, aber sie legen nahe, dass man die Gefahr eines Erdrutsches leicht hätte erkennen können. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Katastrophe ereignet.

Was muss getan werden, um in solchen Fällen künftig die Zahl der Toten zu verringern?

Etwa 85 Prozent aller Todesfälle durch Erdrutsche entfallen auf Asien und dort zumeist auf die sehr armen Staaten – in einem tektonisch sehr aktiven Gelände mit steilen Hängen und starker Verwitterung. Oft destabilisieren Erdbeben und saisonale Regenfälle wie im Monsun oder durch Taifune die Hänge. Mit geeigneten Hilfsprogrammen können wir aber die Zahl der Toten verringern. Ein Kartierungsprogramm für große Hänge mit hohem Gefährdungspotenzial in Afghanistan kostet nur ein Bruchteil der wirtschaftlichen Verluste, die allein dieses einzige Ereignis nun verursacht hat. Entdeckt man einen besonders gefährdeten Hang, kann man ihn vergleichsweise billig überwachen, indem die Menschen vor Ort die Abstände zwischen Fixpunkten messen: Entfernen sie sich voneinander, bewegt sich der Berg. Und dann können sie beispielsweise während heftiger Regenfälle fliehen.

Am 22. März stürzte im US-Bundesstaat Washington ebenfalls ein Hang zu Tal und tötete mindestens 40 Menschen. Zeigt das nicht auch, dass selbst industrialisierte Staaten gefährdet sind?

Dieser Vorfall machte mich wirklich fassungslos. Lässt man einmal Asien außen vor, gab es in den letzten Jahren in keinem reichen Land eine vergleichbare Katastrophe mit so vielen Toten. Momentan verstehen wir noch nicht genau, was dort geologisch geschah. Vergleicht man es statistisch mit früheren Ereignissen, so bewegte sich der Erdrutsch schneller, als normalerweise zu erwarten gewesen wäre, und erstreckte sich über ein größeres Gebiet. Unglücklicherweise lebten dort Menschen in nächster Nähe zu dem Berg, obwohl es ausreichend Warnungen und Berichte gab, dass der Hang gefährdet war und bald wieder nachgeben könnte.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel "Afghan landslide was 'an accident waiting to happen'" bei "Nature News".

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