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Sozialverhalten: Grundlagen einer Sozialschleim-Ethik

Was Du nicht willst, das man Dir tu, das kann sich für einen selbst durchaus lohnen - nach mir die Sintflut! Vorausetzung für den Erfolg solcher Strategie ist allerdings, dass nicht alle zugleich ebenso denken. Und warum sollten die anderen schließlich selbstlos verzichten?
Fruchtkörper von <i>Dictyostelium discoideum</i>
Vielleicht sollte man doch ein Schwein sein, in dieser Welt. Schließlich klappt es oft genug, das gegenseitige Wohlwollen einer sozialen Gesellschaft zum egoistischen Wohl auszunutzen, zur Not unter rüpelhaftem Ellbogeneinsatz. Allerdings: So etwas funktioniert nur solange, bis der für das Gemeinwohl arbeitende Rest auf die Ursachen des Erfolges eines Sozialschmarotzers aufmerksam wird, sich ihn zum Vorbild nimmt und die Kooperationsbereitschaft ebenfalls – ich bin doch nicht blöd! – aufgibt.

Flugs bricht damit aber die ganze schöne, fruchtbare Zusammenarbeit der Gesellschaft zusammen – wobei sie ihre gemeinsam mühsam gestrickte soziale Hängematte mitsamt der von ihr profitierenden Schmarotzer abschafft. Und dabei, wenn keiner gegensteuert, sich selbst. Eine reine Sozialgemeinschaft sich gegenseitig belauernder asozialer Abzocker beraubt sich aller Überlebensgrundlagen.

Schon alles richtig. Nur: Ahnt man, vor die Entscheidung zwischen mühsam-kooperativem oder sorglos-gesellschaftsparasitärem Verhalten gestellt, die Folgen dieser Wahl für das große Ganze? Hat man vielleicht aus eigener schmerzhafter Erfahrung die Nachteile des gegenseitigen Abzockens erfahren oder nur die Vorteile unentdeckten Parasitierens an den Leistungen aller? Derlei Erfahrungen spielen wohl eine Rolle beim Menschen, dem komplexesten aller uns bekannten Sozialwesen. Aber auch bei den einfachsten, wie etwa den Schleimpilzen? Kennen die Kants kategorischen Imperativ?

Hungrige Schleimpilze rotten sich zusammen | Ein Kolonie von Schleimpilzen (Einzelzellen grün fluoreszierend dargestellt) läuft zusammen, sobald die Nahrung im Milieu knapp zu werden beginnt.
Kaum, würden wohl auch Kevin Foster und Kollegen von der Rice-Universität und seine Kollegen unterschreiben. Dabei sind aber eben auch Dictyostelium-Individuuen, die Untersuchungsobjekte der Forscher, zu einer Selbstaufopferung zum Wohle aller durchaus in der Lage. Denn auch in Schleimpilzkolonien treibt gemeinsames Wollen zu gemeinschaftlichem Handeln: Geht die Leibspeise der Pilze – Bakterien – zur Neige, so arbeiten die benachbarten Pilz-Einzelkämpfer zusammen, um ihren Erbgut-Schatz gemeinschaftlich über die missliche Versorgungslage hinwegzuretten. Die Schleimpilz-Zellen sortieren sich zu einem nacktschneckenförmigen Schleimkonglomerat, dann zu einem Fruchtkörper mit Stiel, der einigen Sporen schließlich Überleben und Verbreitung in der Umgebung gestattet.

Allerdings nicht allen: Jene Pilzzellen, die den unverzichtbaren Stiel des Fruchtkörpers bilden, gehen stets zugrunde, ohne ihr Erbgut weitergeben zu können. Wer sortiert hier Sieger und Verlierer, und was verursacht den Gemeinwohl erhaltenden und zugleich selbstzerstörerischen Altruismus der Stielbildner?
Fruchtkörper von Dictyostelium-Schleimpilzen | Die Zellen der Dictyostelium-Kolonie bilden gestielte Fruchtkörper.


Die Forscher um Foster vermuteten ein Signalmolekül namens DIF-1 als Ursache: Es wird in der sich assozierenden Schleimkolonie gebildet und treibt mit zunehmender Konzentration Nachbarzellen dazu, sich in Stielzell-Vorläufer umzuwandeln. Wahrgenommen wird das Signal von einem Rezeptor, dessen entscheidendes Bausteineiweiß DimA die Wissenschaftler kurzerhand in einigen Zellkulturen ausschalteten.

Und tatsächlich: Die so entstandenen Mutanten ignorierten den Befehl zur Stielbildung und orientierten sich in Fruchtkörper formenden Kolonien stets selbstsüchtig in jene Region, aus der später die Erbgut transportierenden Sporen entstehen.

Unsoziale Dictyostelium-Mutanten | Eine Schleimkolonie vieler Dictyostelium-discoideum-Einzelzellen. Einzelne gentechnisch veränderte Pilze ohne das Rezeptoreiweiß DimA (leuchtend gekennzeichnet) orientieren sich ausschließlich in dem Bereich der Kolonie, in dem später die Fruchtkörper entstehen, über die Erbgut in die nächste Generation transportiert wird.
Gebracht hat dies den gentechnisch erzeugten Sozialschmarotzern allerdings wenig, wie die Forscher verblüfft herausfanden: Viel seltener als unveränderten Zellen gelang es den Ego-Mutanten schlussendlich, sich wirklich zu einer Spore zu entwickeln. Offenbar war das soziale Tricksen schwer erkauft, wie eine Reihe weiterer Tests enthüllte. Der Grund lag in einer bis dato unerkannten Sekundärfunktion des ausgeschalteten DIF-1-Rezeptorproteins dimA – es reguliert über einen Transkriptionsfaktor wohl eine Reihe anderer Gene, die für die Bildung der Sporen ebenfalls wichtig sind.

Foster und seine Kollegen sehen in der Verbreitung derartiger Pleiotropie – dem Eingreifen eines einzigen Gens in mehrere Reaktionsketten oder Entwicklungsvorgänge – nun die genetische Grundlage dafür, dass bestimmte egoistische Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick durchaus individuelle Vorteile versprechen, sich eben nicht in jedem Fall durchsetzen können. Viel häufiger als bisher könnten damit Vorteile einer genetischen Zusammensetzung durch kohärente Nachteile ausbalanciert werden: Pleiotropie, so Foster, könne sicherlich ein Mechanismus sein, mit dem kooperatives Verhalten von Individuen auf Dauer aufrechtzuerhalten sei. Zumindest beim eher unkomplizierten gesellschaftlichen Miteinander der Schleimpilze.

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  • Quellen
Nature 431: 693–696 (2004)

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