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Entwicklungsbiologie: Haarige Heilung

Dagegen hilft kein Wässerchen: Haarausfall gilt bislang als Schicksal, dem man(n) sich zu fügen hat. Doch eine Entdeckung vor fünfzig Jahren offenbarte bereits, welch haariges Potenzial noch in der Haut steckt - wenn es durch eine Wunde geweckt wird.
Haarbildung in einer Wunde
Millionen Männer leiden: Die einst stolze Haarespracht schwindet bei den meisten unwiderruflich dahin. Nur etwa ein Fünftel der Herren bleibt verschont und darf den Kopfschmuck ein Leben lang behalten. Auch die von der Kosmetikindustrie angepriesenen Wundermittel – die gut von dem haarigen Problem lebt – helfen meist wenig, sondern leeren lediglich das Portmonee.

Dabei scheint das Schicksal schon früh festgelegt: Die Produktionsstätten des Körperpelzes – die Haarfollikel – entstehen bereits im jungen Embryo. Mit fünf bis sechs Millionen Stück erblicken wir das Licht der Welt, wobei die Verteilung ziemlich ungleichmäßig ausfällt: Die Kopfhaut wird reichlich gesegnet, Handflächen und Fußsohlen müssen als einzige Körperpartien ganz ohne auskommen. Innerhalb von zwei bis drei Jahren nach der Geburt beginnen die Follikel mit ihrer Arbeit; mit zunehmenden Alter verkümmern sie – vor allem bei Männern – und werden inaktiv.

Bislang galt die fest eingemeißelte Lehrbuchweisheit: Die Zahl der Haarfollikel bleibt nach der Geburt unverändert, neue bilden sich nicht mehr. Doch bereits in den 1950er Jahren hatten Wissenschaftler beobachtet, dass das nicht so ganz stimmen kann: Mäuse, Kaninchen und sogar Menschen schienen nach Verletzungen durchaus in der Lage zu sein, einige neue Haare auf den verheilten Hautstellen sprießen zu lassen. Doch diese Entdeckung wurde angezweifelt und geriet schließlich in Vergessenheit.

Haarbildung in einer Wunde | Verheilende Wunde nach 30 (links), 35 (Mitte) und 45 Tagen (rechts) bei Mäusen: In der nachwachsenden Haut bilden sich neue Haarfollikel. Im farblich markierten Wulst des Follikels sitzen die Stammzellen, die sich zum Haarschaft (Pfeil) weiterentwickeln.
Ein halbes Jahrhundert später interessierten sich George Cotsarelis und seine Kollegen von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia für die Prozesse der Wundheilung. Hierfür fügten die Forscher Mäusen große, tiefe Wunden auf dem Rücken zu und beobachteten, wie sich die Haut der Tiere wieder regenerierte.

Womit die Forscher nicht gerechnet hatten: In der neu gebildeten Epidermis tauchten wie aus dem Nichts tatsächlich Haarfollikel auf. Die Wunde musste allerdings einen Durchmesser von mindestens einem halben Zentimeter aufweisen, damit neue Härchen wuchsen.

Die Wissenschaftler wiederholten ihr Experiment, diesmal jedoch mit genetisch veränderten Tieren, bei denen die Stammzellen im Follikelwulst markiert waren. Die Markierung offenbarte: Die Follikel in der verheilten Wunde stammten tatsächlich unmittelbar aus der Epidermis und nicht von bereits existierenden Haarbälgen.

Die Forscher drangen nun noch tiefer in die Biochemie der Haarbildung ein: Wie schon länger bekannt ist, fördert ein in der Embryonalentwicklung wichtiges Protein namens Wnt (der Name stammt von dem Gen wingless bei der Taufliege sowie integrated beim Wirbeltier) den Haarwuchs.
"Wir können den Wundheilungsprozess mit Wnt-Proteinen so beeinflussen, dass die Haut narbenfreier verheilt – einschließlich aller normalen Strukturen wie Haarfollikel und Talgdrüsen"
(George Cotsarelis)
Als Cotsarelis und Co diesen Signalweg bei ihren verwundeten Mäusen blockierten, blieb der Haarwuchs aus. Umgekehrt sprossen noch mehr Haare nach der Heilung mit zusätzlich forciertem Wnt-Weg.

Offensichtlich öffnet die Verletzung in der Haut ein "embryonales Fenster" für eine neue Haarpracht. Dieses Fenster blieb vermutlich bislang unbeobachtet, da Verletzungen üblicherweise genäht und verbunden werden. Das unterstützt zwar den Wundverschluss, könnte jedoch die Haarneubildung stören.

Heißt das nun, dass kahlköpfige Männer Hand an ihre Kopfhaut legen müssen? Soweit wollen die Forscher nicht gehen. "Wir haben entdeckt", betont vielmehr Cotsarelis, "dass wir den Wundheilungsprozess mit Wnt- und anderen Proteinen so beeinflussen können, dass die Haut narbenfreier verheilt – einschließlich aller normalen Strukturen wie Haarfollikel und Talgdrüsen, statt lediglich eine Narbe zu bilden." Und vielleicht schlummert hier auch eine Möglichkeit, das Leiden Millionen Männer ein wenig zu lindern.

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