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Artenvielfalt: Hoffnung für die Hässlichen

Viele Menschen halten Elefanten, Wale oder Menschenaffen für schützenswert. Sich nur für solche großen und attraktiven Arten einzusetzen, genügt aber nicht. Unbeliebte Tiere haben ein größeres Risiko auszusterben.
Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii)

Ein junger Orang-Utan wirbt mit großen Augen und wilder Frisur für die Erhaltung der südostasiatischen Regenwälder. Eine Herde Elefanten macht auf die Wildereikrise in Afrika aufmerksam, ein Eisbär auf die negativen Folgen des Klimawandels. Und wenn es um die Probleme von Meeresbewohnern geht, sind Wale, Delfine oder Robben gefragte Botschafter: Auch im Naturschutz scheint es eine Art Promibonus zu geben. Während große und attraktive Arten die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen, verschwindet der Großteil der biologischen Vielfalt unbeachtet im Verborgenen. Wer interessiert sich schon für die Nöte von Spinnen, Schnecken oder Käfern? Die Kleinen und Unscheinbaren, die Unsympathischen und Hässlichen scheinen im Rennen um Publicity, um Forschungs- und Naturschutzgelder nicht mithalten zu können. Doch es gibt Bemühungen, auch ihre Interessen verstärkt zu berücksichtigen.

Schließlich sind viele dieser Arten in keiner besseren Lage als ihre auffälligeren Kollegen – im Gegenteil. Ein Team um William Ripple von der Oregon State University hat kürzlich untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Körpergewicht und dem Gefährdungsgrad von Wirbeltieren gibt. Dazu haben die Biologen eine riesige Datenbank mit Informationen zu 27 600 verschiedenen Arten ausgewertet. Bei Vögeln, Säugetieren und Knorpelfischen sind sie dabei auf einen ähnlichen Trend gestoßen: Das größte Aussterberisiko tragen zum einen die größten und zum anderen die kleinsten Arten. Die bisher wenig beachtete Minifauna brauche deshalb dringend mehr Aufmerksamkeit, schließen die Forscher. Und zwar sowohl von Naturschützern als auch von Wissenschaftlern.

Libelle | Die Libelle könnte »der Panda des Süßwassers« werden: Forscher suchen gezielt kleine, beliebte Süßwassertiere, die (passiv) für ihren Lebensraum werben und Menschen animieren, die Natur zu schützen.

Denn offenbar verteilt sich auch das Forschungsinteresse nicht gleichmäßig auf alle bedrohten Arten. Und es konzentriert sich auch nicht unbedingt auf jene, die es am nötigsten hätten. So haben Patricia Fleming von der Murdoch University in Westaustralien und ihre Kollegen analysiert, mit welchen Vertretern der australischen Säugetiere sich ihre Kollegen wie häufig beschäftigen. Die wenigsten Studien fanden sie dabei über die in Down Under heimischen Nagetiere und Fledermäuse – und das, obwohl diese fast die Hälfte der 331 untersuchten Arten stellten. Womöglich sind diese Tiere zu unauffällig und wegen ihrer heimlichen Lebensweise zu schwierig zu untersuchen, um einen größeren wissenschaftlichen Fanklub um sich zu scharen.

Die Hälfte der australischen Säugetiere kaum erforscht

Dabei stellten die Nager immerhin 14 der 30 australischen Säugetiere, die seit 1788 ausgestorben sind. Bei den Fledermäusen ist der Schwund zwar nicht ganz so groß, doch auch in dieser Tiergruppe gibt es schon Verluste. So hat die Weltnaturschutzunion IUCN die Weihnachtsinsel-Fledermaus im September 2017 offiziell für ausgestorben erklärt. Seit Mitte der 1990er Jahre waren die Bestände dieses weltweit einzigartigen Flattertiers massiv geschrumpft. Wahrscheinlich haben eingeschleppte Feinde und Krankheiten dabei eine Rolle gespielt. Genaueres darüber weiß aber niemand.

Genau das ist für Patricia Fleming und ihre Kollegen symptomatisch für die Probleme der vernachlässigten Säugetiere: In vielen Fällen wissen Biologen nicht viel mehr über solche Arten, als dass sie überhaupt existieren. Was sie fressen, wie weit sie verbreitet sind oder welche Ansprüche sie an ihren Lebensraum haben, liegt weitgehend im Dunkeln. Entsprechend schwierig ist es einzuschätzen, ob und wodurch diese Arten in Bedrängnis geraten könnten. Und anders als bei der Weihnachtsinsel-Fledermaus wüsste man das schon gern, bevor es zu spät ist.

»Kein Tourist achtet zum Beispiel auf die Mistkäfer in der Serengeti«
Christof Schenck

Zudem kann der Verlust kleiner und unscheinbarer Arten weit reichende Folgen für das gesamte Ökosystem haben. »Kein Tourist achtet zum Beispiel auf die Mistkäfer in der Serengeti«, sagt Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). Dabei hängt diese faszinierende Savannenlandschaft mitsamt ihren Elefanten, Löwen und riesigen Huftierherden ganz entscheidend von der Arbeit dieser Insekten ab. Millionen von Käfern rollen unablässig den Kot der großen Säugetiere zu handlichen Ballen und vergraben ihn im Boden. »Jeden Tag verarbeiten sie so rund 4000 Tonnen Dung«, erklärt der Zoologe. »Das ist eine Menge, die einen Güterzug mit 200 Waggons füllen würde«. Nur dank dieses Düngerschubs gedeiht in der Serengeti das Gras, von dem die großen Tierherden leben.

Auch andere populäre Arten sind oft auf weniger attraktive Nachbarn angewiesen. Christof Schenck denkt da etwa an den äußerst charismatischen Äthiopischen Wolf, der hauptsächlich von der Jagd auf Graumulle lebt. Und diese Nagetiere gehören mit ihren winzigen Augen und riesigen Zähnen nicht unbedingt zu den Schönheiten der afrikanischen Tierwelt.

Lebensräume schützen anstatt einzelner Arten

Es gibt also Gründe genug, die Schutzbemühungen nicht nur auf Elefanten, Löwen und Menschenaffen zu konzentrieren. Doch worauf dann? »Bei der ZGF haben wir in dieser Hinsicht unsere Strategie geändert«, sagt Christof Schenck. Früher habe sich die Organisation häufig für einzelne Arten eingesetzt. Sie förderte zum Beispiel den Schutz von Elefanten und Gorillas in verschiedenen Regionen Afrikas und etliche Wiederansiedlungen, vom Goldgelben Löwenäffchen im Küstenregenwald Brasiliens bis zum Bartgeier in den Alpen. »Das waren auch durchaus erfolgreiche Projekte«, betont Christof Schenck. Heute hat die Organisation ihren Blickwinkel erweitert. Statt um einzelne Arten geht es nun um die Sicherung von großen, noch weitgehend intakten Lebensräumen – mit all ihren Bewohnern.

Dieser Wandel zeigt sich zum Beispiel bei den ZGF-Projekten in Peru. Mitte der 1990er Jahre hatten die Naturschützer dort den Riesenotter in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen gestellt. Damals war über diesen großen Verwandten des Fischotters nur wenig bekannt, so dass man erst einmal mehr über seine Lebensweise, seine Ansprüche und Probleme herausfinden musste. Doch mittlerweile hat die Organisation den gesamten Lebensraum des geselligen Fischjägers im Blick. Immerhin gelten die tropischen Anden im Südosten Perus als eine der artenreichsten Regionen der Erde. Allein im Regenwald des Manu-Nationalparks haben Biologen 221 Säugetierarten und 1025 verschiedene Vögel, 150 Amphibien und 100 Reptilien nachgewiesen – von der geradezu unüberschaubaren Fülle an Insekten und anderem Kleingetier gar nicht zu reden.

Um diese Schatzkammer der Artenvielfalt zu erhalten, unterstützt die ZGF die peruanische Schutzgebietsbehörde SERNANP bei der Überwachung der riesigen Regenwaldgebiete. Sie stellt Ausrüstung zur Verfügung, schult Personal und arbeitet mit den Menschen vor Ort an Zukunftsperspektiven für die Region. Das heißt allerdings nicht, dass der Riesenotter nun keine Rolle mehr spielt. Er ist zwar nur noch ein Baustein im Gesamtkonzept, aber ein sehr wichtiger. »Man kann diese Art nämlich gut als Indikator für den Zustand der Regenwaldflüsse verwenden«, erklärt Christof Schenck.

Riesenotter inzwischen richtig populär

Denn Riesenotter brauchen viele Fische, sind anfällig für von Haustieren eingeschleppte Krankheiten und reagieren empfindlich auf Störungen durch den Menschen. Wo diese Tiere verschwinden, haben also wahrscheinlich auch viele unauffälligere Arten ein Problem. Dazu kommt, dass die charismatischen Fischjäger in der Region mittlerweile äußerst populär sind. »Es gibt sogar Festivals zu ihren Ehren und Riesenotter-Malbücher für Kinder«, berichtet Christof Schenck. Der Flussbewohner im braunen Pelz ist also zum Botschafter eines ganzen Ökosystems geworden.

Mistkäfer rollt Mist | Ohne sie würde die Savanne rasch in Ausscheidungsprodukten versinken.

Eine ähnliche Rolle spielen charismatische Tiere auch in vielen anderen Naturschutzprojekten rund um die Welt. An ihrem Beispiel lässt sich am besten verdeutlichen, welche biologischen Schätze die Welt zu verlieren hat. »Schutz des südostasiatischen Regenwaldes« mag für Laien nach einem ziemlich abstrakten Ziel klingen. »Eine Zukunft für Orang-Utans« ist da schon deutlich greifbarer. Kein Wunder also, dass Naturschützer gern solche »Flaggschiffarten« einsetzen, um für ihre Anliegen zu werben. Als besonders erfolgversprechend gilt es dabei, wenn diese Sympathieträger gleichzeitig auch noch die Ansprüche möglichst vieler anderer Arten repräsentieren. Naturschützer sprechen in solchen Fällen von einer »Schirmart«. Wer deren Lebensraum sichert, so die Idee, tut gleichzeitig etwas für deren unscheinbare Nachbarn. Einige Studien zeigen inzwischen, dass dieser Ansatz in der Praxis tatsächlich funktionieren kann. Zum Beispiel im Fall des Großen Pandas.

Binbin Li und Stuart Pimm von der Duke University im US-amerikanischen Durham haben untersucht, welche Auswirkungen der Schutz dieser Naturschutzikone auf andere Arten hat. Mehr als 96 Prozent des Panda-Lebensraums überlappen demnach mit den Habitaten von anderen weltweit einmaligen Säugetieren, Vögeln und Amphibien. Der schwarz-weiße Bär ist also sowohl als Aushängeschild als auch als Schirmart eine gute Besetzung.

Bach- und Seebewohner stark vom Aussterben bedroht

»Arten, die diese beiden Funktionen miteinander verbinden, können für die Erhaltung der biologischen Vielfalt sehr wertvoll sein«, findet Gregor Kalinkat vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Allerdings gilt es solche Kandidaten erst einmal zu finden. Und das ist in manchen Ökosystemen gar nicht so einfach. »Bisher hat man sich dabei vor allem auf Land- und Meerestiere konzentriert«, sagt der Forscher. Vergleichsweise wenig seien dagegen die Bewohner von Bächen, Flüssen und Seen beachtet worden. Dabei hätten gerade die einen besseren Schutz besonders nötig. Denn sie sind überdurchschnittlich stark vom Aussterben bedroht.

So hat die Naturschutzorganisation WWF für ihren »Living Planet Report 2016« (PDF)die Entwicklungstrends von mehr als 14 000 Wirbeltierpopulationen rund um die Welt unter die Lupe genommen. Demnach sind die Bestände der untersuchten Landtiere zwischen 1970 und 2012 um 38 Prozent geschrumpft, die der Meeresbewohner um 36 Prozent. Bei den Süßwasserarten aber verzeichneten die Experten im gleichen Zeitraum einen besonders drastischen Rückgang: um 81 Prozent.

Um diese stark bedrohten Lebensgemeinschaften mehr in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken, haben sich Gregor Kalinkat und seine Kollegen auf die Suche nach Arten gemacht, die als »Süßwasser-Pandas« in Frage kommen. Dabei ist eine Liste von mehr als 60 Arten zusammengekommen, die das Team für viel versprechende Kandidaten hält. Dazu gehört zum Beispiel der bis zu fünf Meter lange Europäische Stör. Dieser einst häufige Fisch, dessen Verbreitungsgebiet früher von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer reichte, ist aus Europa fast komplett verschwunden. Der Ausbau von natürlichen Flüssen zu monotonen Wasserstraßen hat dazu ebenso beigetragen wie die Belastung des Wassers mit Schwermetallen, Industriechemikalien und Nährstoffen. Die massive Fischerei haben die Tiere ebenso schlecht verkraftet, weil sie sich nur sehr langsam vermehren.

Süßwasserschildkröten als Schirmherren

Seit Jahren arbeiten IGB-Experten in einem Zucht- und Wiederansiedlungsprogramm mit, das den schwimmenden Riesen eine Rückkehr in europäische Flüsse ermöglichen soll. »Von Lebensräumen, in denen sich diese Tiere wieder wohlfühlen, werden auch zahlreiche weniger auffällige Fische, Amphibien und Wirbellose profitieren können«, sagt Gregor Kalinkat. Das Gleiche gilt für andere schwimmende Giganten. So haben IGB-Mitarbeiterin Sonja Jähnig und ihre Kollegen die Verbreitungsgebiete von 132 imposanten Süßwasserarten kartiert, die als Erwachsene mehr als 30 Kilogramm auf die Waage bringen. Das Spektrum reichte dabei von Flusspferden und Flussdelfinen bis zu Krokodilen und Süßwasserschildkröten.

Bartgeier | Früher war der Bartgeier als »Lämmergeier« verschrien, der junge Schafe und sogar Kinder holt. Dabei frisst der Vogel bevorzugt Knochen toter Tiere. Diese trägt er bisweilen hoch in die Luft und lässt sie dann auf Felsen fallen, damit sie splittern. Dieses Bild wurde früher oft falsch interpretiert, weshalb der Geier massiv gejagt wurde.

Und es hat sich gezeigt, dass diese Tiere sehr effektive Schirmarten sein können. Denn immerhin 83 Prozent aller gefährdeten Süßwasserarten der Welt kommen in den gleichen Gebieten vor wie die untersuchten Riesen. »In einer Quelle oder einem kleinen Bach wird man allerdings vergeblich nach solchen Giganten suchen«, sagt Gregor Kalinkat. Um die ganze Vielfalt der Süßwasserlebensräume abzudecken, enthält die Liste der möglichen Repräsentanten daher auch viele kleinere Arten wie die Flussperlmuschel oder verschiedene bunte Libellen.

»Wenn es um die Beliebtheit bei Menschen geht, schlägt Fell Federn, und große Augen sind besser als kleine«
Christof Schenck

Einen so großen Fanklub wie Pandas oder Menschenaffen werden solche Tiere wohl nicht für sich gewinnen können, denn Naturschützer haben die Erfahrung gemacht, dass besonders nahe mit dem Menschen verwandte Arten die populärsten Flaggschiffe abgeben. Vor allem, wenn sie auch noch als besonders schön oder niedlich empfunden werden. »Da gilt die Devise: Fell schlägt Federn«, sagt Christof Schenck von der ZGF. »Und große Augen sind besser als kleine.« Kandidaten mit solchen Eigenschaften gibt es im Süßwasser jedoch nur wenige.

Das heißt allerdings nicht, dass die »Süßwasser-Pandas« an mangelnder Popularität scheitern werden. Es gibt durchaus Fälle, in denen auch zunächst weniger beliebte Arten zu erfolgreichen Aushängeschildern geworden sind. Der Bartgeier zum Beispiel war jahrhundertelang als schafsmordender »Lämmergeier« verschrien. »In den mehr als 30 Jahren unseres Wiederansiedlungsprojekts haben wir da aber einen deutlichen Sinneswandel erlebt«, freut sich Christof Schenck. Inzwischen seien diese Vögel in den Alpen echte Sympathieträger. Ein ähnliches Umdenken hat seiner Einschätzung nach auch in Bezug auf Fledermäuse stattgefunden. Die sehen viele Menschen inzwischen nicht mehr als unheimliche Nachtgestalten, sondern als schützenswerte Tiere mit beeindruckenden Fähigkeiten. »Es kommt darauf an, dass man zu den jeweiligen Arten eine faszinierende Geschichte erzählen kann«, glaubt der Zoologe. »Dann ist das Aussehen gar nicht so wichtig.« Es gibt also durchaus Hoffnung für die Hässlichen.

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