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Seeotter: Haiattacken lassen Biologen rätseln

Vor der kalifornischen Küste häufen sich tödliche Attacken auf Seeotter. Doch aus Hunger beißen die Haie offensichtlich nicht zu.
Hat zu Unrecht einen schlechten Ruf - der Weiße Hai spielt eine wichtige Rolle im Ökosystem

Vor rund 85 Jahren galten Seeotter (Enhydra lutris) an der kalifornischen Küste als ausgestorben: Pelztierjäger hatten sie wegen ihres begehrten Haarkleids ausgerottet. Dann wurden in den 1930er Jahren einige Dutzend Tiere an einer nahezu unzugänglichen Stelle von Big Sur wiederentdeckt und streng geschützt. Ihr Bestand wuchs seither auf rund 3000 Tiere heran – doch ihre Zukunft sei erneut ungewiss, warnen Seeotterforscher wie Tim Tinker von der University of California in Santa Cruz. Wie der Biologe gegenüber "National Geographic" berichtet, bedrohen heute vor allem Weiße Haie die Erholung der Art, und keiner wisse, warum. Nach den Beobachtungen von Tinker und Co ist die Zahl der tödlichen Attacken auf die Seeotter in den letzten Jahren explosionsartig gestiegen, obwohl die Säugetiere eigentlich nicht ins Beutespektrum der Raubfische passen.

Seeotter | Sie gehören eigentlich nicht ins Beutespektrum von Haien – werden von ihnen aber mittlerweile oft totgebissen.

Die Hälfte aller tot aufgefundenen Seeotter gehe mittlerweile auf Bisse junger Weißer Haie (Carcharodon carcharias) zurück. Bislang wurde jedoch noch kein Fall bekannt, in dem einer der Fische ein derartiges Opfer auch fraß. "Diese Todesursache übertrifft alle anderen Faktoren bei Weitem", so Tinker gegenüber "National Geographic". Seeotter bestünden aus sehr vielen Muskeln und hätten extrem dichtes Fell, weshalb sie für Haie als Nahrungsquelle unzureichend seien. Vor Kalifornien jagen die Raubfische vor allem Seelöwen und Seebären, die sehr viel energiereiches Fett in ihrem Gewebe speichern. Die Biologen vermuten daher, dass die Haie ihre Beute verwechselt haben und eigentlich Seelöwen erlegen wollten. Bemerken sie dann ihr Missgeschick, lassen sie die Seeotter tot oder sterbend zurück. Auch bei Attacken auf Menschen werden zumeist Missverständnisse vermutet, weil Surfer oder Schwimmer für Meeressäuger gehalten werden. Oft lassen die Haie dann von ihrem Opfer ab, wenn sie nach dem ersten Biss feststellen, dass es sich nicht um eine Robbe handelt.

Da Seeotter in Küstennähe leben, ausgewachsene Weiße Haie jedoch meist weit draußen im Meer, könnte es sich um junge Haie handeln. Sie schwimmen eher Richtung Festland und sind weniger erfahren, weshalb sie häufiger Testbisse machen. Das Bissmuster in angeschwemmten Kadavern stützt diese These. Warum die Zahl der Attacken seit dem erstmaligen Nachweis 2003 stark gestiegen ist, wissen die Forscher noch nicht. Womöglich zeigt sich langsam, dass die Weißen Haie in kalifornischen Gewässern streng geschützt werden und deshalb ihre Zahl zunimmt. Gleichzeitig ist auch die Population der Seeotter lange Zeit gewachsen – beide Arten könnten sich folglich häufiger mit fatalem Ausgang begegnen. Auch die Erwärmung des Pazifiks könnte eine Rolle spielen, denn sie sorgt dafür, dass die Weißen Haie sich nordwärts ausbreiten, wo die Verbreitungsschwerpunkte der Seeotter liegen. Und schließlich hätten sich auch die Seelöwen- und -bärenbestände in den letzten Jahrzehnten erholt, was ebenfalls Fressfeinde anlockt. Die betroffenen Seeotter wären dann Kollateralschäden.

Angesichts der häufigen Todesfälle unter den Seeottern fürchten Tinker und Kollegen jedoch um die Population der Tiere und ihre Verbreitung. Während früher, vor der Jagd, mindestens 15 000 Seeotter vor Kalifornien gelebt hätten, sind es gegenwärtig allenfalls 3000. Überdurchschnittlich hohe Verluste durch einen Räuber fallen also stärker ins Gewicht und könnten die Art langfristig regional wieder gefährden.

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