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Biodiversität: Halber Ansatz

Zehn Prozent: So viel Landesfläche sollte jede Nation der Erde dem Naturschutz vorbehalten. Was nach wenig klingt, überfordert dennoch viele Staaten - da heißt es Prioritäten bei der Gebietsauswahl setzen. Aber welche?
Kaphonigfresser auf einer Protea-Pflanze in Südafrika
Wilde Natur muss man in Deutschland mit der Lupe suchen: Ohne die Wasserflächen an Nord- und Ostsee steht gerade einmal ein knappes halbes Prozent der Landesfläche unter dem Schutz eines Nationalparks. Und selbst wenn man noch alle Naturschutzgebiete – und damit einen ähnlich hohen Protektionsgrad – hinzurechnet, bleibt es bei bescheidenen 2,5 Prozent. Damit fällt die Bundesrepublik deutlich hinter das international als Mindestmaß genannte Flächenzehntel zum Schutze von Flora und Fauna zurück.

Königs-Protea – inzwischen eine beliebte Zierpflanze | Gewächse wie diese Königs-Protea (Protea cynaroides) sind Teil der beeindruckenden Artenvielfalt des Kapensis-Florenreichs – des kleinsten der Erde. Auf einem Drittel der Fläche Großbritanniens wachsen hier mit etwa 9000 Arten sechsmal so viele Arten wie im Vereinigten Königreich.
Deutlich besser sieht es da in Südafrika aus, wo mit Stand 2003 immerhin 6,2 Prozent des Staatsgebiets strikt den Tieren und Pflanzen vorbehalten sind – trotzdem entstehen hier wie wohl fast überall auf der Welt große Interessenskonflikte zwischen purer Wildnis und menschlicher Nutzung in Form von Straßen- und Städtebau, Land- und Forstwirtschaft sowie Bergbau. Bei der Auswahl der zu schützenden Gebiete heißt es deshalb Prioritäten setzen, damit möglichst viele Arten und Ökosysteme erhalten bleiben. Bevorzugt ziehen Regierungen und Umweltorganisationen dazu die so genannten Hotspots der Biodiversität heran, in denen auf relativ kleinem Raum eine Vielzahl bedrohter und einmaliger Spezies hausen. Aber ist dies tatsächlich das richtige Konzept?

Félix Forest vom Kirstenbosch Research Centre im südafrikanischen Claremont und seine Kollegen sind da etwas zwiespältiger Meinung. Ihr primäres Forschungsgebiet liegt direkt vor der Haustür: das Kapensis-Florenreich. Es ist mit nur 90 000 Quadratkilometern das kleinste dieser botanischen Einteilung und dennoch eines der artenreichsten Gebiete der Erde. Etwa siebzig Prozent der 9000 bekannten Pflanzenspezies – darunter berühmte Garten-, Zier- und Schnittblumengewächse wie Geranien, Pelargonien oder Strelitzien – kommen nur hier vor und machen aus der südafrikanischen Buschlandschaft namens Fynbos ein wissenschaftlich interessantes Betätigungsfeld. Zum Vergleich: In Großbritannien wächst auf einer dreimal so großen Fläche nur ein Sechstel dieser Zahl.

Innerhalb der Kapensis existiert ein von Westen nach Osten gerichteter Trend mit den höchsten Arten- wie Endemitenzahlen im eher mediterranen Winterregengebiet direkt am Kap und der Atlantikküste, die nach Osten hin mit zunehmenden, mehr und mehr ganzjährigen Niederschlägen abnehmen. Folglich konzentriert sich der Naturschutz auf die Diversitätszentren und negiert etwas die eintönigeren Regionen weiter östlich. Doch das könnte sich als etwas voreilig entpuppen, wie die Wissenschaftler anhand der stammesgeschichtlichen Entwicklung – der Phylogenese – der Kap-Flora schließen: Sie rekonstruierten den Stammbaum von 735 heimischen Gattungen anhand bestimmter Gensequenzen der Pflanzen und berechneten per Computer deren verwandtschaftliche Verhältnisse.

Auch hier ergab sich ein klarer West-Ost-Gegensatz, der scheinbar vorherige Einschätzungen stützt – mit einem entscheidenden Unterschied: Die phylogenetische Vielfalt war nun im Osten höher als im Westen. Im Klartext: Die Biodiversität rund um Kapstadt basiert auf einem Reichtum an eng miteinander verwandten Gattungen, die sich während der letzten 25 Millionen Jahre mannigfaltig aufgespaltet haben. Dagegen stehen sich viele Spezies im Osten ziemlich fern und gehören demnach zu evolutionär deutlich unterschiedlichen Linien, da hier im Grenzbereich zu einem weiteren artenreichen Gebiet – dem Maputoland-Pondoland-Albany – bereits völlig neue Taxa auftauchen und sich mit der Kap-Flora vermischen.

Um einen maximalen Zugewinn an protegierter evolutionärer Diversität zu gewinnen, müssten sich die Schutzmaßnahmen also vermehrt der Osthälfte der Kapensis annehmen – schließlich gewährleistet nur dies nach Ansicht von Forests Team eine möglichst optimale biologische Bandbreite für die zukünftige Entwicklung der örtlichen Artenvielfalt. Kritiker könnten nun einwenden, dass die hohen Artenzahlen im Westen Südafrikas eine effektive wie aktive und damit zukunftsfähige Artenbildung belegen, was wiederum hier konzentrierte Maßnahmen unterstreicht.

Diesem Argument begegnen Félix Forest und seine Kollegen mit einem weiteren Datensatz, der die untersuchten Gattungen in die drei Nutzungskategorien Ernährung, Medizin und Sonstige einteilt – sofern sie derart verwendet werden. Und wieder zeigt sich bei den Berechnungen, dass die entsprechenden Gattungen weiträumig über den Stammbaum verstreut waren: Konzentrierte sich der Schutz auf einen bestimmten Aspekt, blieben die beiden anderen Gruppen meist außen vor; beispielsweise weil die Nahrungspflanzen eng miteinander verwandt waren und vornehmlich im Westen lebten, während die Arzneikräuter sich auf wenige, einander fremde Arten im Osten verteilten. Die Menschheit verlöre folglich unter Umständen einiges an pflanzlichem Potenzial, weil sie sich auf die schiere Masse fokussiert hätte und nicht auf die bestmögliche evolutionäre Bandbreite.

Damit wollten sie aber nicht die jüngsten Schutzanstrengungen an der Westküste Südafrikas konterkarieren oder gar zurückweisen, so die Forscher. Vielmehr müssten zusätzliche Flächen weiter östlich in das nationale Reservate-Konzept eingebunden werden – ein generelles Mehr wäre wünschenswert. Zumindest in diesem Punkt dürften sich alle Naturschützer von Deutschland bis Südafrika ziemlich einig sein.

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