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Bestätigte Relativitätstheorie?: Hat das LIGO-Experiment Gravitationswellen gesehen?

Unwahrscheinlichen Gerüchten zufolge könnte das Observatorium bereits Gravitationswellen gesehen haben - doch auch wenn das stimmt, könnte sich das Signal lediglich als Übung erweisen.
Gravitationswellen

Am 25. September machte ein Aufsehen erregendes Gerücht auf Twitter die Runde: Der Kosmologe Lawrence Krauss hat vernommen, das weltgrößte Gravitationswellen-Observatorium habe ein Signal gesehen – gerade einmal eine Woche nach dem offiziellen Start in seine jüngste Betriebsphase.

Das Gerücht verbreitet sich seitdem unter Physikern in aller Welt. Wenn es zutrifft – und wenn das vom Advanced Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) gesehene Signal tatsächlich von Gravitationswellen herrührt –, würde dies eine der am schwierigsten nachzuweisenden und spektakulärsten Vorhersagen der Relativitätstheorie bestätigen – fast genau 100 Jahre, nachdem Einstein diese Theorie aufgestellt hat.

Noch bleiben aber zwei wichtige Fragen offen. LIGO möchte die Gerüchte weder bestätigen noch dementieren. "Die offizielle Antwort lautet, dass wir die Daten noch analysieren", sagt Sprecherin Gabriela González, Physikerin an der Louisiana State University in Baton Rouge. González sorgt sich ob der Möglichkeit, jemand im LIGO-Team könne das Gerücht in Umlauf gebracht haben. Krauss und andere Wissenschaftler versicherten allerdings, sie hätten es nicht direkt von Mitgliedern der LIGO-Kollaboration erfahren. "Ich halte es zu 10 bis 15 Prozent für zutreffend", sagt Krauss, der an der Arizona State University in Tempe arbeitet.

Hochpräzse Lasertechnik | Ein Mitarbeiter von LIGO inspiziert das Herzstück des Lasermesssystems, einen der Spiegel, auf Verunreinigungen. Die Suche nach Gravitationswellen verlangt nach einer unvorstellbar hohen Präzision.

Doch auch wenn LIGO viel versprechende Daten gesehen hat, könnte es sich bei dem Resultat um eine sorgfältig ausgeklügelte Übung handeln – ein künstliches Signal, das absichtlich in die Daten geschmuggelt wurde, um das Analyse-Team von LIGO auf die Probe zu stellen und zu trainieren. Im Augenblick kennen nur drei Leute die Wahrheit. Und sie würden sie erst verraten, wenn die Kollaboration in vielleicht erst geraumer Zeit eine Studie veröffentlicht und zur Pressekonferenz einlädt.

LIGO auf der Lauer

Dabei könnte LIGO zumindest im Prinzip wirklich schon ein Signal gesehen haben. Seine beiden Detektoren in Hanford, Washington, und Livingston, Louisiana, waren zwischen 2002 und 2010 in Betrieb. Während jener Zeit gelang indes kein Nachweis von Gravitationswellen. Diese Wellen sind winzige Kräuselungen in der Raumzeit, die nach Einsteins Theorie von dramatischen Ereignissen wie etwa der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher hervorgerufen werden. In den Interferometern von LIGO laufen Laserstrahlen zwischen Spiegeln hin und her, durch vier Kilometer lange Vakuumröhren. Wenn Gravitationswellen durch diese Apparatur laufen, werden die Röhren dabei gedehnt und gestaucht – zusammen mit dem Rest des Raums. Diese Verzerrungen hoffen die Wissenschaftler mit Hilfe der exakt justierten Laserstrahlen aufzuspüren.

Der neue Detektor Advanced LIGO hat nun am 18. September offiziell mit der Datennahme begonnen, nach einer rund 200 Millionen US-Dollar teuren Generalüberholung. Die Detektoren seien nun um den Faktor drei empfindlicher als ihre Vorgänger, sagt González, und bereits bis zu 24 Stunden am Stück im Simultanbetrieb. Das ist eine wichtige Verbesserung gegenüber dem alten System, bei dem Messungen schon unterbrochen wurden, wenn in einigen Kilometern Entfernung ein Lastwagen durch ein Schlagloch fuhr.

Die Detektoren sollen nun drei Monate lang laufen, bevor sie für eine weitere Aufrüstung abgeschaltet werden. Einige Forscher der LIGO-Kollaboration schätzen die Chance, in dieser Zeit ein Signal zu sehen, auf etwa eins zu drei. Die Wahrscheinlichkeit, nach nur wenigen Tagen bereits etwas entdeckt zu haben, ist also eher gering.

Die Forscher haben bei LIGO allerdings schon im Juni einige Tests durchgeführt, bei dem beide Detektoren liefen und Daten sammelten. Diese wurden auch analysiert, auch wenn einige Wissenschaftler dagegen waren. Schließlich war das Team zu diesem Zeitpunkt noch damit beschäftigt, erst einmal die Instrumente zu kalibrieren und das Kanalrauschen einzuordnen, das etwa von Fluktuationen bei den Lasern oder von thermischen Vibrationen stammen kann und den Nachweis des eigentlichen Signals schwierig macht. Gravitationswellen aufzuspüren, ist ein extrem schwieriges Geschäft, denn man muss hierzu die Länge in den Interferometer-Armen mit der außerordentlichen Genauigkeit von einem Teil in 1022 bestimmen.

Schnelle Analyse

Sogar wenn die Forscher ein Signal gesehen haben und dieses sich als echte Entdeckung herausstellt, ist eine offizielle Verlautbarung in diesem Jahr vermutlich nicht mehr zu erwarten. Das Team von Advanced LIGO plant ungefähr drei Monate ein, um ein gemessenes Signal zu analysieren, dies in einer Studie niederzuschreiben und dann abzustimmen, ob man dies als Entdeckung bekannt gibt.

Aber ein astrophysikalisches Ereignis wie etwa die Kollision zweier Schwarzer Löcher könnte zu einem eindeutigen Nachweis von Gravitationswellen führen, wenn es in einer Galaxie nahe genug an der Milchstraße stattfindet und damit ein starkes Signal produziert, wie mehrere LIGO-Mitglieder mir mitgeteilt haben.

"Ich halte das Gerücht zu 10 bis 15 Prozent für zutreffend"Lawrence Krauss

Das trifft vor allem auf eine bestimmte Signalform namens "Chirp" (englisch: "Zwitschern") zu: eine saubere Sinuswelle, die im Lauf der Zeit in Tonhöhe und Lautstärke zunimmt und ähnlich wie das Gezwitscher einiger Vögel klingt. Solche Chirps ergeben sich als Signal zweier Neutronensterne oder Schwarzer Löcher, die einander immer enger umkreisen und dabei Gravitationswellen aussenden. In den letzten Augenblicken dieses Tanzes, bevor die Objekte miteinander verschmelzen, sollten die Wellen die 10-Hertz-Grenze überschreiten, ab der Advanced LIGO ein Signal sehen kann.

Falscher Alarm

Es gibt aber auch ein anderes mögliches Szenario: Die Wissenschaftler könnten ein künstliches Signal gesehen haben, das als Übung gedacht war. LIGO ist beinahe einzigartig unter physikalischen Experimenten beim Training mit solchen "Blindtests". Drei Mitglieder der Kollaboration haben die Möglichkeit, eine Entdeckung zu simulieren, indem sie Stellmotoren an den Spiegeln betätigen. "Nur sie wissen, ob und wann ein bestimmtes künstliches Signal in die Daten injiziert wurde", sagt Laura Cadonati, Physikerin am Georgia Institute of Technology in Atlanta, die das Analyse-Team von Advanced LIGO leitet.

Zwei solcher Übungen gab es bereits beim Vorläufer-Experiment LIGO, eine 2007 und eine weitere 2010. Harry Collins, Wissenschaftssoziologe an der Cardiff University, hat diese Übungen dokumentiert – und ein Buch darüber geschrieben. Er sagt, die Übungen seien wertvoll, um die Analysemethoden zu erproben, die man für echte Ereignisse benötigt. Eine solche Übung kann das Team aber auch viel Energie kosten. "Nur ein einzelnes Ereignis zu analysieren, kann enorm zeitaufwändig sein", sagt er. "Irgendwann schlägt das auch aufs Privatleben durch."

Die beiden bisherigen Übungen dauerten 18 und 6 Monate. Die erste wurde nach einer Weile abgebrochen. Aber bei der zweiten schrieb die Kollaboration erst eine Studie und machte sich dann an die Abstimmung, ob man die Entdeckung öffentlich bekannt geben solle. Erst in diesem Augenblick öffneten die drei Simulatoren den Umschlag und teilten ihren Kollegen mit, dass das gesamte Ereignis nur ein Testlauf war.

Dick und schnell

Die Wissenschaftler hoffen, dass Advanced LIGO nach weiteren Aufrüstungen im kommenden Jahr empfindlich genug sein wird, um die Verschmelzung von Schwarzen Löchern und Neutronensternen regelmäßig nachweisen zu können – vielleicht sogar zehnmal pro Jahr. Mit der Zahl der Entdeckungen dürften diese zur Routine werden – was den Forschern genug Training verschafft, sie praktisch auch in Echtzeit zu erkennen.

Advanced LIGO sollte die stärksten Verschmelzungssignale ungefähr eine Minute lang nachweisen können. In dieser Zeit können die Computer im Kontrollraum automatischen Alarm auslösen – und zwar noch bevor das Ereignis wieder vorbei ist. Der Gedanke dahinter: Astronomen weltweit zu benachrichtigen, damit diese zeitnah den Himmel nach "Feuerwerken" wie einer Supernova-Explosion absuchen können, die mit den Gravitationswellen in Verbindung stehen.

Chad Hanna ist Physiker an der Pennsylvania State University in University Park und leitet die Arbeitsgruppe, die nach kosmischen Verschmelzungsprozessen sucht. Er verriet schon, seine Frau habe ihm die Erlaubnis gegeben, sein Handy auch nachts eingeschaltet zu lassen, falls ein Alarm eintrifft. "Wenn das Signal einer Verschmelzung kommt, wissen wir es 30 Sekunden später", sagt er.


Der Artikel ist im Original "Has giant LIGO experiment seen gravitational waves?" in "Nature" erschienen.

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