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Ernährung: Hauptsache mediterran?

Olivenöl, viel Obst und Gemüse, Nüsse, Fisch und ab und zu mal ein Glas Wein: Klingt so das Rezept der optimalen Ernährung? Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sind nicht eindeutig.
Oliven und Öl

Bei Gunter Eckert zu Hause kommt regelmäßig fetter Fisch auf den Tisch. Es gibt viel Obst und Gemüse, und zubereitet werden die Speisen meist mit Olivenöl. Auch die tägliche Portion Walnüsse darf nicht fehlen. Eckert praktiziert, worüber er Vorträge hält: "Hauptsache mediterran? – Die Rolle der Ernährung bei der Alzheimer-Erkrankung" lautete etwa der Titel einer Veranstaltung mit ihm als Redner. Der Pharmakologe und Lebensmittelchemiker leitet die Arbeitsgruppe "Nutritional Neuroscience" am Pharmakologischen Institut der Goethe-Universität Frankfurt und ist von der Wirkkraft der Ernährung überzeugt:

"Nahrungsmittel können den Körper stärken und so vor Krankheiten schützen"

Als durch und durch positiv erweist sich hier offenbar die mediterrane Ernährung. Sie besteht zu einem Großteil aus pflanzlichen Nahrungsmitteln (Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten), Olivenöl als der wichtigsten Fettquelle, Nüssen, Fisch und gelegentlich einem Glas Rotwein. Rotes Fleisch und Milchprodukte (wenn, dann vermehrt von Schaf und Ziege) werden wenig gegessen. Den Grundstein für die kulinarische Mittelmeerbegeisterung legten die Arbeiten des amerikanischen Ernährungswissenschaftlers Ancel Keys, der die Ergebnisse seiner "7-Länder-Studie" Mitte der 1980er Jahre veröffentlichte. Danach litten die Bewohner des Mittelmeerraums seltener an Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und hatten eine höhere Lebenserwartung als Finnen, Deutsche oder Amerikaner. Verantwortlich gemacht für diesen Effekt wurde die Lebens- und Ernährungsweise der Südländer [1].

Gesundbrunnen Mittelmeerkost?

"Wenn wir heute von der Mittelmeerdiät sprechen, ist damit eher eine Art Modell, ein Querschnitt dessen gemeint, was die Kost dort ausmacht. In Wirklichkeit ist die Mittelmeerdiät sehr vielfältig, und was gegessen wird, hängt stark von der jeweiligen Region und auch Generation ab", sagt Eckert. Viele der jüngeren Südländer kochen heute nicht mehr traditionell und greifen zu Snacks und Burgern, statt Nüsse zu knabbern. Eine Umstellung mit Folgen. Denn die Mittelmeerkost scheint nicht nur dem Bluthochdruck, dem zu hohen Cholesterinspiegel und Diabetes vorzubeugen, sondern auch der Alzheimer-Krankheit. "Epidemiologische Studien zeigen, dass Menschen im Mittelmeerraum, die sich klassisch ernähren, seltener Alzheimer bekommen", erzählt Eckert. Die Neuerkrankungsrate insgesamt sei in diesen Ländern jedoch genauso hoch wie bei uns, womöglich weil die Bevölkerung zunehmend in die Städte ziehe und sich "westlich" ernähre, meint der Lebensmittelchemiker.

Aber was genau macht die Mittelmeerkost mit ihrer Fülle an Inhaltsstoffen so wirkungsvoll? Eckert selbst setzt bei seiner Forschung unter anderem auf eine Substanz namens Hydroxytyrosol. Das zur Gruppe der Polyphenole gehörende Hydroxytyrosol ist ein wasserlöslicher Bestandteil des Olivenöls. Es kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und im Gehirn Gene aktivieren, die wiederum die Neubildung von Mitochondrien anregen [2].

"Wir glauben, dass die Mitochondrien, als die Kraftwerke der Zellen, entscheidend für die Entstehung von Alzheimer sind", sagt Eckert. Bei "Alzheimermäusen" funktionierten die Mitochondrien im Nervengewebe bereits im Lebensalter von sechs Monaten nicht mehr richtig. Bei gesunden Artgenossen sei dies erst im höheren Lebensalter zu beobachten. Offenbar sammeln sich im Alter (oder eben auch schon früher) Altlasten an, die das reibungslose Funktionieren der Mitochondrien gefährden. "Unser Ansatz ist, das Potenzial der Mitochondrien länger aufrechtzuerhalten", sagt Eckert. Mit Bestandteilen der Mittelmeerdiät könne man hier gute Resultate erzielen.

Doch selbst wenn mit Einzelsubstanzen im Labor, in der Zellkultur oder im Tiermodell eindeutige Effekte erreicht werden, muss das unter natürlichen Bedingungen nicht der Fall sein. Beispiel Olivenöl: Der Gehalt an Polyphenolen variiert deutlich in Abhängigkeit zur Qualität und Verwendung des genutzten Öls. Die Menge an Polyphenolen sinkt, wenn das Olivenöl zum Braten verwendet wird. Um möglichst viel etwa des "guten" Hydroxytyrosols aufzunehmen, ist es also wichtig, ein Öl guter Qualität und unerhitzt beispielsweise als Zutat zum Salatdressing zu verwenden [3].

Fast überall auf der Welt wird die Mittelmeerdiät angepriesen und zum Nachahmen empfohlen. Doch geht das überhaupt? Kann man eine Ernährungsform, die an das Klima, die Kultur und den Lebensraum Mittelmeer angepasst ist, nach Schleswig-Holstein oder sonst wohin übertragen und die gleichen positiven Effekte erzielen? "Im Prinzip funktioniert das", sagt Gunter Eckert. Als Beispiel führt er eine acht Jahre alte Studie aus New York an [4]. Damals wurden 2258 Menschen je nach Ernährungsweise in verschiedene Gruppen eingeteilt. "Diejenigen, die sich mediterran ernährten, erkrankten am seltensten an Alzheimer", fasst Eckert die Ergebnisse zusammen.

Zu viele Faktoren für eindeutige Ergebnisse

Doch es gibt auch andere Untersuchungen mit widersprüchlichen Ergebnissen. Was wohl daran liegt, dass die Ernährung ein enorm vielschichtiges Gebilde ist. "Obwohl es aus epidemiologischen Studien reichlich Hinweise für den gesundheitsfördernden Effekt der Mittelmeerküche gibt, können diese Untersuchungen all die zusätzlichen möglichen Einflussfaktoren, denen die traditionell kochenden Südländer ausgesetzt sind, nicht erfassen", schreiben Richard Hoffman und Mariette Gerber von der britischen University of Hertfordshire in den "Nutrition Reviews" [3]. Das Klima ist anders. Die Sonne beeinflusst nicht nur die Stimmung, sondern auch die Vitamin-D-Produktion der Südländer. Unter der Mittelmeersonne gereiftes Obst und Gemüse enthält womöglich andere Mengen bioaktiver Substanzen als Früchte, die aus niederländischen Treibhäusern stammen.

Wer hier zu Lande angibt, er esse viel Obst, denkt dabei womöglich an den täglichen Apfel, die Banane oder Apfelsine. Die Obstschale der Südländer ist mit Feigen, Trauben, Granatäpfeln, Aprikosen und Pfirsichen anders bestückt. Der bei uns viel gegessene Eisbergsalat enthält weitaus weniger Flavonoide, nämlich 0,5 Mikrogramm pro Gramm (µg/g) als der bei Italienern beliebte, für unsere Zungen etwas herbe Lollo Rosso, der satte 207 µg/g aufweist. Flavonoide sind sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, denen entzündungshemmende, antiallergische, antioxidative, antivirale, antimikrobielle, antiproliferative und antikanzerogene Wirkungen zugeschrieben werden. Auch die Art der Zubereitung und die Reihenfolge der Speisen während einer Mahlzeit und über den Tag hinweg beeinflussen, wie die bioaktiven Substanzen vom Körper aufgenommen werden können.

Bei der Vielfalt der Ernährung, der Fülle an potenziell "gesunden" Inhaltsstoffen und vielen anderen Einflussfaktoren erscheint die Forschung auf diesem Gebiet und auch die Aussagekraft einzelner Studien höchst schwierig. Mit Vorsicht sind all die Beobachtungsstudien zu genießen, die stets nur eine Assoziation von Merkmalen (wer viel Obst isst, bekommt seltener einen Schlaganfall), aber keinen ursächlichen Zusammenhang belegen können [5]. Eine Ausnahme bildet hier die so genannte "PREDIMED"-Studie, deren Ergebnisse gerade nach und nach vorgestellt werden. Als randomisierte Interventionsstudie untersuchte sie über etwa sieben Jahre an 7447 Spaniern mit hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, welche gesundheitlichen Effekte eine Ernährungsumstellung auf eine mediterrane Diät hat [6,7].

Das Team von Jordi Salas-Salvadò von der Universitat Rovira i Virgili im spanischen Reus hatten die Studienteilnehmer für ihre Untersuchung zufällig in drei Gruppen aufgeteilt. In der ersten ernährten sich die Personen typisch mediterran, wobei der Essensplan täglich durch eine Extraportion natives Olivenöl angereichert wurde. Die zweite Gruppe stieg ebenfalls auf eine Mittelmeerdiät um und wurde angehalten, jeden Tag zusätzlich 30 Gramm Nüsse zu verzehren. Als Kontrolle dienten Teilnehmer, die als einzige Veränderung zu ihrem bisherigen Essverhalten weniger Fett zu sich zu nehmen sollten.

In den beiden Gruppen, die sich mediterran ernährten, gab es nach rund fünf Jahren weniger Herzinfarkte, weniger Schlaganfälle, und weniger Menschen erkrankten neu an Diabetes als in der Kontrollgruppe. Die Studienautoren sprechen in den Diskussionen ihrer Ergebnisse jeweils von einer relativen Risikoreduktion durch die mediterrane Ernährung von rund 30 Prozent.

Die Reaktionen auf die vorgestellten Zahlen sind vielfältig. "Die Studie ist ein Meilenstein für die Ernährungsforschung", sagt etwa Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam/Nuthetal. Dank der spanischen Studie habe sich die Beweislage entscheidend verbessert, und es werde deutlich, wie sehr eine Ernährungsumstellung zum Beispiel das Diabetesrisiko absenken könne.

Der statistische Trick:
Relatives statt absolutes Risiko

Um das Diabetesrisiko zu ermitteln, wurde innerhalb der Teilnehmer eine Untergruppe von Menschen gebildet (3541 Männer und Frauen), die bis zum Studienstart nicht an Diabetes erkrankt waren. Insgesamt erkrankten 273 Personen während des Follow-ups neu am Typ-2-Diabetes. 80 (6,9 %) in der Gruppe "Mediterran plus Öl", 92 (7,4 %) in der Gruppe "Mediterran plus Nüsse" und 101 (8,8 %) in der Kontrollgruppe. Die absolute Risikoreduktion betrug also in der Olivenölgruppe 1,9 %, in der Nussgruppe 1,4 %.
Der Trick besteht in der Angabe des relativen Risikos: Von 8,8 % auf 6,9 % ist eine Reduktion von 21,3 %, statistisch bereinigt und gemittelt mit der Nussgruppe ergeben sich 30 %.

In den Augen von Lebensmittelchemiker Udo Pollmer sind die Ergebnisse eher kümmerlich. "Sollten die Daten stimmen, ist die Mittelmeerdiät erledigt", schreibt er in der Rubrik "Ernährungsunsinn des Monats" über das "Mediterrane Märchen". Er beruft sich darin unter anderem auf den Psychologen Gerd Gigerenzer. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung hat die Botschaft "Mittelmeer-Diät senkt das Diabetes-Risiko um 30 Prozent" zur "Unstatistik des Monats" gekürt. "Was diese Meldung zur 'Unstatistik' macht, ist nicht, dass die 30 Prozent falsch sind und die mediterrane Kost nicht gesund wäre. Es geht darum, wie diese Information kommuniziert wird. Denn die Zahl bedeutet eben nicht, dass von 100 Menschen, die mediterrane Kost essen, 30 weniger an Diabetes erkranken." Die absolute Risikoreduktion liegt bei der Olivenölgruppe im Vergleich zur Kontrolle bei 1,9 Prozent, die in der Nussgruppe bei 1,4 Prozent – nur die relative Risikoreduktion ergab 30 Prozent. Klartext könne man nur mit diesen absoluten Risiken sprechen, sagt Gigerenzer. "Doch dann sind die Zahlen nicht mehr so eindrucksvoll. Eine Reduktion von 1,9 Prozent käme wohl kaum in die Schlagzeilen."

Bewusst statt nur mediterran

Zwei Dinge kommen hier offenbar zusammen: Zum einen der Wunsch des Menschen nach klaren Ergebnissen und motivierenden Hinweisen für Lebensstilveränderungen (ab heute ernähre ich mich mediterran, denn das bringt etwas). Zum anderen spielen hier, wie überall in der Forschung, noch andere Interessen eine Rolle. Bei flüchtigem Lesen wirke es, als hätten Nüsse die gleiche Wirkung wie Olivenöl, heißt es in der "Unstatistik" weiter. "Könnte diese Großzügigkeit damit zusammenhängen, dass einige Autoren von der Nussindustrie finanzierte Zuwendungen erhielten?"

"Sollten die Daten stimmen, ist die Mittelmeerdiät erledigt"
Udo Pollmer

Laut Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim sei eine gute Ernährung eine Ernährung, die den Bedarf an allen für den Menschen unentbehrlichen Stoffen decke. "Jede Form der einseitigen Ernährung ist auf Dauer ungesund", erklärt er in einem Vortrag. Die Mittelmeerdiät mit ihrer Fülle und Vielfalt kann sicherlich einen Beitrag leisten, aufzunehmen, was der Mensch braucht, und wegzulassen, was schadet. Ein Wundermittel ist sie nicht, eher eine Anregung und Prüfung für jeden Einzelnen: Was esse ich eigentlich, was bekommt mir, und wie kann ich meinen Speiseplan bereichern?

Serie "Ernährung"

Dies ist der erste Artikel aus unserer Serie "Ernährung", die wir in den kommenden Wochen in loser Folge publizieren werden.
Weitere Beiträge:
"Ernährungsstudien aufs Korn genommen"

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  • Quellen
[1] Keys, A. et al.: The diet and 15-year death rate in the Seven Countries Study. In: American Journal of Epidemiology 124, S. 903–915, 1986.
[2] Schaffer, S. et al.: Effects of polyphenols on brain ageing and Alzheimer's disease: focus on mitochondria. In: Molecular Neurobiology 46, S. 161–178, 2012.
[3] Hoffmann, R. & Gerber, M.: Evaluating and adapting the Mediterranean diet for non-Mediterranean populations: a critical appraisal. In: Nutrition Reviews 71, S. 573–584, 2013.
[4] Scarmeas, N. et al.: Mediterranean diet and risk for Alzheimer's disease. In: Annals of Neurology 59, S. 912–921, 2006
[5] Unite for Sight: The Challenges and Failures of Nutrition Studies
[6] Salas-Salvadó, J. et al.: Prevention of diabetes with Mediterranean diets: a subgroup analysis of a randomized trial. In: Annals of Internal Medicine 160, S. 1–10, 2014.
[7] Estruch, R. et al.: Primary Prevention of Cardiovascular Disease with a Mediterranean Diet. In: New England Journal of Medicine 368, S. 1279–1290, 2013.

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