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Plasmamedizin: Heilende Minigewitter

Ein warmer Hauch aus ionisiertem Gas begeistert die Forscher: Plasma-Anwendungen könnten schon bald die Medizin erobern - sofern sie halten, was sie versprechen.
Plasmapen

Wenn der Volksmund vom reinigenden Gewitter redet, hat er sicher nicht an so etwas gedacht: gebändigte Miniblitze, die Bakterien, Viren und Pilze vernichten. Wo sie einschlagen, wird's zwar nicht sauber, aber klinisch rein. Und damit haben sie großes medizinisches Potenzial, glauben Fachleute. Die Miniaturgewitter aus so genanntem Plasma könnten heilen: zum Beispiel chronische Wunden, gegen die sonst kein Kraut gewachsen ist. "Für manche Patienten könnte Plasmamedizin zur einzigen Alternative werden", sagt der Plasmaphysiker Klaus-Dieter Weltmann vom Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie in Greifswald. Daneben wittern Forscher Anwendungsbereiche in Zahnheilkunde und Krebsmedizin. Das klingt spektakulär, doch noch mangelt es an klinischen Studien. Ob die Plasmamedizin am Ende dazu taugt, Krankheiten "wegzublitzen", wird sich daher erst in mühsamer Forschungsarbeit zeigen müssen.

Aber von vorne: Was ist überhaupt Plasma? Physiker sprechen vom vierten Aggregatzustand – nach fest, flüssig und gasförmig. In dieser Reihenfolge, denn Plasma entsteht, wenn man einem Gas weiter Energie zuführt, so lange, bis sich Elektronen aus den Atomen lösen. Es wird also ionisiert, zumindest teilweise. Das Ergebnis ist ein leuchtender Energiecocktail, gemixt aus Temperatur, Licht, ultravioletter Strahlung, Radikalen, elektrischen Feldern und geladenen Teilchen.

Absolut keimtötend | Mit einem "Plasmapen" zur lokalen Anwendung oder einem größeren Gerät, das das Plasma wie ein Fön über die Haut bläst, wollen Forscher Hautoberflächen und insbesondere schlecht heilende Wunden desinfizieren.

"Mehr als 99 Prozent der sichtbaren Materie des Universums befindet sich im Plasmazustand", sagt Weltmann. Die Sonne etwa besteht wie die meisten anderen Sterne größtenteils aus Plasma. Und es ist Grundzutat für Blitze und Nordlichter. Doch die Beispiele lassen es schon ahnen: Natürlich vorkommende Plasmen sind außerordentlich heiß – mitunter mehrere Tausend Grad Celsius – und damit völlig unbrauchbar für jegliche Anwendung am Menschen.

Der Grund für die enorme Hitze: Wird einem Gas soviel Energie zugeführt, dass sich die Elektronen aus den Atomen lösen, beginnen sowohl Elektronen als auch Ionen zu schwingen. Und je schneller sie vibrieren, desto höher ist die Temperatur. Durch technische Tricks ist es Wissenschaftlern vor einigen Jahren gelungen, das Plasma zu bändigen. Sie lassen dem Gas gerade einmal so viel Energie zukommen, dass es die Elektronen aus der Hülle befreit und sie in Schwingung versetzt, die vielfach größeren Ionen dagegen nicht. Dank des gewaltigen Größenunterschieds können die Elektronen viele Tausend Grad heiß sein, das gesamte Plasma dagegen mit 30 bis 40 Grad in etwa handwarm. Physiker sprechen von Nichtgleichgewichtsplasma oder eben von kaltem Plasma.

Gerade mal ein warmer Hauch

Das medizinische Plasma ist also gerade mal ein warmer Hauch. Und doch ist es absolut tödlich – zumindest für Viren, Bakterien und Pilze. Denn im Mikrogewitter entsteht ein Mix aus hochreaktiven Verbindungen, wie Wasserstoffperoxid, Stickoxiden, Ozon, freien Radikale, dazu noch UV-Strahlung. Es steckt also ein ganzes Waffenarsenal im Plasma, doch wie es Mikroben im Einzelnen tötet, ist nicht endgültig geklärt: Das Erbgut mag Schaden nehmen oder auch die Mikrobenhülle. Der Greifswalder Plasmaphysiker Weltmann geht davon aus, dass mehrere Mechanismen im Spiel sind, wobei nicht alle Erreger gleich auf das Plasma reagieren. "Um Keime vollständig abzutöten, muss man daher die Mechanismen optimal kombinieren", sagt der Forscher. Das sei derzeit ein wichtiges Untersuchungsgebiet. "Sicher ist aber, dass bislang keine Resistenzen aufgetreten sind – nicht einmal bei mehrfach resistenten Erregern wie MRSA oder anderen Krankenhauskeimen."

Doch wenn das Plasma die Mikroben so zielsicher tötet, ist es dann nicht auch gefährlich für menschliche Körperzellen? UV-Strahlung, freie Radikale und Co gelten schließlich nicht gerade als gesundheitsfördernd. "Natürlich können menschliche Zellen auch Schaden nehmen", gibt die Biophysikerin Julia Zimmermann, die am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching im Team des Plasmaspezialisten Gregor Morfill forscht, freimütig zu. "Das ist aber alles eine Frage der Dosis – Sie nehmen ja auch nicht dreißig Aspirin auf einmal." Menschliche Zellen, etwa auf der Haut, böten im Zellverbund weniger Angriffsfläche. Außerdem sei auch ihre DNA durch den Zellkern, der sie umgibt, besser geschützt. Intensiv versuchen daher Wissenschaftler zurzeit, die richtige Dosis zu ermitteln – die optimale Wirkung bei möglichst geringen Nebenwirkungen.

"Von unserer klinischen Studie können wir jedenfalls sagen, dass die behandelten Patienten keine Nebenwirkungen hatten", erklärt Zimmermann. Auch Weltmann hat gemeinsam mit Greifswalder, Berliner und Göttinger Kollegen aus dem Forschungsverbund Campus PlasmaMed festgestellt: Das Plasma richtet keinen Schaden an auf der Haut. Weder stört es ihre Barrierefunktion, noch beeinflusst es die Feuchtigkeit, die für Elastizität sorgt und die schützende Hautflora am Leben erhält [1]. Langzeitdaten liegen allerdings noch nicht vor – zu jung ist das Forschungsfeld.

Keimfreie Wunden

Dennoch ist Zuversicht angesagt. Denn die erste große klinische Studie (Phase II) im Bereich der Plasmamedizin zeigte: Die Behandlung hilft, hartnäckige Infektionen in schlecht heilenden Wunden zu bekämpfen [2]. Wissenschaftler vom Klinikum Schwabing in München, der Uniklinik Regensburg und dem Garchinger Max-Planck-Institut hatten die chronischen Wunden von 36 Patienten mit Plasma behandelt. Damit erreichten sie einen deutlichen Rückgang der Bakterien in den Wunden um durchschnittlich 34 Prozent. Das Bekämpfen der Infektion – oftmals sind chronische Wunden von mehrfachresistenten Bakterien besiedelt – ist die Grundvoraussetzung für eine Heilung. Der Wundverschluss selbst wurde nicht untersucht. Bislang noch unveröffentlichte Beobachtungen deuten jedoch darauf hin, dass die Plasmabehandlung auch das Heilen der Wunden förderte.

Ähnlich Positives berichteten die Münchner Forscher im April 2011 im Rahmen einer Einzelfallstudie mit einem Patienten, der an Hailey-Hailey-Krankheit leidet [3]. Dabei handelt es sich um eine seltene angeborene Verhornungsstörung. Sie geht mit Hautrötungen und Blasen einher, die sich oftmals infizieren und daher schlecht heilen. Auch hier reinigte das Plasma die Wunden von Infektionen. Aber nicht nur das: Bereits nach vier Sitzungen, bei denen die Ärzte den Patienten mit Plasma behandelten, bildeten sich die ersten Verletzungen der Haut zurück – weitere folgten nach acht beziehungsweise elf Behandlungseinheiten. Der Patient ist nach Angeben des Studienleiters Georg Isbary vom Klinikum Schwabing seither beschwerdefrei. "Wenn sich bestätigt, dass wir zusätzlich zum Abtöten der Erreger durch die Plasmabehandlung auch noch den Wundverschluss fördern können, wäre das natürlich der Sechser im Lotto", sagt Zimmermann.

Der Greifswalder Forscher Weltmann ist längst überzeugt davon, dass das Plasma nicht nur das Zeug zum Töten hat. So zeigten Kulturexperimente, dass der energiereiche Stoff die Zellen dazu anregen kann, sich zu vermehren. Und Versuche mit Hühnerembryos ergaben: Plasmabehandlung fördert das Entstehen neuer Blutgefäße. "Es zeichnet sich ab, dass sich mit Plasma ganz unterschiedliche Effekte erzielen lassen – je nachdem, auf was für Zellen es trifft und vor allem wie es zusammengesetzt ist." Der Cocktail nämlich, der das Plasma ausmacht, lässt sich variieren – mehr geladene Teilchen etwa, weniger UV-Strahlung und Ozon, stärkere elektrische Felder und so weiter. Mit jeder Veränderung bekommt das Plasma neue Eigenschaften – und möglicherweise auch einen neuen Einfluss auf Zellen.

Sollte sich dies bewahrheiten, lassen sich Zellen eines Tages vielleicht tatsächlich gezielt zu einem schnelleren Wundverschluss anregen. Man könnte auch versuchen, Krebszellen abzutöten und Tumoren am Wachstum zu hindern. Oder man lässt das Plasma Einfluss auf Immunzellen nehmen, um eine überschießende oder fehlgesteuerte Abwehrreaktion im Falle von Allergien oder Autoimmunerkrankungen zu korrigieren.

Noch mehr Grundlagenforschung nötig

Die Anwendungsbereiche scheinen beinahe unbegrenzt, und tatsächlich wird auf all diesen Gebieten geforscht. Dennoch warnt Weltmann noch vor Euphorie. "Die richtige Mischung für die jeweilige Anwendung zu finden, ist die ganz große Kunst", sagt er. "Das bedeutet eine Menge Grundlagenforschung und Experimente mit Zellkulturen und Gewebeproben." Im Vordergrund müsse wie bei allen Therapieansätzen der Sicherheitsaspekt stehen – bevor man die einzelnen Methoden eines Tages tatsächlich bei Patienten erproben kann.

Am realistischsten ist derzeit die Anwendung im Bereich der Dekontamination [4], seien es medizinische Geräte und Oberflächen oder eben chronische Wunden, wie im Rahmen der klinischen Studie in München. Laut Weltmann könnte nicht zuletzt die Zahnheilkunde davon profitieren. Hier steht ebenfalls die Desinfektion im Vordergrund, von Implantaten und Prothesen, aber auch von ausgebohrten Wurzelkanälen, die sich mit herkömmlichen Methoden nur schwer erreichen lassen. Doch das Plasma kann noch mehr: Es verändert die Oberflächen von Zahnimplantaten derart, dass sie leichter einwachsen. "Aber den Bohrer ersetzen, wie man manchmal liest, wird die Plasmamedizin sicher nicht", meint Weltmann.

Ihr großes Manko sind derzeit noch die hohen Kosten. Für ein Gerät, wie es in der klinischen Studie in München zum Einsatz kam, muss man einen fünf- bis sechsstelligen Betrag ansetzen – kleinere Versionen, die für den ambulanten Bereich in der Entwicklung sind, immer noch einen drei- bis vierstelligen. Hinzu kommen erhebliche Aufwendungen für Forschung und Entwicklung.

Ionisierte Raumluft statt teurem Argon

Ein Grund dafür ist, dass die meisten Geräte bislang mit reinem Argon arbeiten. Das teure Edelgas reagiert nicht mit der Wunde und zeigt damit eine Eigenschaft, die sich vor allem Leiter klinischer Studien wünschen. Ein beobachteter Effekt – sei es Wundheilung oder Dekontamination – lässt sich dann mit Sicherheit auf das Plasma zurückführen, und nicht etwa auf die Chemikalien, die mit im Spiel sind. Außerdem entscheidet die Wahl des Gases unter anderem darüber, wie viel UV-Strahlung entsteht.

Doch es muss nicht immer Edelgas sein. So experimentieren die Wissenschaftler in Greifswald mit Kohlendioxid, Stickstoff, Sauerstoff und verschiedenen Gasgemischen wie gewöhnlicher Luft. Ein Plasmagerät, an dem die Garchinger MPI-Forscher zurzeit tüfteln, soll beispielsweise mit Raumluft funktionieren. Es könnte eines Tages bei der Handdesinfektion eingesetzt werden. Dass es bereits jetzt das Händewaschen im Institut ersetzt, sei allerdings ein Gerücht. "Das wäre unverantwortlich, so lange nicht alle Fragen der Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen geklärt sind, und das Gerät für eine solche Anwendung zugelassen ist", sagt Zimmermann. Hersteller medizinischer Geräte hätten gleichwohl schon Interesse bekundet.

Weltmann bezweifelt allerdings, ob die Plasmamedizin in dieser Hinsicht herkömmlichen Desinfektionsmitteln überlegen ist. "Das ist letztlich immer die entscheidende Frage bei einem neuen, teuren Verfahren: Erzielt es einen Effekt, den andere Methoden nicht leisten können?", sagt er.

Der Greifswalder Forscher erinnert in dem Zusammenhang an die Lasermedizin, die ihre hohen Kosten auch zunächst mit entsprechenden Effekten rechtfertigen musste und die sich längst in vielen Bereichen durchsetzen konnte. Und bei manchen Anwendungen, davon ist der Forscher fest überzeugt, sei Plasma dem Laser weit überlegen. Doch den endgültigen Beweis müssen er und seine Kollegen erst noch liefern.

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  • Quellen

[1] Daeschlein, G. et al.: Cold plasma is well-tolerated and does not disturb skin barrier or reduce skin moisture. In: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 10.1111/j.1610–0387.2012.07857.x, 2012

[2] Isbary, G. et al.: A first prospective randomized controlled trial to decrease bacterial load using cold atmospheric argon plasma on chronic wounds in patients. In: The British Journal of Dermatology 163, S. 78–82, 2010

[3] Isbary, G. et al.: Cold Atmospheric Plasma. A Successful Treatment of Lesions in Hailey-Hailey Disease. In: Archives of Dermatology 147, S. 388–290, 2011

[4] Kramer, A. et al.: Chancen und Perspektiven der Plasmamedizin durch Anwendung von gewebekompatiblen Atmosphärendruckplasmen (Tissue Tolerable Plasmas, TTP). In: GMS Krankenhaushygiene Interdisziplinär 4(2), Doc 10, 2009

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