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News: Hintergründe des Drogenrauschs

Drogensucht ist die Sucht nach dem Drogenkick. Und dieser erschwert offenbar, wie neu entdeckte neuronale Hintergründe langsam enthüllen, in einer fatalen Spirale eine bessere Einsicht.
Was ist schlecht an Drogen? Eine naiv anmutende Frage, die längst vielfach beantwortet ist – und zwar einleuchtend, gesellschaftspolitisch wie medizinisch. Dennoch ist Drogenmissbrauch alles andere als ein Problem der Vergangenheit: Sucht ist keine Frage einleuchtender Argumentation, sondern eine Krankheit. Ihre Bekämpfung wird dadurch erschwert, dass der Konsum der Droge Abhängige in einen Teufelskreis zwingt. Ständig verstärkter Drogenkonsum liefert ihnen, neben allerlei schädlichen Nebenwirkungen, jene dringend erforderliche emotionale Selbstbestätigung zur Bewältigung des Alltags. Naturwissenschaftliche Grundlage dieser Zusammenhänge: Die Droge stimuliert das so genannte Belohnungszentrum des Gehirns, den Nucleus accumbens.

Weiter ketzerisch gefragt: Was ist speziell daran nun eigentlich so schlimm? Bryan Kolb von der University of Lethbridge und seine Kollegen liefern darauf nun einige aufschlussreiche Antworten aus neurobiologischer Sicht. Sie beschäftigten sich – exemplarisch an Ratten – mit der langfristigen Aktivität jenes gehirneigenen Belohnungszentrums. Bestimmte Verhaltensweisen können hier die vermehrte Bildung neuer Nervenverzweigungen und Dendriten auslösen.

Zu beobachten ist dies beispielsweise, wie die Forschergruppe zuletzt zeigte, an Ratten, die einige Zeit in einem paradiesisch ausgestatteten Wohnkäfig mit allerlei Spielzeug, Lauftunneln und Turngerät gehalten wurden. In diesem Ratten-Abenteuerspielplatz kletterten, spielten und bewegten sich die Tiere intensiv – im Gegensatz zu weniger beneidenswerten Nager-Genossen, die währenddessen normale Rattenkäfige bewohnten. Als abschließend die Gehirne aller Versuchstiere untersucht wurden, zeigte sich, dass die bewegt gelebten Tiere im Gegensatz zu den wenig abgelenkten Artgenossen deutlich komplexere Nerven-Netzwerke im Nucleus accumbens ausgebildet hatten – und zudem in jenem Gehirnzentrum, welches für senso-motorische Steuerung zuständig ist, dem parietalen Cortex.

Dahinter steht wohl ein nahe liegender, evolutionsbiologisch wichtiger Sinn: Überlebensförderliche Aktivitäten – für Säugetiere etwa das Erlernen komplexer Bewegungsabläufe, das Erkunden der Umgebung oder einfach auch generelle Neugier, die etwa die Fähigkeiten zur Entwicklung von Problemlösungsstrategien fördert, lösen gleichzeitig im Belohnungszentrum ein positives emotionales Feedback aus. Sie signalisieren also, vereinfacht gesagt, ein "Bravo! Mehr davon!" Die Ratten im Versuch von Kolb und Kollegen "belohnte" dieser neuronale Zuspruch also für die neu erarbeiteten, im parietalen Cortex frisch verdrahteten senso-motorischen Möglichkeiten.

Derartig vermehrten emotionalen Zuspruch, so zeigten die Forscher weiter, lösen aber ganz ähnlich auch Drogen aus: Unter dem Einfluss wiederholter Amphetamingabe erhöhte sich die Nucleus-accumbens-Aktivität ebenfalls, und wieder entstanden dort komplexere neuronale Netze. Einher ging dies mit deutlichen Verhaltensänderungen der Tiere. Offenbar honorierte das umgestaltete Belohnungszentrum das drogengeförderte Rauscherlebnis. Neue, andere Hirnregionen beeinflussende Fähigkeiten bringt dieses allerdings nicht mit sich, im Gegenteil: Die Nervendichte etwa im parietalen Cortex der Ratten sank sogar nachweisbar. Damit aber sind Belohnung und Erlernen sinnvoller Aktivität entkoppelt – und der Teufelskreis der Drogenabhängigkeit kann beginnen.

Die Folgen reichen aber noch weiter, wie Kolbs Team nun zeigte. Dazu verglichen die Wissenschaftler zwei Rattengruppen in jenem von ihnen bereits erfolgreich eingesetzten, anregenden Wohnparcours, der die Komplexität des parietalen Ratten-Cortex förderte. Eine Versuchstier-Gruppe bestand in dieser Experiment-Reihe aus Ratten, die 20 Tage lang an regelmäßige Amphetamin- und Kokaingabe gewöhnt wurden, die zweite aus "clean" aufgezogenen Tieren zur Kontrolle. Letztere profitierten, wie zuvor, von ihrem interessanten Wohnumfeld durch eine neuronale Verdichtung in Nucleus accumbens und parietalem Cortex. Bei den zuvor drogengeputschten Tieren – im Wohnkäfig während des Experiments dann entwöhnt – fanden diese synaptischen Umbauten in den beiden Gehirnregionen dagegen nicht im selben Maße statt. Offensichtlich beeinträchtigte der vorangegangene Drogenkonsum den natürlicherweise eingespielten Mechanismus von neuronalem Lernen und Belohnung.

Der Umbau bestimmter Gehirnschaltkreise – normalerweise eine Folge erlebter Erfahrungen – wird demnach durch Drogenkonsum blockiert. Offenbar auch noch einige Zeit nach der letzten Drogendosis, so Kolb: "Das könnte durchaus einige der kognitiven und verhaltensbeeinflussenden Defizite erklären, die bei drogenabhängigen Menschen zu beobachten sind". Kolb sieht allerdings nicht nur negative Aspekte dieses biologischen Zusammenhangs: Schließlich sollten dann umgekehrt verhaltens- und erfahrungsabhängige neuronale Umstrukturierungen ihrerseits auch Effekte des Drogenkonsums gezielt positiv beeinflussen können. Und dieser Gedanke, so Kolb, rechtfertigte durchaus weite Forschungsanstrengungen.

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