Direkt zum Inhalt

Hirnforschung: Ich sage dir, was du siehst

Moderne bildgebende Verfahren erlauben immer genauere Blicke ins Innere des Menschen. Selbst vor dem Gehirn macht die funktionelle Magnetresonanztomografie nicht halt. Computergestützt lässt sich mit diesem Verfahren bereits vorhersagen, was ein Mensch sieht.
Gedankenlesen
Was geht nur hinter dieser Stirn vor? Wie oft wüssten wir nur zu gerne, was sich hinter dem Lächeln unseres Gegenübers tatsächlich verbirgt! Auch wenn wir häufig vermuten können, was der andere denkt, so bleiben die wahren Gedanken trotzdem geheim.

Doch wie lange noch? Erfindungsreich wie der Mensch ist, hat er bereits Mittel und Wege gefunden, einen ersten Blick ins denkende Gehirn zu werfen: Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) kann er dem Denkorgan bei der Arbeit zusehen. Anhand des verstärkten Blutflusses in aktiven Bereichen lässt sich mit dieser Technik erkennen, welche Bereiche für bestimmte Hirnleistungen zuständig sind.

Die räumliche Auflösung des Verfahrens – sie liegt im Millimeterbereich – ist aber verhältnismäßig grob. Viel zu grob, um die Arbeit einzelner Nervenzellen erkennen zu lassen, die dafür viel zu dicht beieinander liegen. Doch die Grenzen des Machbaren verschieben sich in immer feinere Bereiche: Noch liegen die Gedanken anderer Menschen im Verborgenen, doch was sie betrachten, lässt sich schon beobachten: Zwei Arbeitsgruppen ist es nun gelungen, aus fMRT-Daten so detaillierte Informationen herauszulesen, dass sie vorhersagen konnten, was die Versuchspersonen sahen.

Beide Teams beschäftigten sich mit einer grundlegenden Eigenschaft des visuellen Systems: dem Erkennen der Ausrichtung von Linien und Kanten, der Grundlage für die Wahrnehmung von Formen. Die auf diese Aufgabe spezialisierten Nervenzellen liegen in der primären Sehrinde, nur rund 500 Tausendstel Millimeter voneinander getrennt – eigentlich zu dicht neben einander für die Analyse per fMRT. Yukiyasu Kamitani von den ATR-Labors in Kyoto und Frank Tong, heute an der Vanderbilt-Universität, gelang es aber, feinste Unterschiede in den fMRT-Daten zu finden und zu nutzen [1].

Sie zeigten Freiwilligen in verschiedene Richtungen geneigte Streifenmuster und zeichneten die Arbeit des Hirns per fMRT auf. Dabei entdeckten sie, dass die Hirnaktivität in Abhängigkeit von der Linienausrichtung geringfügig variierte. Kamitani und Tong trainierten ein Computerprogramm, diese Unterschiede aus den Daten herauszulesen. Schließlich konnte das Programm tatsächlich vorhersagen, in welche Richtung die Schraffur geneigt war, welche die Versuchsperson betrachtete.

Gedankenlesen | Die Versuchspersonen sollten entweder nur die weiße oder die schwarze Schraffur beachten. Das Computerprogramm konnte aus den dabei aufgezeichneten fMRT-Daten herauslesen, auf welche Schraffur die Testperson ihre Aufmerksamkeit lenkte.
Dann hielten die Wissenschaftler den Testpersonen eine Kombination beider Muster vor Augen, nämlich ein Gitter aus nach links geneigten weißen und nach rechts geneigten schwarzen Streifen. Sie baten die Probanden, ihre Aufmerksamkeit auf eines der beiden Linienmuster zu lenken. Das Computerprogramm war in der Lage zu erkennen, welches Muster die Freiwilligen jeweils ins Visier nahmen. Es konnte also in gewisser Weise Gedanken lesen: Es erkannte nicht nur, was der Mensch sah, sondern auch das, was er sehen wollte.

Die unbewusste Komponente bei der Wahrnehmung interessierte John-Dylan Haynes und Geraint Rees vom University College London [2]. Die beiden führten ihren Probanden zunächst für einen extrem kurzen Moment nach links oder rechts geneigte Streifenmuster vor und zeigten anschließend für einen längeren Zeitraum ein Gitter. Durch diesen Wechsel nahmen die Versuchspersonen die schrägen Linien der kurz gesehenen Schraffur nicht bewusst wahr und waren dementsprechend nicht in der Lage, deren Richtung anzugeben.

Unbewusste Wahrnehmung | Den Versuchspersonen wurde für einen kurzen Moment ein schräges Streifenmuster gezeigt, anschließend sahen sie für einen längeren Zeitraum das Gitter. Dadurch nahmen sie das Streifenmuster nicht bewusst wahr und konnten dessen Neigungsrichtung nicht angeben.
Das Gehirn verarbeitete die Reize aber trotzdem, auch wenn sie nicht bis ins Bewusstsein gelangten: Aus den bei dem Test aufgezeichneten fMRT-Aktivitätsmustern des primären Sehzentrums lasen die Wissenschaftler schwache richtungsspezifische Signale aus, mit denen sie ein Computerprogramm fütterten. Dieses konnte dann genau angeben, in welche Richtung das von den Probanden nicht wahrgenommene Linienmuster geneigt war – und das, obwohl die Versuchspersonen es gar nicht bewusst gesehen hatten.

Mit der funktionellen Magnetresonanztomografie lässt sich also – zumindest bei einfachen visuellen Aufgaben – tief ins menschliche Hirn sehen. Selbst Absichten und Unbewusstes bleiben ihr nicht verborgen – doch welche geheimen Gedanken sich hinter der Stirn der Mitmenschen regen, enthüllt sie trotzdem noch lange nicht.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.