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Physikalische Chemie: Im Wasser bleibt es kompliziert

Wasser ist nicht "ohne". Obwohl jedes Kind seine Formel kennt, haben Wissenschaftler noch immer Schwierigkeiten, seine seltsamen Eigenschaften zu erklären. Wo zum Beispiel bewahrt es überschüssige Elektronen auf?
Wasser
Wohin mit dem Elektron? Die Frage erinnert unwillkürlich an Recycling in der Küche: In welchen Eimer gehört der Joghurtbecher? Tatsächlich hat das Elektronen-Problem entfernt mit Essen und Trinken zu tun, aber zwei wesentliche Unterschiede gibt es doch: Erstens fallen ständig ungleich mehr Elektronen an als Joghurtbecher. Und zweitens ist die Entsorgung der Elektronen keine Frage des Umweltbewusstseins, sondern eine akute Lebensnotwendigkeit. Hätten unsere Zellen keine Lösung gefunden, wäre die gesamte Biochemie und mit ihr das Leben schlechthin unmöglich.

Es liegt an der Chemie. Um Stoffe auf- oder abzubauen, Moleküle zu bilden oder zu zerlegen, kurz: bei jeder chemischen Reaktion werden Elektronen verschoben oder ausgetauscht. Im menschlichen Körper vermitteln meist so genannte Enzyme den Transfer. Wollen wir beispielsweise unseren gesunden Joghurt verdauen, werden seinen Kohlenstoffatomen nach und nach einige Elektronen entzogen und über diverse Zwischenstufen auf Sauerstoffatome übertragen. In gewisser Weise atmen wir also vor allem deshalb, weil wir eben diese Elektronen loswerden müssen.

Aber nicht immer läuft alles so schön Hand in Hand. Vielleicht gibt es gerade keinen freien Elektronen-Empfänger, obwohl der Druck empfindlich steigt. Oder wir befinden uns in Bereichen der Chemie, die ohne Enzyme auskommen müssen. Wohin dann mit den Elektronen?

In's Wasser damit!, lautet eine gängige Variante. Wasser gibt es bei chemischen Reaktionen häufig in ausreichender Menge, es hat pro Molekül zwei teilweise positiv geladene Wasserstoffenden und ein teilweise negativ geladenes Sauerstoffatom – da wird ein überschüssiges Elektron schon gut aufgenommen sein. Zumal ein Wassermolekül sowieso praktisch nie alleine kommt, sondern mit einer größeren Menge Kollegen ein Cluster genanntes lockeres Molekülgrüppchen bildet. So ein Cluster nimmt in der Tat bereitwillig ein zusätzliches Elektron auf und birgt es ... in seinem Inneren oder an der Oberfläche? So genau weiß die Wissenschaft das bislang nicht.

Weil dererlei hydratisierte Elektronen aber in der Biologie, Chemie und Physik eine so große Rolle spielen, wäre es ziemlich wichtig, den Aufbewahrungsort des Elektrons exakt zu kennen. Daher bemühen sich Forscher mit vielerlei theoretischen und experimentellen Ansätzen, mehr über die elektrisierten Wassercluster zu erfahren. Doch so einfach das Wassermolekül auf dem ersten Blick auch scheinen mag, so widerstrebend gibt es seine Geheimnisse preis. Die bisherigen Arbeiten zum Verbleib des Elektrons lieferten jedenfalls widersprüchliche Aussagen.

Ein Team von Chemikern um Jan Verlet von der University of California in Berkeley hat nun mit einer verbesserten Apparatur zur Photoelektronen-Spektroskopie jene Energie gemessen, die notwendig ist, um einem Wassergrüppchen sein überschüssiges Elektron zu entreißen. Daraus sollte sich schließen lassen, wie tief es in dem Cluster verborgen lag.

Für die Messungen wurden zunächst einmal Wassercluster erzeugt, indem ein Strom von Argon-Gas kleine Molekülgrüppchen in eine Vakuumkammer mitriss. Dort trafen sie mit einem hochenergetischen Elektronenstrahl zusammen, der die überschüssigen Elektronen produzierte. Je nach Größe hatten die Cluster unterschiedliche Flugeigenschaften und konnten so bequem sortiert werden. Ein Laserstrahl löste schließlich das hydratisierte Elektron vom Verband, und aus seiner Geschwindigkeit ging hervor, wie fest es zuvor gebunden war.

Die Daten von Clustern mit elf bis 200 Wassermolekülen zeigen, dass die Natur sich alle Möglichkeiten offen lässt: In den Spektren sind sowohl Anzeichen für stärker wie für schwächer gebundene Elektronen zu sehen. Offenbar werden diese mitunter im Inneren der Cluster gebunden, in anderen Fällen an der Oberfläche. In beiden Szenarien übernehmen einige wenige Wassermoleküle die direkte Bindung, und das gesamte Grüppchen unterstützt durch die passende Ausrichtung seiner Dipole.

Weil Wasser in Reagenzgläsern und biologischen Zellen nicht in isolierten Clustern einer Vakuumkammer vorliegt, wird vermutlich der Variante mit den eingeschlossenen Elektronen die größere praktische Bedeutung zukommen. Womit sich für die potentiellen Elektronen-Empfänger die dringende Frage stellt, wie sie an das begehrte Elektron herankommen sollen. Aber das ist schon Thema für eine andere Forschungsarbeit ...

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