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News: Immunsystem zwischen den Stühlen

Bislang galt eine strenge Aufgabenteilung des Immunsystems. Weiße Blutkörperchen aus der Gruppe der angeborenen Immunantwort schlagen in einer ersten Angriffswelle die Eindringlinge nieder. Als zweiter Trumpf folgen dann die Schachzüge des erworbenen Immunsystems. Doch spezielle Blutzellen - die erst kürzlich entdeckten Gamma/Delta-T-Zellen - scheinen in beiden Abwehrmechanismen mitzumischen und durch diesen Spagat eine unerwartete Verbindung beider Immunantworten zu schaffen.
Um penetranten und einfallsreichen Mikroben Eindringen und Besiedlung so schwer wie möglich zu machen, hat unser Immunsystem höchst komplizierte Verteidigungslinien aufgebaut. Haben Viren, Bakterien oder Pilze die ersten Schutzmechanismen der Schleimhäute unbeschadet überwunden, tritt mit weißen Blutkörperchen des so genannten angeborenen Immunsystems die nächste Front in Aktion. Ihre Schlagkraft liegt hauptsächlich in ihrer Gefräßigkeit, denn sie verschlingen und verdauen die Fremdlinge, sobald sie ihrer gewahr werden.

Manchmal reichen diese Ordnungshüter aber nicht aus, und die ausgeklügelte Maschinerie des erworbenen Immunsystems startet die Produktion von spezifischen Antikörpern, lagert diese Information in Form von Gedächtniszellen ab und jagt die Eindringlinge mithilfe von T-Zellen aufs Neue. Und so kämpfen beide Fronten streng voneinander getrennt, eine Verbindung zwischen ihnen war bisher in der Fachwelt nicht bekannt. Doch es scheint sie zu geben, wie Wissenschaftler um Zheng Chen vom Beth Israel Deaconess Medical Center bei ihrer Tuberkuloseforschung entdeckten.

In Verdacht geraten waren spezielle Immunzellen, die erst vor kurzem überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit traten: die so genannten Gamma/Delta-T-Zellen. Dass diese Zellen im angeborenen Immunsystem eine wichtige Rolle spielen, wussten die Forscher bereits, sehr detailliert waren ihre Kenntnisse aber nicht. Um die zellulären Aufgabenfelder aufzuschlüsseln, infizierte das Forscherteam Rhesusaffen mit dem einzigen weltweit verwendeten Impfstoff gegen Tuberkulose. Der bereits im Jahre 1908 entwickelte und 13 Jahre später zum ersten Mal eingesetzte Impfstoff BCG wirkt allerdings nur bei Kindern zuverlässig, während er bei Erwachsenen unterschiedlich effektiv ist. Aufgebaut wird der Immunschutz, indem das Immunsystem nach dem ersten Kontakt spezielle Antikörper herstellt und die Information in Form von Gedächtniszellen speichert. So abgelegte Informationen können bei erneutem Kontakt blitzschnell aktiviert werden.

Die Forscher kurbelten mit einer ersten Gabe des Impfstoffs das Immunsystem an und setzten den Affen kurz danach eine zweite Spritze. Vier bis sechs Tage, nachdem sie zum zweiten Mal den Impfstoff gespritzt hatten, konnten die Forscher im Affenblut einen starken Anstieg der Gamma/Delta-T-Zellen um das Zwei- bis Neunfache nachweisen. Damit nicht genug. Die speziellen Immunzellen ließ sich noch nach sieben Monaten in größerer Menge aufspüren. Für die Wissenschaftler ist dies der erhoffte Beweis, dass diese Lymphocyten auch ein Gedächtnis entwickeln können.

"Dies Studie zeigt zum ersten Mal", so Teammitglied Norman Letvin, "dass die Bevölkerung der Gamma/Delta-T-Zellen mit gespreizten Beinen auf den Grenzen zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem stehen." Und fügt an: "Dieses Ergebnis könnte unser Annähern an die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Tuberkulose ändern." Und das wäre auch dringend erforderlich, schließlich infizieren die Erreger jedes Jahr noch immer 16 Millionen Menschen weltweit und fordern zwei Millionen Tote.

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