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News: In Gefangenschaft geraten

Mithilfe ausgeklügelter Mechanismen breiten viele Pflanzen ihre Samen aus und legen damit den Grundstein für ihren Fortbestand. Doch auch bei diesem überlebenswichtigen Prozess können sich mitunter Fehler einschleichen, so geschehen bei einer Variante der Ackerschmalwand: Ihre reifen Früchte platzten nicht planmäßig auf, und die Samen blieben fortan eingesperrt. Offenbar ist dies auf eine einzige Veränderung im Erbgut zurückzuführen - ein erstaunlicher Befund, denn zahlreiche pflanzliche Abläufe sind keineswegs störanfällig.
Um ihr Überleben zu sichern, haben Pflanzen vielfältige Mechanismen entwickelt, mit deren Hilfe sie ihre Samen in die unmittelbare oder ferne Umgebung entlassen. Dazu bedienen sich einige Vertreter fremder Unterstützung und überlassen es getrost Tieren, Menschen, dem Wind oder Wasser, ihre Fortpflanzungseinheiten räumlich zu verfrachten. Andere wiederum nehmen diese heikle Aufgabe lieber selbst in die Hand: Ihre reifen Früchte springen an genau festgelegten Stellen auf und entlassen die eng zusammengepferchten Samenkörner mitunter einige Meter weit in die Freiheit.

Die Vermutung liegt nahe, dass die Pflanzen jenen grundlegenden Prozess der Samenausbreitung genauestens überwachen und vielfältige Sicherungen eingebaut haben, damit hier keine verhängnisvollen Fehler unterlaufen. Doch weit gefehlt, wie Venkatesan Sundaresan von der University of California in Davis und Sarojam Rajani von der National University of Singapore nun bei der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) entdeckten: Eine Variante in ihrem Labor verhielt sich keineswegs wie ihre Artgenossen, denn ihre Schoten platzten nicht wie üblich auf, um die reifen Samen zu verstreuen. Stattdessen blieben die Früchte verschlossen.

Wie eine detaillierte Untersuchung enthüllte, wies jene Pflanze eine geringfügige Veränderung in ihrem Erbgut auf. Lediglich ein Gen, dem die Wissenschaftler den Namen Alcatraz (ALC) verliehen, war mutiert – allerdings mit weitreichenden Folgen. Normalerweise wird das Gen entlang des Fruchtrandes abgelesen, an der Stelle, wo das Gewebe zwischen Frucht und Samen auseinanderweicht. ALC ermöglicht diese Abtrennung, indem es Veränderungen in einen schmalen Streifen von unverholzten Zellen auslöst, der zwischen Schichten aus verholzten Zellen eingeklemmt ist.

Welche biochemischen Prozesse im Einzelnen ablaufen, ist zwar noch nicht bekannt, aber vermutlich begehen die beteiligten Zellen Selbstmord und sterben ab, spekuliert Sundaresan. Das mutierte ALC-Gen bewirkt hingegen, dass eine Brücke aus verholzten Zellen den holzfreien Streifen ersetzt. Infolgedessen lösen sich die Schichten nicht voneinander ab und die Samenkörner bleiben in den Schoten gefangen. Doch sie waren keineswegs auf unbestimmte Zeit eingesperrt, denn schon ein leichter manueller Druck reichte aus, um sie freizusetzen.

Für die Forscher kommt die Erkenntnis überraschend, dass offenbar ein Gen allein einen so bedeutenden Prozess wie das Aufplatzen der Früchte steuert. Pflanzen verfügen normalerweise über eine Reihe von störungssicheren Mechanismen, und der Ausfall einer einzigen Erbanlage konnte bislang nicht nachgewiesen werden, hebt Jeremy Roberts von der University of Nottingham hervor. Die Wissenschaftler setzen jedoch große Hoffnungen in das nun entdeckte Gen. Möglicherweise könnte es bei wirtschaftlich bedeutenden Nutzpflanzen den frühzeitigen Verlust von Samenkörnern verhindern und auf diese Weise die Ernteerträge erhöhen. Und vielleicht ließe sich mit Hilfe eines modifizierten ALC-Gens auch das Risiko senken, dass Samen von gentechnisch veränderten Pflanzen in die Umwelt gelangen.

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