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Sprachgeschichte: Indoeuropäische Sprachen stammen aus Anatolien

Indoeuropäische Wortverwandschaft

Seit Jahrzehnten debattieren Sprachforscher über das Ursprungsgebiet der indoeuropäischen Sprachfamilie. Die eine Fraktion verlegt es in die Steppen nördlich von Kaspischem und Schwarzen Meer – expandierende Kriegervölker sollen von hier aus ihr Idiom verbreitet haben. Die anderen sehen die frühen indoeuropäischen Sprachen in einer Art Gesamtpaket mit den ersten Ackerbau- und Viehzuchttechniken, die sich von Anatolien aus verbreiteten.

Ein Forscherteam um Quentin Atkinson von der University of Auckland in Neuseeland meint nun, deutliche Hinweise auf Szenario 2 – den Auszug aus Anatolien – gefunden zu haben. Und zwar mit Hilfe eines Verfahrens, das zum Studium von Virusepidemien entwickelt wurde.

Mit ihm wollen Mediziner eigentlich aus dem Erbgut verwandter Virusstämme und deren Verbreitungsgebiet auf den Ausgangspunkt einer Epidemie zurückrechnen. Dabei machen sie sich zunutze, dass sich im Laufe der Zeit immer mehr Zufallsmutationen im Erbgut der Viren anfallen und der Grad ihrer Ähnlichkeit immer mehr sinkt.

© Q.D. Atkinson
Die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen
Mit ihrem statistischen Verfahren konnten die Forscher um Atkinson die Ausbreitung der Sprachfamilie in Raum und Zeit nachvollziehen. In den besser bekannten Abschnitten – etwa in Westeuropa – decken sich die Ergebnisse gut mit den historischen Befunden.

Auf ganz ähnliche Weise driften auch zwei verwandte Sprachen mit der Zeit auseinander, ablesbar an Unterschieden im Wortschatz. Atkinson und Kollegen ließen daher den Computer die Ähnlichkeit von 103 toten und lebenden indoeuropäischen Sprachen berechnen. Dadurch erhielten sie einen Stammbaum, der das wahrscheinlichste Verzweigungsmuster wiederspiegelt – bis hierhin eine mittlerweile erprobte Technik der historischen Linguistik. Nun reicherten sie die Daten um das Verbreitungsgebiet der jeweiligen Sprachen an und starteten – durch Zufallsprozesse gesteuerte – Simulationen, um zu ermitteln, welche denkbaren Ausbreitungswege einen solchen Stammbaum erzeugen würden.

Egal ob sie in ihrem Modell nun Reisen auf dem Landweg bevorzugten oder auch eine schnelle Expansion über Wasser, ob sie nur ausgestorbene Sprachen betrachteten oder auch einen Stammbaum aus der älteren Forschungsliteratur: Immer lag die Wurzel genau in Anatolien.

Zur Probe ließen sie ihr Verfahren auch das Ursprungsgebiet der romanischen Sprachen ermitteln und erhielten ein Gebiet um Rom als Antwort – hier nahm Latein als gemeinsamer Vorfahr dieser Sprachen tatsächlich seinen Ausgangspunkt.

Auch was den zeitlichen Rahmen der indoeuropäischen Expansion angeht, erhielten sie Ergebnisse, die mit der Ausbreitung der Landwirtschaft im Einklang stehen: Demnach wurde der gemeinsame Vorfahr zwischen 7116 und 10 410 Jahren vor heute dort gesprochen; den Beginn des Ackerbaus datieren Archäologen auf die Zeit vor 8000 bis 9000 Jahren.

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