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Biotechnologie: Innenschau der Naturplastiker

Biotechnologie kann nicht nur grün und rot, sondern auch weiß sein - damit soll etwa umweltfreundliches Material entstehen, das rückstandsfrei auf Komposthaufen vergammelt. Perfekt funktionieren wird das nur, wenn man die Kniffe potenziell hilfreicher Bakterien versteht.
Optimismus, trotz Rohölpreisen und Zapfsäulen-Abzocke? Warum nicht, immer wird unsere Abhängigkeit vom Schwarzen Gold ganz sicher nicht währen. Und, so erklären Sorglose per Bonmot: Auch die Steinzeit endete ja nicht deshalb, weil keine Steine mehr da waren. Will sagen: Sobald was Besseres kommt, ist doch egal, ob das Schlechtere zur Neige geht. Realisten reicht diese Antwort nicht so ganz: "Was Besseres" ist nämlich blöderweise nicht in Sicht, noch nicht mal "was Gleichwertiges".

Die Analogie zur Stein-Bronze-Zeitenwende ist überdies ziemlich schief. Bronze konnte zwar Stein in unserer kulturellen Frühzeit beim Waffen- und Werkzeugbau gut ersetzen, Erdöl aber ist heute derart universell in den Materie-Durchlauferhitzer der Menschheit eingeklinkt, dass eine Materialinnovation alleine kaum unsere Abhängigkeit vom Schwarzen Gold beenden wird.

Aus Öl produziert unsere Gesellschaft Treibstoff, aber auch Düngemittel, synthetische Nährlösungen und Pharmazeutika, Plastik und vieles mehr. Zwar kann Öl heute schon oft durch Alternativen ersetzt werden, kaum allerdings wirklich gleichwertig. Dies gilt umso mehr, wenn der wichtigste Faktor in die Bilanz eingeht: der Kostenfaktor. Bis es wirklich eng wird mit den Reserven sind Alternative Energien, Ersatzbrennstoffe oder künstliche Kohlenwasserstoffe als Synthesebasis zu teuer, also unwirtschaftlich. Also zumindest unsubventioniert keine Konkurrenz.

Das gilt auch für einen alten Hoffnungsträger der Plastikproduzenten und der "weißen" Biotechnologie – Ralstonia eutropha. Dem Knallgas-Keim wird bereits seit fast einem halben Jahrhundert das Potenzial bescheinigt, die ölhungrige Kunstoff-Industrie zu revolutionieren.

Wie ein paar seiner nahen Verwandten glänzen Ralstonias mit ein paar besonderen Stoffwechsel-Schmankerln. Das Bakterium lagert etwa nicht sofort verbrauchte Nährstoffe als Spezial-Polyester für harte Zeiten ein. Eben dieser Ralstonia-Spezialpolyester – genauer, eine Polyhydroybuttersäure – weckte die Begehrlichkeiten der Kunstoffmacher, ist er doch als Kohlenwasserstoffpolymer prinzipiell auch nichts anderes als Polyethylen, Polysterol oder all die anderen ähnlichen Polymervarianten, die bislang mit Aufwand und Erdöl zu Kunstoffen fabriziert werden. Warum nicht die Keime zur Plastikproduktion einsetzen?

Bald nach der Idee war die Ralstonia-Sippschaft tatsächlich in industriellen Massen zur Produktion von Polyestern biotechnologisch versklavt, wobei "natürliche" Kunststoffe entstanden, die zudem biologisch abbaubar sind. Die Praxistauglichkeit bewies der Bakterien-Biokunststoff vereinzelt in Shampooflaschen, Verpackungen für medizinische Instrumente, Binden und Windeln. Wirklich durchsetzen konnte er sich bislang allerdings nicht – die Herstellungskosten waren einfach zu hoch, weil die Bakterien den Polyester eben nur dann im großen Stil produzieren, wenn sie mit teuerem Zucker gemästet werden.

Das war ebenfalls als lösbares Problem angesehen worden, denn der Keim kann schließlich auch anders: Fehlt ihm Zucker, so verarbeiten einzelne Stämme des harmlosen, natürlich im Boden und Süßwasser verbreiteten Bakteriums als "lithoautotrophe" Könner molekularen Wasserstoff (H2), fixieren Kohlendioxid (CO2) und veratmen bei fehlendem Sauerstoff auch Nitrat und Nitrit. Prinzipiell ist demnach der Stamm Ralstonia eutropha H16 der PHB-Plastikbau sogar unter Sauerstoffabschluss und ohne Zuckerfütterung möglich, indem Kohlendioxide aufgenommen und aneinandergereiht werden. Die PHBs entstehen dann allerdings langsamer.

Anne Pohlmann von der Humboldt-Universität und ihre Kollegen waren also nicht die einzigen, die sich für die genetischen Grundlagen des bakteriellen Vielkönners interessierten – vielleicht, so das Kalkül, ist der Keim durch gentechnologisches Feintuning noch steigerungsfähig. Die Berliner Forscher begannen daher vor einiger Zeit damit, das Erbgut von Ralstonia eutropha H16 zu entschlüsseln und präsentieren nun ihr 7 416 677 Basenpaare langes Ergebnis.

Das Ralstonia-Genom, aufgeteilt auf zwei ringförmige Chromosomen und ein Megaplasmid, ist ein vergleichsweise umfangreiches zelluläres Nachschlagewerk, typisch für frei lebende Keime mit einer großen Anzahl regulatorischer Gene zur Reaktion auf wandelnde Umweltbedingungen. Die Forscher fanden im Genom an vielen Stellen, wonach sie gesucht hatten: Variante H16 besitzt, anders als stoffwechseltechnisch begrenzte Verwandte, Gene zur CO2-Fixierung und H2-Oxidation, die erwartete Vielzahl der verschiedenen Stoffwechselmöglichkeiten, viele Gene für unterschiedliche Transportproteine, Bauanleitungen für die Verwertung von Aromatischen Verbindungen, möglicherweise gegen Insekten gerichtete Toxine und mannigfaltige Varianten der typischen, zur Polyesterherstellung notwendigen Enzyme – wie etwa den Beta-Ketothiolasen und Acetyl-CoA-Reduktasen.

Das unterstreicht erneut, wie vielseitig der Bioplaste-Keim einsetzbar sein könnte: Die Enzymvarianten lassen es vielleicht zu, dass auch ungewöhnlich verzweigte und mit OH-Gruppen versehene Bausteine durch das Bakterium zwanglos zu neuen Polyestern mit neuartigen Eigenschaften zusammengekettet werden können. Optimistisch betrachtet ist für den Weg zu biologisch abbaubarem, natürlichem Bioplastik also vielleicht wirklich nur die geeignete Bakteriendiät, ein wenig gentechnologische Veränderung und nichts als Kohlendioxid und Wasserstoff nötig. Realistisch gesehen wird es schließlich auch Zeit für solch schöne Auswege, damit der Weg ohne Öl nicht direkt wieder in die Steinzeit führt. Wie lange unsere Ölreserven noch reichen, ist dabei zwar umsstritten, Pessimisten glauben aber, dass der "Peak-Oil"-Punkt der höchsten Erdölproduktionsrate schon hinter uns liegt – ab jetzt ginge es nur noch bergab.

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