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Paläobotanik: Ins Gras gebissen

Manch einer mag sich bei diesem Forschungsfeld die Nase rümpfen. Zu Unrecht, denn versteinerter Dinosaurierkot riecht kaum noch, kann aber viel über die Ökologie des ausgehenden Erdmittelalters erzählen.
Diplodocus
Sie kennen die netten bunten Bildchen: Ein langhalsiger Brontosaurus labt sich an den Blättern eines urzeitlichen Baumes; sein sabbernder Dinokollege aus der Gattung Tyrannosaurus verzehrt genüßlich die bluttriefenden Überreste seiner Jagdbeute, und im Hintergrund sind weitere Vertreter der "Schrecklichen Echsen" zu erkennen, die träge vor sich hin grasen.

Doch halt! Grasen? Jeder Dinoliebhaber erkennt sofort: Hier hat der Zeichner mal wieder reinen Unsinn fabriziert. Da hätte er auch gleich keulenschwingende Neandertaler in die Szenerie einfügen können. Denn schließlich sprießte die Familie der Poaceae – wie die Süßgräser von Botanikern genannt werden – erst auf den Weiden der Erdneuzeit. Auf 55 Millionen Jahre werden die ältesten Grasfossilien geschätzt, während Dinosaurier bekanntlich zum Wechsel von Kreidezeit zu Tertiär vor etwa 65 Millionen Jahren abtreten mussten. Demnach sollte ein Dinosaurierfuß niemals einen Rasen betreten haben.

So weit die Lehrmeinung. Doch die könnte sich jetzt als überholt herausstellen, wenn es nach Paläobotanikern aus Indien und Schweden geht.

"Es gilt nicht gerade als anregender Gesprächsstoff bei einer Dinner-Party zu bekennen, dass man an fossilen Dinosaurier- Scheißhaufen arbeitet"
(Paul Barrett)
Vandana Prasad vom Birbal-Sahni-Institut für Paläobotanik im indischen Lucknow und ihre Kollegen suchten sich ein eher anrüchiges Forschungsobjekt: fossile Verdauungsprodukte von Dinosauriern. Als Ort für derartige Forschungen eignet sich das indische Dekkan-Hochland mit seinen mächtigen, 65 Millionen Jahre alten vulkanischen Schichten. Denn unterhalb dieser Dekka-Trapps finden sich die sterblichen Überreste von pflanzenfressenden Titanosaurier, wozu beispielsweise der fast dreißig Meter lange und zehn Tonnen schwere Diplodocus gehört.

Wer so groß ist, futtert fleißig und produziert entsprechend viel Mist. Millionen Jahre später verwandelt sich der Abfall in Koprolithen, wie Geologen den versteinerten Kot nennen. Die Forscher durchwühlten nun die steinernen Hinterlassenschaften, um zu erfahren, was auf der Speisekarte der Titanosaurier stand. Denn unverdaute Pflanzenreste bleiben im Kot als so genannte Phytolithe übrig.

Erwartet hatten die Forscher Spuren von Farnen und Nadelbäumen. Doch was sie fanden, traf sie "wie ein Schlag", meint die Phytolith-Expertin Caroline Strömberg vom Stockholmer Naturhistorischem Reichsmuseum. Die versteinerten Überreste stammten von – Gras.

Und nicht nur eine Grasart hat zufällig den Weg in den Magen eines Dinosauriers gefunden. Die Forscher konnten mindestens fünf verschiedene systematische Gruppen unterscheiden; die Vielfalt der Süßgräser muss demnach zum Ende des Erdmittelalters beträchtlich gewesen sein. Prasad und ihre Kollegen vermuten, dass sich bereits vor 100 Millionen Jahren die ersten Poaceen entwickelt haben.

"Wir müssen die Geschichte der Gräser neu schreiben", meint daher Strömberg. "Und wir sollten vielleicht in die Dinosaurier-Dioramen der Museen Gras einfügen."

Allerdings wäre es verfrüht, sich jetzt die Titanosaurier gleich als eine Herde wiederkäuender Kühe vorzustellen, denn die Koprolithen enthielten nur spärliche Mengen Grasspuren. Außerdem hatten die vierbeinigen Giganten vermutlich nicht das richtige Gebiss, um ausschließlich von derart harter Kost zu leben.

Anders dagegen die merkwürdigen Gondwanatheria. Diese frühe Säugergruppe lebte zur Dinosaurierzeit und zeichnete sich durch kräftige Zähne aus, die Paläontologen entfernt an Pferde und andere Weidegänger erinnerten – ein bisheriges Rätsel, das mit dem Dinosaurierkot gelöst sein könnte.

Ganz überzeugt zeigen sich andere Wissenschaftler noch nicht. So meint Paul Barrett, seines Zeichens Dinosaurier-Experte vom Londoner Naturhistorischen Museum, dass die langen Zähne der Gondwanatheria auch mit einer baumnagenden Lebensweise, wie man sie von heutigen Bibern kennt, erklärt werden könne. Und selbst wenn es bereits zum Ende der Dinosaurierzeit Gräser gegeben haben sollte, dürften sie keine besonders große ökologische Rolle gespielt haben, da ausgeprägte Grasländer wohl erst vor 25 Millionen Jahren entstanden seien.

Eines zeige die Forschung der indisch-schwedischen Arbeitsgruppe allerdings ganz bestimmt: die Nützlichkeit von Koprolithen. "Die meisten Leute übersehen sie", betont Barrett. Doch mit ihnen ließe sich nun mal am besten herausfinden, was Dinosaurier verspeisten, auch wenn er zugibt: "Es gilt nicht gerade als anregender Gesprächsstoff bei einer Dinner-Party zu bekennen, dass man an fossilen Dinosaurier-Scheißhaufen arbeitet."

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