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Insektenschutzgesetz: Wie viel Gift darf's denn sein?

Experten sind sich einig: Der Insektenschutz braucht den großen Wurf. Doch die Bundesregierung macht lieber Trippelschritte. Was vom Insektenschutzgesetz zu erwarten ist.
Insekten an einer Klebefalle

Als Krefelder Entomologen 2017 erstmals einen massiven Rückgang der Insekten wissenschaftlich mit Zahlen belegen konnten, war das Echo gewaltig. Das Thema »Insektensterben« wurde aus den wenig beachteten Fachzirkeln plötzlich auf die Titelseiten von Zeitungen und in die Talkshows katapultiert. Auch die Politik reagierte. Im Koalitionsvertrag versprachen Union und SPD im März 2018, Insekten per Gesetz zu schützen. Auf den letzten Metern ihrer Amtszeit hat die Bundesregierung ihr Versprechen nun eingelöst und ein Insektenschutzgesetz auf den Weg gebracht. Am heutigen Freitag berät nun der Bundesrat darüber, anschließend der Bundestag. Vor Beginn der Sommerpause des Parlaments könnte das umweltpolitische Prestigevorhaben der großen Koalition noch rechtzeitig vor dem aufziehenden Wahlkampf Wirklichkeit werden. Doch was bringt es für den Insektenschutz?

Ergebnis der monatelangen, teils öffentlich mit harten Bandagen ausgetragenen Verhandlungen zwischen den Ministerien für Umwelt und für Landwirtschaft ist ein Paket aus Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz und einer Novelle der Verordnung, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln regelt. Beides zusammen bildet das Insektenschutzgesetz. Beschlossen wurden unter anderem zum ersten Mal überhaupt Maßnahmen gegen den Insektentod durch Lichtverschmutzung. So soll der Einsatz von weit reichenden Lichtstrahlern – so genannten Skybeamern – zu bestimmten Zeiten verboten und die Verwendung von »Insektenvernichtungslampen« im Freien untersagt werden, die mit künstlichem Licht Insekten anlocken. Die Liste geschützter Lebensräume, die nicht zerstört werden dürfen, wird unter anderem um Streuobstbestände, artenreiches Grünland und Trockenmauern erweitert.

Ob es gelingen kann, das Insektensterben zu stoppen, entscheidet sich aber vor allem auf den Äckern. Fast 100 000 Tonnen Pflanzenschutzmittel wurden 2019 in Deutschland verkauft, darunter 20 000 Tonnen Insektengifte.

Naturschutzamt warnt vor Kipppunkten in der Agrarlandschaft

»Es steht zu befürchten, dass wir an vielen Stellen in der Agrarlandschaft an Kipppunkte gekommen sind, an denen Entwicklungen eintreten, die sich nicht mehr umkehren lassen«, warnt die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, Beate Jessel, vor dem Öko-Kollaps in der Intensivlandwirtschaft. Der Insektenrückgang habe schon jetzt deutliche Auswirkungen auf Agrarvögel, deren Bestände kontinuierlich abnähmen, konstatiert Jessel. Dies belege, dass der Insektenschwund mittlerweile die Nahrungsketten erreicht habe. »Es ist wie ein Dominoeffekt: Wenn der eine Stein umkippt, dann kippen auch alle anderen«, sagt Jessel.

Auch vor dem Hintergrund solcher Warnungen einigten sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze und ihre für die Landwirtschaft zuständige Kollegin Julia Klöckner in ihren Verhandlungen darauf, dass der besonders umstrittene Pflanzenvernichter Glyphosat im Einklang mit europäischen Vorgaben ab Januar 2024 nicht mehr eingesetzt werden darf. In Privatgärten, öffentlichen Anlagen wie Sportplätzen und Parks soll das Verbot früher greifen, und in der Landwirtschaft soll der Glyphosat-Einsatz zur Beseitigung unliebsamer Wildkräuter ebenfalls noch vor seinem vollständigen Ende reduziert werden.

Am heftigsten rangen Schulze und Klöckner um die Verbote von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten. Das Ergebnis: In Naturschutzgebieten und Nationalparks dürfen künftig keine Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide) mehr eingesetzt werden, bienen- oder allgemein bestäuberschädliche Insektengifte ebenfalls nicht. In den besonders großflächigen europäischen Vogelschutzgebieten allerdings gibt es – anders als ursprünglich geplant – keine zusätzlichen Beschränkungen. Hier bestimmen die jeweiligen Bundesländer weiterhin, welche Agrarchemikalien eingesetzt werden dürfen. Ebenso wenig durchsetzen konnte sich das Umweltministerium mit dem Vorhaben, das Verbot von Herbiziden und vor allem schädlichen Insektiziden auf alle Schutzgebiete nach der europäischen Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Richtlinie auszuweiten.

»Was beschlossen wurde, kann keine große Wende bringen«Thomas Fartmann, Biodiversitätsforscher

Klöckner setzte viele Ausnahmen durch

Hier hat Klöckner eine Reihe von Ausnahmen vom Chemieverbot erreicht: So darf in FFH-Gebieten, sofern sie nicht gleichzeitig Naturschutzgebiet sind, beim Anbau aller so genannten Sonderkulturen gespritzt werden, also beispielsweise im Obst-, Wein- und Gemüseanbau. Auch auf Äckern in FFH-Gebieten außerhalb von Naturschutzgebieten dürfen weiter Chemikalien eingesetzt werden. Auf Drängen Klöckners bleibt es möglich, dass die in einigen Bundesländern zwischen den Landesregierungen und der Landwirtschaft schon vereinbarten eigenen Regelungen zur finanziell geförderten Reduzierung von Agrarchemikalien weiterlaufen, statt durch ein Verbot giftiger Stoffe per Gesetz überflüssig zu werden. Auf diesen Punkt hatten auch Agrarverbände gepocht. Hintergrund ist, dass Landwirte und Landwirtinnen den Verzicht auf den Einsatz von Herbiziden nicht mehr wie bisher zusätzlich bezahlt bekämen, wenn dies durch ein Gesetz verboten wäre. Solche so genannten kooperativen Ansätze – Verzicht auf Gift gegen Geld – gibt es etwa in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen.

Der Kompromiss sieht damit Agrarchemie-Verbote nur auf knapp fünf Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland vor. Der Osnabrücker Professor für Biodiversität und Landschaftsökologie Thomas Fartmann erwartet deshalb vom Insektenschutzgesetz keine grundlegende Trendumkehr. Zwar sei damit zum ersten Mal ein wichtiger Anfang für mehr Insektenschutz gemacht worden, lobt er. »Das, was beschlossen wurde, betrifft aber nur relativ kleine Flächen und kann deshalb keine große Wende bringen«, sagt Fartmann. »Auf so geringer Fläche habe ich nicht die Chance, so viele Insekten zu produzieren, dass es einen Effekt für die gesamte Landschaft hat – es ist zu wenig, um eine Flächenwirksamkeit zu entfalten.« Um eine dringend notwendige Wende zu Gunsten der Insekten einzuleiten, müssten Fartmann zufolge »die ganz normalen landwirtschaftlich genutzten Flächen« auch außerhalb von Schutzgebieten in den Insektenschutz einbezogen werden. Schließlich belege die landwirtschaftliche Nutzung etwa die Hälfte der gesamten Landesfläche Deutschlands.

Die Freiburger Agrarökologin Alexandra-Maria Klein erwartet mit dem beschlossenen Paket höchstens begrenzte Fortschritte bei der Bewahrung der Insekten. Auch sie unterstreicht die Bedeutung von chemikalienfreien Zonen auf großer Fläche. »Insekten bleiben nicht auf einer Fläche, sie interagieren mit der Landschaft.« Das Gesetz zusammen mit anderen Anstrengungen, die auf anderen Feldern schon unternommen würden, könne jedoch zunächst die wenig spezialisierten Generalisten unter den Insekten fördern, »so dass wir wieder mehr Insekten haben werden«, sagt die Forscherin. »Um auch bedrohten Arten zu helfen, müssen wir noch sehr viel mehr tun«.

Lebensraum statt Agrarwüste? | Die Landwirte führen aus, was die Gesellschaft erwartet, sagt der Biodiversitätsforscher Josef Settele. Der aktuelle Fokus auf größtmöglichen Ertrag läuft allen Bemühungen zum Insektenschutz zuwider.

»Insektenschutz und Landwirtschaftspolitik gehören zusammen«

Einig sind sich Wissenschaftler darin, dass man den Insektenschwund nur aufhalten kann, wenn man gleichzeitig auf europäischer Ebene die Landwirtschaftspolitik ökologisch reformiert. »Insektenschutz und eine ökologische Wende in der Landwirtschaftspolitik gehören untrennbar zusammen«, sagt Klein, die auch das im Herbst 2020 veröffentlichte Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zur Agrarpolitik mitverfasst hat. Die Gelegenheit dafür wäre jetzt gekommen: Gerade laufen die Gespräche darüber, wie die Fördergelder für die Landwirtschaft künftig in der EU verteilt werden sollen. Fast 400 Milliarden Euro wollen die EU-Staaten in den kommenden sieben Jahren für Agrarsubventionen ausgeben – wobei heftig darüber gestritten wird, welcher Hof unter welchen Bedingungen wie viel bekommt.

»Keine hinreichenden Anstrengungen«
Agrar- und Umweltausschüsse des Bundesrats

Auch der Biodiversitätsforscher Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle verweist auf die Bedeutung der Landwirtschaftspolitik für die Zukunft von Insekten und Ökosystemen insgesamt. Der Kovorsitzende des Weltberichts zum ökologischen Zustand der Erde nimmt die Landwirte selbst aber in Schutz. »Wir alle sind die Landwirtschaft«, sagt Settele. Nicht die einzelnen Bauern seien schuld am Verlust von Artenvielfalt und Insekten, sondern das System der Landwirtschaft. »Letztlich ist die Frage, was wir als Gesellschaft erwarten – die Landwirte führen das aus.« Mittlerweile sei allerdings erkennbar, dass Teile der Gesellschaft mehr von der Landwirtschaft wollten als reine Billigproduktion. Politisch gelte es nun auch aus Gründen des Insektenschutzes, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Landwirte neue Anforderungen erfüllen könnten. »Ich glaube nicht, dass die meisten Landwirte alles totspritzen wollen.«

Länderkammer sieht Gesetz als unzureichend an

Am Freitag befasst sich der Bundesrat erstmals mit dem Gesetzentwurf. Dort dürfte es ebenfalls Kritik am Kompromiss hageln. Dem Agrar- und Umweltausschuss der Länderkammer geht der Entwurf des Umweltministeriums nicht weit genug. Mit dem vorliegenden Gesetz seien die Ziele nicht zu erreichen, die sich Deutschland in seiner Biodiversitätsstrategie selbst gegeben habe. »Die Ausschüsse betonen, wie dramatisch der Verlust der Artenvielfalt weltweit ist und welch zentrale Rolle den Insekten im Ökosystem zukommt«, heißt es in der Zusammenfassung der Beschlussempfehlung für den Bundesrat. »Sie bedauern, dass die Bundesregierung keine hinreichenden Anstrengungen zu ihrem Schutz unternimmt.«

Rechtzeitig zur Befassung von Parlament und Länderkammer mit dem Gesetz melden sich auch die Krefelder Forscher, mit deren Arbeit die Diskussion in Gang kam, mit einer neuen Studie zu Wort: Hatten sie in der berühmten »Krefelder Studie« nur nachweisen können, dass die Biomasse an Insekten zurückgeht, gingen sie jetzt der Frage nach, ob dies auch den Verlust der Artenvielfalt widerspiegelt. Das Ergebnis ihrer Analyse klingt ernüchternd. »Unter den aktuellen Bedrohungen sind sogar die häufigeren Arten in Gefahr«, schreiben sie im Fachjournal »PNAS«.

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