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Neuroanatomische Kuriosität: Je länger das Gähnen, desto größer das Gehirn

Wer wissen will, ob ein Säugetier schlau ist, sollte es beim Gähnen überwachen: Je länger das dauert, desto leistungsfähiger ist sein Hirn. Das erlauben Quervergleiche zwischen Kamel, Esel und Mensch.
Gähnender Löwe

Bisher weiß niemand ganz genau, warum Mensch und Tier von der Schildkröte bis zum Schimpansen eigentlich gähnen – irgendeinen evolutiven Vorteil scheint die weit verbreitete Angewohnheit jedenfalls zu haben. Eine der Hypothesen: Wahrscheinlich liefert das Gähnen müden Gehirnen einen kurzen Kick, weil es die Blutzirkulation im Schädel anregt und die Hirnnerven somit kühlt. Aber wenn das so ist, dachten sich drei US-Forscher, müsste sich ein Gähnen von Hochleistungsdenkern und eher schlichten Säugetierarten deutlich unterscheiden. Also stellten die Hypothese auf "Je ausgiebiger ein Gähnen, desto leistungsfähiger ein Gehirn" – und belegten dies anschließend durch eine statistischen Quervergleich mit 19 Säugetierspezies erfolgreich.

Tatsächlich zeigte ihr Test, für den sie unter anderem eine Vielzahl von Videoaufnahmen verschiedener gähnender Tiere auswerteten, dass die typische Dauer eines Gähnens einer Säugetierart mit der typischen Menge von Hirnneuronen und der Komplexität ihrer Verschaltung sowie dem durchschnittlichen Gewicht des Gehirns der Spezies korreliert. Kein Zusammenhang bestand dagegen etwa zwischen der Gähnlänge und der Gesamtgröße des Tiers oder seiner beim Gähnakt bewegten Kieferknochen: Kamele, Pferde oder Walrosse etwa gähnten eher kürzer als Schimpansen oder Menschen. Offenbar unterstützt Gähnen – wissenschaftlich definiert als stereotype, mit langer Einatmung und kurzer Ausatmung sowie kurzzeitig starker Muskelkontraktion verbundene Kieferöffnung – tatsächlich die Leistungsfähigkeit des Hirns. Der stereotype Akt wird dabei wohl bei Bedarf von Prozessen im evolutionsbiologisch uralten Hirnstamm der Säuger ausgelöst, wo verschiedene gähnstimulierende Neurosignale aktiviert werden.

Nun hat das Team um Andrew Gallup von der State University in New York erst einmal noch viele weitere Fragen, die es in Anschlussexperimenten klären möchte. So überlegen die Biologen etwa, ob das Gähnen von Fischen und anderen basalen Wirbeltieren ähnliche Folgen hat und ob auch gähnende Vögel etwas über ihre Hirnleistungsfähigkeit verraten. Zudem dürfte auch spannend werden, ob ein Vergleich der Gähndauer innerhalb einer Art – etwa bei Menschen – ähnlich aufschlussreich wäre. Tatsächlich scheint bei Arten mit besonders leistungsfähigen Gehirnen die Dauer des Gähnens weniger stereotyp zu sein, also besonders stark vom einen zum nächsten Mal schwanken zu können. Das könnte damit zusammenhängen, dass mit dem Gähnen auch soziale Signale an ein Gegenüber gesendet werden – oder damit, dass die Gehirne hier je nach Zustand eine größere Flexibilität beim Kühlvorgang benötigen.

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