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Biodiversität: Jeder Einzelne kann beitragen

Weltweit schreitet die Zerstörung von natürlichen Ökosystemen schnell voran, ebenso rapide wachsen die Roten Listen gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Deshalb haben nun 19 Wissenschaftler aus aller Welt einen Aufruf an Kollegen und vor allem die Politik gerichtet, endlich den Austausch untereinander zu intensivieren und damit mehr für den Schutz der globalen Artenvielfalt zu tun. Zu den Erstunterzeichnern zählt mit Christoph Häuser vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart auch ein deutscher Experte, der spektrumdirekt dazu Frage und Antwort stand.
spektrumdirekt: Was hat Sie und Ihre 18 Kollegen veranlasst, einen Appell zum Schutz der Artenvielfalt an die Forschergemeinde und die Politik zu richten?

Christoph Häuser: Wir sind der Überzeugung, dass angesichts der weltweit weiterhin stetig wachsenden Bedrohung der natürlichen Artenvielfalt dringender Handlungsbedarf besteht. Wir sind besorgt, dass man die dringend erforderlichen, verstärkten Massnahmen zum Erhalt unserer belebten Umwelt – die als Biosphäre die Klimaanlage der Erde darstellt – angesichts der Vielzahl akuter und kurzfristiger Probleme und Katastrophen aus den Augen verliert. Die zur Erhaltung und vor allem auch zur Erforschung der Biodiversität international verfügbaren Instrumente und Mittel sind nicht ausreichend und bisher nicht effizient genug, um auch nur eine Trendwende der globalen Biodiversitätskrise erkennen zu lassen.

Für politische Maßnahmen sind die bisher vorhandenen Instrumente – etwa die so genannte Biodiversitätskonvention (CBD) der Vereinten Nationen zu schwerfällig, um besonders auf aktuelle Entwicklungen rasch und angemessen reagieren zu können. Es fehlt derzeit ein effizienter Mechanismus, wissenschaftliche Erkenntnisse über Zustand und Entwicklung der Biodiversität zeitnah und direkt in die internationale Politik einzubinden – dies ist angesichts der bedrohlichen Lage ein Luxus, den wir uns wirklich nicht leisten können.

spektrumdirekt: Was wollen Sie mit diesem Appell und der nachfolgenden Fachgruppe erreichen? Welchen Stellenwert soll die Biodiversität und ihr Schutz zukünftig bekommen?

Häuser: Es geht uns zunächst darum, dem gesamten Themenfeld Biodiversität einschließlich ihrem Schutz und ihrer weiteren Erforschung gesellschaftlich und politisch den Stellenwert zukommen zu lassen, der ihm durch seine grundlegende Bedeutung für die menschliche Existenz unbedingt zusteht. Ohne global wie lokal funktionierende, stabile Ökosysteme mit allen ihren Organismenarten kann die Menschheit auf dieser Erde nicht überleben. Es sind die lebenden Organismen, die uns mit Nahrung, Kleidung, Medikamenten, Werkstoffen und selbst so elementaren Gütern wie Trinkwasser und Sauerstoff zum Atmen versorgen – diese Einsichten sind nicht neu, aber sie müssen dauerhaft in unserem Bewusstsein verankert werden und mehr denn je unser Planen und Handeln, sowohl für den Einzelnen wie auf der politischen Ebene bestimmen.

spektrumdirekt: Welche Gefahren für die Artenvielfalt gilt es denn vordringlich zu minimieren und abzustellen?

Häuser: Die bei weitem größte Gefahr für das Fortbestehen der Artenvielfalt auf unserer Erde ist die weiterhin rasant fortschreitende Vernichtung beziehungsweise Umwandlung natürlicher Lebensräume. Diese Transformation von Naturraum in genutzte Flächen nimmt unterschiedlichste Formen an – von der Rodung tropischer Regenwälder für Ackerbau und Viehzucht in Entwicklungsländer bis zur Bebauung extensiv landwirtschaftlich genutzter Flächen und Versiegelung der Böden in dicht besiedelten Industrienationen. Dementsprechend sind Prioritäten und Maßnahmen nur regional sinnvoll festzulegen.

spektrumdirekt: Wie sieht die Situation der Artenvielfalt in Deutschland aus?

Häuser: Im weltweiten Vergleich stellt sich die Situation der Artenvielfalt in Deutschland und angrenzenden Gebieten Europas nicht ganz so schlimm dar: Es gibt nur wenige Arten, die in Europa in den letzten Jahren vollständig ausgestorben wären. Wenn man die Verbreitung und die Häufigkeit der bedrohten europäischen Arten jedoch näher betrachtet, sieht es wesentlich dramatischer aus. Auch in Europa steigt die Zahl der Arten, die auf Grund ihres Rückgangs als bedroht eingestuft werden müssen, stetig weiter an. Andererseits konnten sich aufgrund gezielter Anstrengungen in Deutschland auch die Bestände einiger ausgewählter Zielarten des Naturschutzes erholen, etwa Wanderfalke oder Seehund. Insgesamt muß aber betont werden, dass für viele artenreiche und ökologisch wichtige, aber unscheinbare Organismengruppen schlicht kaum gesicherte Daten vorliegen, um etwas über ihre Situation und Bestandsentwicklung in den letzten Jahren oder gar Jahrzehnten Aussagen zu können. Es besteht auch hier vor der eigenen Haustür weiterhin ganz erheblicher Forschungsbedarf.

spektrumdirekt: Was kann jeder Einzelne tun, um einen Beitrag zum Stopp oder Reduzieren des Artensterbens zu leisten?

Häuser: Jeder Einzelne kann relativ einfach durch seine Lebensführung dazu beitragen, den Druck auf die Natur in Grenzen zu halten: Sparsamer leben, auch wenn dies unpopulär scheint und besonders jungen Menschen schwer fällt. Jede vermiedene sommerliche Autobahnfahrt schont das Leben von tausenden Insekten, jeder nicht unnötig verbrauchte Konsumartikel hilft irgendwo dem Erhalt von natürlichem Lebensraum. Was wir aber alle unbedingt tun können und sollten, ist das Verständnis und die Einsicht in die belebte Natur zu verbessern – ganz besonders bei unseren Kindern und den folgenden Generationen. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr junge Menschen völlig urbanisiert aufwachsen und leben, gehen der direkte Kontakt und das unmittelbare Erleben der natürlichen Umwelt verloren. Oder es beschränkt sich auf wenige Quadratmeter künstlichen Vorgarten oder einen grünen, aber artenarmen Stadtpark. Hier kann wirklich jeder sowohl bei sich selbst wie in der eigenen Familie etwas tun.

spektrumdirekt: Gibt es auch Zeichen der Hoffnung?

Häuser: Ja, die gibt es. Auf der politischen Ebene wurde vor allem im Rahmen der Biodiversitätskonvention, aber auch zahlreicher anderer internationaler Verträge – etwa dem Abkommen zum Handel mit bedrohten Arten (CITES) – schon viel erreicht. So hat man sich über die CBD darauf geeinigt, weltweit der Ausweisung von Naturschutzgebieten höchste Priorität einzuräumen. Das Ziel: 10 bis 15 Prozent der Landfläche sollen für den Naturschutz zur Verfügung gestellt werden. Ähnliches will man jetzt für die ebenfalls akut bedrohten Meere erreichen. Diesen bisher vor allem auf dem Papier erreichten Fortschritte müssen nun auch praktische Maßnahmen folgen. Hier geht es vor allem um finanzielle und wissenschaftliche Unterstützung der Schutzgebiete in zahlreichen Schwellen- und Entwicklungsländern, von denen sich einige, wie beispielsweise Madagaskar, verpflichtet haben, die Fläche ihrer Naturschutzfläche in den nächsten Jahren zu verdoppeln.

Auch praktisch gibt es zahlreiche viel versprechende Initiativen und Programme. Die großen nicht-staatlichen Naturschutzorganisationen wie WWF oder der amerikanischen The Nature Conservancy investieren jährlich hunderte Millionen Euro aus Spenden für viele kleine und größere Naturschutzprojekte weltweit. Diese Ausgaben übersteigen in vielen Fällen sogar die staatlichen Investitionen für die Erhaltung der Biodiversität – was zum Nachdenken Anlass geben könnte. Auf der wissenschaftlichen Ebene schließlich haben sich Industrienationen und Entwicklungsländer zu einem ehrgeizigen Projekt namens "Global Biodiversity Information Facility – GBIF" zusammen getan, um die weltweit verstreuten Daten über das Vorkommen oder die Ökologie von Tier- und Pflanzenarten sowie Mikroorganismen über ein gemeinsames, frei zugängliches Internetportal verfügbar zu machen.

Diese Anstrengungen machen Mut, aber bleiben weiterhin nur kleine Schritte – vor allem verglichen mit den um Größenordnungen höheren Investitionen für die Weltraum- oder die Kernforschung. Beide sind ebenfalls spannend und wichtig, aber sicher nicht für die Menschheit überlebenswichtiger als das Verständnis der Organismen und Ökosysteme hier auf der Erde. Diese Balance der gesellschaftlichen Anstrengungen in die Sicherung unserer Zukunft muss in unser aller Interesse ausgewogener werden.

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