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Aids: Jubiläum eines Killers

Aids - das Wort verbreitet nach wie vor Angst und Schrecken. Der Erreger, das HI-Virus, wurde vor einem Vierteljahrhundert erstmals beschrieben; eine Schutzimpfung gegen ihn fehlt allerdings immer noch. Doch es gibt Anlass zur Hoffnung.
HIV
"Wir berichten hier über die Isolierung eines neuen Retrovirus aus einem Lymphknoten eines homosexuellen Patienten mit multiplen Lymphadenopathien." Mit diesen nüchternen Worten beschreiben am 20. Mai 1983 in dem Wissenschaftsjournal "Science" acht französische Forscher unter der Leitung von Luc Montagnier vom Pariser Institut Pasteur eine sensationelle Entdeckung: Ihnen war es gelungen, einen viralen Kandidaten aufzuspüren, der im Verdacht stand, eine neue, rätselhafte Epidemie auszulösen [1].

Die Seuche war wenige Jahre zuvor aktenkundig geworden: Im Jahr 1980 bat ein kanadischer Flugbegleiter seinen Arzt um Rat, weil ein auffälliger brauner Fleck auf seiner Haut nicht mehr verschwinden wollte.
"Wir berichten über die Isolierung eines neuen Retrovirus aus einem Lymphknoten eines homosexuellen Patienten mit multiplen Lymphadenopathien"
(Françoise Barré-Sinoussi et al.)
Wie sich herausstellte, hatte der Stewart weltweit homosexuelle Kontakte mit ständig wechselnden Partnern gepflegt. Er sollte als "Patient 0" in die Geschichte eingehen.

Denn gleichzeitig häuften sich in den USA sowie in Europa merkwürdige Krankheitsfälle, die zunächst scheinbar nur homosexuelle Männer betrafen – darunter auch den "Patienten 0": Im Blut der Betroffenen gab es so gut wie keine T-Helferzellen mehr; ihre Immunabwehr war komplett zusammengebrochen. 1980 wurden bereits 80 Fälle dieser merkwürdigen Erkrankung mit 26 Toten erfasst.

CIA, KGB oder Ufos

Die Ursache blieb zunächst rätselhaft. Die CIA, der KGB oder auch Außerirdische wurden bezichtigt, den Weltuntergang herbeizuführen. Als dann nicht nur Homosexuelle, sondern auch Empfänger von Bluttransfusionen erkrankten, kristallisierte sich schließlich der Verdacht heraus, ein Virus könne die erworbene Immunschwäche auslösen. 1982 erhielt die neue Krankheit einen Namen: Acquired Immune Deficiency Syndrome – zu Deutsch "erworbenes Immundefekt-Syndrom"; abgekürzt Aids.

HI-Viren | Aids-Viren beim Verlassen einer T-Zelle
Die Veröffentlichung der französischen Forscher 1983 zeigte erstmals das elektronenmikroskopische Bild eines bis dato unbekannten Virus, das unter strengem Tatverdacht stand. Isoliert hatten es die Wissenschaftler von einem 33-jährigen Homosexuellen, der unter einer Erkrankung der Lymphknoten sowie allgemeiner körperlicher Schwäche litt. Wie "Patient 0" führte er ein intensives Sexualleben mit jährlich mehr als 50 Geschlechtspartnern in Nordafrika, Indien, Griechenland und den USA.

Der endgültige Beweis, dass es sich bei dem isolierten Virus tatsächlich um den Übeltäter handelte, gelang den Forschern um Montagnier im Oktober 1984. Einspruch kam prompt aus den USA: Der Virologe Robert Gallo von den National Institutes of Health in Bethesda hatte wenige Jahre zuvor die Gruppe der menschlichen Retroviren – die als Erbsubstanz ein RNA-Molekül besitzen – aufgespürt und reklamierte für sich, den Aids-Erreger nun ebenfalls dingfest gemacht zu haben. Es begann eine unschöne Auseinandersetzung über den Atlantik hinweg, der mit dem Kompromiss endete, dass die Ehre der Entdeckung zu gleichen Teilen Frankreich und Amerika gebührt.

Vernichtete Verteidigung

Inzwischen hatte sich das Humane Immunodefizienz-Virus – wie der Erreger nun genannt wurde – als ausgesprochen heimtückischer Geselle entpuppt: Übertragen durch Geschlechtsverkehr oder Blutkontakt, dringt es in die so genannten T-Helferzellen des Immunsystems ein und legt damit die körpereigene Verteidigung lahm. Die Patienten leiden dann an Infektionskrankheiten, die normalerweise durch das Immunsystem in Schach gehalten werden.

HIV-Hülle | Das HI-Virus (oben) besitzt auf seiner Hülle die Proteine gp120 (blau) und gp41 (grün), mit denen es an Proteine einer T-Helferzelle (unten) andockt. Die Membranen verschmelzen daraufhin, und das Virus kann seine RNA in die gekaperte Immunzelle einschleusen.
Der Vorgang wird auch auf dem Video unter "Medien" gezeigt.
1985 gelang es den Forschern um Gallo, einen HIV-Test zu entwickeln, mit dem Blutkonserven kontrolliert werden konnten. 1987 kam mit Retrovir das erste Aids-Medikament auf den Markt, welches das Virus zwar nicht vernichten, wenigstens aber kontrollieren konnte. Die 1990er Jahre ließen mit der "hochaktiven antiretroviralen Therapie" (Highly Active Anti-Retroviral Therapy; HAART) neue Hoffnung aufkeimen. Den Patienten werden damit etliche Lebensjahre geschenkt – heilbar ist die Seuche damit aber immer noch nicht.

25 Millionen Tote später

25 Jahre sind seit der Erstbeschreibung vergangen – mit vermutlich insgesamt 25 Millionen Toten. Doch die Versuche, einen wirksamen Impfstoff zu kreieren, verliefen bislang frustrierend. Da sich die HI-Viren ausgerechnet Zellen des Immunsystems für ihre Vermehrung ausgesucht haben, bleiben sie nahezu unangreifbar. Außerdem verändern sie ständig die Proteine ihrer Hülle und entziehen sich damit der immunologischen Attacke.

Dennoch gibt es Hoffnung, meinen Bruce Walker vom Massachusetts General Hospital in Boston und Dennis Burton vom Scripps Research Institute in La Jolla:
"Die globale Lage ist äußerst verzweifelt, so dass wir jetzt dieser Herausforderung mit größerer Inbrunst als je zuvor begegnen müssen"
(Bruce Walker und Dennis Burton)
Tierversuche mit experimentellen HIV-Impfstoffen ergaben bereits viel versprechende Resultate. Einige Aids-Patienten produzieren Antikörper, die den Erreger gut in Schach halten. Und schließlich gibt es einige Personen, die seit Jahrzehnten infiziert sind, ohne dass die Krankheit ausgebrochen ist [2].

Es gilt also, nicht die Flinte ins Korn zu werfen, sondern gezielt nach Impfstoffen zu fahnden, die einen wirksamen Schutz bieten – bei anderen Geißeln der Menschheit wie Pocken, Kinderlähmung oder Grippe gelang dies ebenfalls. "Der Weg dahin ist fraglos sehr schwer und das Risiko des Versagens hoch", betonen die beiden Forscher. "Aber die globale Lage ist äußerst verzweifelt, so dass wir jetzt dieser Herausforderung mit größerer Inbrunst als je zuvor begegnen müssen."

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