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News: K.O. ist nicht gleich K.O.

Viele Biologen glauben, daß sogenannte Knockout-Mäuse, denen ein bestimmtes Gen fehlt, zum Verständnis der Funktion eben dieses Genes beitragen können. Auf ähnliche Weise sollen Beobachtungen an Menschen, die für ein bestimmtes Bakterium anfällig sind (die also gewissermaßen ein 'Loch' in ihren Immunsystemen haben) laut Auffassung einiger Wissenschaftler viel darüber sagen, wie ein gesundes Immunsystem das betreffende Bakterium bekämpft. Doch Untersuchungen mit 'Knockout-Menschen' zeigen, daß die Natur nicht so leicht zu durchschauen ist.
An einer solcher spezifischen Immunschwäche leidet beispielsweise jener geringe Prozentsatz der Bevölkerung, der stark anfällig für schwere – mitunter tödlich endende – Infektionen ist, die durch nicht-tuberkulöse Mykobakterien (NTM) ausgelöst werden. NTM sind für die meisten Menschen ziemlich harmlos. Ja, einer dieser Organismen, das sogenannte Bacillus Calmette-Guérin (BCG), wird oft als Impfstoff gegen Tuberkulose genutzt und vermittelt auch Immunität gegen Lepra.

Wie Jean-Laurent Casanova vom Hôpital Necker-Malades in Paris und seine Kollegen jetzt herausgefunden haben, sind für NTM anfällige Patienten in Wahrheit "Knockout-Menschen". Ihr "Immunloch" resultiert offenbar aus Deletionen in dem Gen IFNGR1. IFNGR1 stellt die Anleitung für das Protein des gamma-Interferon-Rezeptor dar, das ein wichtiges Zwischenglied bei der Aktivierung der Killerzellen des Immunsystems ist.

Die Forscher erläutern in Nature Genetics vom April 1999, daß die von ihnen entdeckten IFNGR1-Mutationen das erste Beispiel für eine Anfälligkeit gegenüber einer Infektion durch Mykobakterien darstellt, die von Generation zu Generation dominant weitergegeben wird. Es reicht also aus, wenn eine der beiden ererbten Versionen des Gens mutiert ist, um für die Infektion anfällig zu sein.

Leider wirft dieses Knockout-Experiment mehr Fragen auf, als es beantwortet. Betrachtet man die entscheidende Rolle, die der gamma-Interferon-Rezeptor bei der Reaktion des Immunsystems auf die meisten eindringenden Pathogene spielt, ist nämlich völlig unklar, warum Menschen ohne den Rezeptor nur für so wenige Bakterienarten anfällig sind. Warum sind diese Patienten zum Beispiel gegenüber den Tuberkulose-auslösenden Bakterien genauso resistent wie alle anderen Menschen, reagieren aber besonders sensibel auf NTM, mit denen die meisten von uns fertig werden, ohne es auch nur zu merken?

Diese Fragen treffen genau ins Zentrum der Kontroversen darüber, inwieweit es überhaupt sinnvoll ist, genetische Knockout-Organismen zu studieren. "Bisher wurden nur sehr wenige Gene identifiziert, die einer Resistenz gegen Infektionen zugrunde liegen", kommentiert Simon Foote vom Royal Melbourne Hospital in Victoria. "Die bei Wissenschaftlern ... so heiß begehrten Gene werden wahrscheinlich nicht gefunden werden, indem man jene vereinzelten, extrem anfällige Patienten charakterisiert, sondern vielmehr dadurch, daß man das komplexe Gensystem der resistenten Menschen untersucht."

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