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Anorganische Chemie: Kalkbildung über Haufen geworfen

Kristallgitter
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam kratzen an der etablierten Theorie zur Kristallisation von Kalziumkarbonat, allgemein als Kalk bekannt. Demnach bilden sich auch in Wasser mit wenig gelöstem Kalziumkarbonat stabile Nanocluster bilden, was bislang verneint wurde. Aus diesen winzigen Kalkteilchen entstehen schließlich die Ablagerungen, die irgendwann die Waschmaschine lahm legen oder Sinterterrassen bilden. Die neuen Erkenntnisse können helfen, dem Kalk in der Waschmaschine beizukommen, die Bildung der raffinierten Struktur von Biomineralien zu erklären und verändern die Rolle der Weltmeere als Kohlendioxidspeicher.

Kristall und Kristallgitter | Ein Kristall und sein frühester Vorläufer: In einem stabilen Nanocluster, der hier schematisch und nicht maßstäblich abgebildet ist, schließen sich rund 70 Kalzium- und Karbonat-Ionen zusammen. Die Struktur des Kristalls (rechts) wird wahrscheinlich schon in diesem Cluster vorgeprägt.
Sobald Kalzium- und Karbonationen in einer Lösung aufeinandertreffen, bilden sie stabile Nanocluster aus rund 70 Kalzium- und Karbonationen – und zwar auch in sehr weichem Wasser, einer verdünnten Lösung also, aus der sich normalerweise kein Kalk abscheidet. Steigt die Konzentration des gelösten Kalziumkarbonats, schließen sich die Cluster zusammen, und das Mineral kristallisiert. "In welcher seiner drei wasserfreien Kristallstrukturen Kalziumkarbonat kristallisiert, entscheidet sich anscheinend bereits, wenn sich die Cluster bilden", sagt Helmut Cölfen, der die Arbeiten leitete: "Wir haben zudem beobachtet, dass die Kristallstruktur vom pH-Wert abhängt." Unter schwächer basischen Bedingungen bildet Kalziumkarbonat Kalcit, seine stabilste kristalline Struktur. In stärker basischem Milieu entsteht dagegen Vaterit, eine instabile Form.

Der pH-Wert beeinflusst also, wie sich die Ionen in den zwei Nanometer großen Clustern aneinanderlagern. In diesem Stadium bilden sie zwar noch keine regelmäßige Kristallstrukturen, aber höchstwahrscheinlich ist die Ordnung des Kristalls dann bereits ansatzweise zu erkennen. Wenn die Cluster sich dann zu immer größeren Aggregaten zusammenlagern, kann diese Ordnung erhalten bleiben. So bildet sich zunächst eine amorphe Übergangsform, die sich schließlich in einen Kristall umwandelt.

Läuft die Kristallisation tatsächlich so ab, wäre leichter nachzuvollziehen, wie etwa Muscheln ihre Schalen aufbauen oder ein Seeigel seine Stacheln formt. Da schon die winzigen Cluster, mit denen die Kristallisation startet, stabil sind, bräuchten Lebewesen nur in diesem frühen Stadium einzugreifen, um die Struktur zu beeinflussen. Dazu könnten sie etwa den pH-Wert oder Biomoleküle nutzen. Die bislang geltende Theorie der Kristallisation lässt dagegen kaum Spielraum, in einem frühen Stadium zu beeinflussen, wie sich die Ionen in dem regelmäßigen Kristallgitter anordnen: Hier findet die Zusammenballung zu Clustern erst ab einer bestimmten Konzentration statt. Erreichen diese Cluster nicht eine Mindestgröße, zerfallen sie wieder. Erst wenn sie die Größe des so genannten kritischen Kristallkeims überschreiten, kann dieser Keim zu einem Kristall wachsen.

Der neu vorgeschlagene Mechanismus der Kristallisation hat auch technische Konsequenzen: "Die stabilen Cluster bieten einen neuen Angriffspunkt, um Kalkablagerungen in Wasch- und Spülmaschinen wie in der Industrie zu verhindern", sagt Helmut Cölfen. Dieses Problem verursacht in den Industrieländern jährlich Schäden von rund 50 Milliarden Dollar. Herkömmliche Entkalker fischen Kalziumionen aus dem Wasser, binden die ausgefällten, winzigen Kristalle und verhindern deren Wachstum. Neue Entkalker sollen verhindern, dass sich die Nanocluster zu größeren Strukturen zusammenfinden.

Selbst für den Klimawandel haben die Erkenntnisse Folgen: Die Cluster und nicht nur festes Kalziumkarbonat binden Kohlendioxid als Karbonat. Da sich die nanoskopischen Cluster auch in den Weltmeeren bilden, halten sie dort mehr CO2 aus der Atmosphäre zurück als bislang für das feste Kalziumkarbonat angenommen. Die Ozeane versauern allerdings, weil sich ein erheblicher Teil des Kohlendioxids aus der Atmosphäre als Kohlensäure im Ozean löst. Sinkt der pH-Wert, wird weniger Karbonat in Clustern gebunden, was schließlich weiteres Kohlendioxid freisetzt, das die Erderwärmung antreibt.

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