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Sambor Prei Kuk: Kambodschas vergessene Dschungeltempel

Einst waren sie die Keimzelle der großen Angkor-Kultur, heute sind die Tempel von Sambor Prei Kuk vom Dschungel überwuchert. Doch ein kleiner Trupp von Archäologen jätet gegen das Vergessen.
Von Wurzeln überwachsen
Kompong Thom ist eine verschlafene Kleinstadt und Kambodschareisenden nur deshalb ein Begriff, weil hier die Überlandbusse aus Phnom Penh Stopps für eine Pinkelpause einlegen. Wer will, bekommt noch eine schnelle Mahlzeit, dann geht es weiter auf der Nationalstraße 6 Richtung Siam Reap. Dort lockt die Tempelanlage von Angkor. Was kaum einer der hunderttausend Touristen ahnt: Bloß zwölf Kilometer von der Stadt entfernt schlummert mitten im Dschungel Sambor Prei Kuk.

Ohne Sambor Prei Kuk hätte es Angkor nie gegeben. Hier manifestierte sich zum ersten Mal der Typus des Khmer-Tempels, mit seinen typischen, bis 20 Meter hohen Pyramidendächern. Hier lag der spirituelle und politische Mittelpunkt des mächtigen Königreichs Chenla. Vom 7. bis 9. Jahrhundert erlebte Sambor Prei Kuk – oder Isanapura, wie die Stadt damals hieß – ihre Blütezeit. Dann folgte der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit: Ein paar Jahrhunderte später und paar hundert Kilometer weiter nördlich avancierte Angkor zum Zentrum des Khmerreichs. Nur langsam lüften Archäologen den Schleier der Vergessenheit, der sich seitdem über Sambor Prei Kuk legte.

Von Wurzeln überwachsen | Wie in einem verwunschenen Märchenwald sind die Tempel im Dschungel versteckt – und auch von ihm bewachsen. Würde man die Wurzeln entfernen, geriete womöglich die Statik der Bauwerke in Gefahr.
Einer, der gut Bescheid weiß, ist Bouteng. Der 30 Jahre alte Kambodschaner ist kein Wissenschaftler, sondern ein einfacher Khmer aus einem Dorf in der Nähe. Als Führer durch die Tempelanlage im Wald verdient er sich seinen Lebensunterhalt. In gutem Englisch und mit viel Liebe und Begeisterung erzählt er von "seinen Tempeln", die er seit der Kindheit kennt. Das nötige archäologische Zusatzwissen vermittelte ihm ein Gemeinschaftsprojekt der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit und eines Reiseveranstalters, der in die touristische Erschließung der Anlage investiert.

Frühe Globalisierung am Tonle Sap

Auch Bouteng hofft, dass man wieder Touristen in die Gegend locken könnte. Schließlich sei Sambor Prei Kuk ja einst schon einmal Magnet für Reisende gewesen, sagt der Fremdenführer. Damals, als die Stadt noch Isanapura hieß, kamen chinesische Politiker und Kaufleute auf Besuch. "Die sind mit ihren Schiffen den Mekong hinaufgefahren, dann über den Tonle Sap und einen seiner Nebenflüsse bis hierher. Wo heute das Dorf Chheu Teal ist, haben sie angelegt." Bouteng erzählt die Geschichte einer Globalisierung, die vor mehr als eintausend Jahren stattfand und in der seine Heimat eine bedeutende Rolle spielte.

Der Löwentempel | Der Löwentempel ist nach zwei Löwenstatuen benannt, die den Eingang bewachen. Er war einer der Tempel der Könige von Chenla.
Von den zehn aus Backsteinen gemauerten Tempelkomplexen und hunderten Einzeltempeln Isanapuras sind auch 1200 Jahre später noch eine ganze Reihe erstaunlich gut in Schuss. Nicht nur der Tourismus, auch die Arbeit der Archäologen vor Ort konzentriert sich jedoch auf die drei dem Hindu-Gott Schiwa geweihten Tempelkomplexe in der Mitte der Anlage. Einst war dieses innerste Zentrum nur den Königen zugänglich, die als die Verkörperung des Gottes galten.

Vieles von der Tempelanlage schlummert noch unter einer gut einen halben Meter dicken Erdschicht. "Es gibt noch eine Menge zu entdecken", prophezeit So Sokuntheary. Die Archäologin ist Teil des Sambor Prei Kuk Conservation Project der japanischen Waseda-Universität. "Gerade erst sind wir auf eine dritte Umfassungsmauer gestoßen. Auch waren wohl die Plätze in den Tempelgebieten gepflastert. An einigen Stellen haben wir sogar gleich mehrere Schichten Pflaster freilegen können." Auch Tempelfriese und Statuen könnten noch unter dem Humus von Jahrhunderten ruhen.

Reiz der Dschungeltempel

Ziel des zwölfköpfigen Archäologenteams ist die Konservierung, Dokumentation und Instandhaltung der Tempel. Vor allem Letzteres ist eine Zeit raubende Sisyphusarbeit. "Wir befreien die Tempel von Bäumen und Pflanzen, die auf ihnen und um sie herum wachsen. Das müssen wir alle drei Monate machen. Der Dschungel wächst so schnell nach", seufzt Sokuntheary. Das archäologische Jäten erfordert Fingerspitzengefühl. "Die Wurzeln reichen inzwischen in das Mauerwerk oder unter das Mauerwerk. Würden wir sie entfernen, hätte das Auswirkungen auf die Stabilität der Tempel." Mehr noch: Der Dschungel um die Ruinen mache einen Großteil des Reizes für die Touristen aus. "Wir können sein Wachstum nur kontrollieren, nicht bremsen."

Bouteng – und was man nicht sieht | Hier stand einst eine Linga, die aber in die Hände von Kunsträubern fiel. Lingas sind Phallussymbole, erklärt Bouteng. Sie stehen auf viereckigen Yonis, die das weibliche Element symbolisieren. Bei hinduistischen Ritualen zu Ehren von Schiwa wurde Wasser über die Linga gegossen, das über die Yoni dann zur Erde floss und Segen und Fruchtbarkeit brachte.
Dabei ist es nicht so sehr der Wald, der die Zerstörung anrichtete. In den letzten 40 Jahren haben Menschen den Tempeln mehr Schaden zugefügt, als es der Zahn der Zeit in zehn Jahrhunderten vermochte. Bouteng deutet auf eine tiefe Narbe in einer Außenwand eines der Gebäude. "Das stammt von einer Granate aus dem Bürgerkrieg." Vor wenigen Jahrzehnten stießen hier Truppen der Roten Khmer auf andere kambodschanische Milizen. Die Zeit hat der 30-Jährige noch als Kind erlebt. "Es gab immer wieder Schießereien und Tote." Auf das gemeinsame kulturelle Erbe sei erst recht keine Rücksicht genommen worden.

Aus der Zeit vor Boutengs Geburt stammen die großen, mit Blättern und Büschen bedeckten Löcher im Waldboden. "Das sind Bombenkrater aus der Zeit des Vietnamkriegs. Davon gibt es hier in Sambor Prei Kuk mehr als 300. Hier waren die Vietkong. Deshalb wurde diese Gegend von den Amerikanern besonders heftig bombardiert."

Ausverkauf der Kunstschätze

Harihara im Nationalmuseum von Phnom Penh | Diese Statue des Harihara aus Sambor Prei Kuk war wohl für die Kunsträuber zu groß. Heute steht sie sicher im Nationalmuseum in Phnom Penh. Die Gottheit Harihara stellt eine Vereinigung der Aspekte Wischnus (Hari) und Schiwas (Hara) dar.
Mit dem Krieg einher ging die Plünderung der Tempel durch die diversen Konfliktparteien. Zur Finanzierung ihres Bedarfs an Waffen verhökerten sie die antiken Artefakte auf dem Schwarzmarkt. "In dem Tempeln ist von den typischen 'Lingas' und Statuen kaum etwas übrig", sagt So Sokuntheary. Am Verschwinden der hinduistischen Phallussymbole und der fein gearbeiteten Plastiken seien die Bürgerkriegsparteien jedoch nicht allein schuld. "Auch die Franzosen haben während ihrer Kolonialherrschaft über Kambodscha antike Kunstschätze geraubt. Die sollten sie jetzt zurückgeben." Die wenigen Statuen, die nicht in französischen Museen und privaten Sammlungen gelandet sind, können heute im Nationalmuseum in Phnom Penh bewundert werden.

Eine Ahnung davon, wie das Leben in Sambor Prei Kuk früher ausgesehen haben könnte, vermittelt Virtual Sambor Prei Kuk, ein Gemeinschaftsprojekt des Fachbereichs für Religionswissenschaft am kalifornischen Claremont McKenna College und des Fachbereichs Architektur der University of California in Berkeley. Das "greifbare mit dem nichtgreifbaren kulturellen Erbe verweben" wollen die Forscher laut Untertitel ihres Projekts. Der digitale Wiederaufbau der im Boden verborgenen Überreste des alten Isanapura erwies sich als die einfachere Aufgabe. "Uns standen ja die vielen archäologischen Funde zur Verfügung", schreiben die Wissenschaftler in der Projektdokumentation. "Die Modellierung des nichtgreifbaren Kulturerbes, also das wirkliche Leben der Einwohner, war sehr viel spekulativer."

Blick auf das innerste Zentrum | Ein Team von Wissenschaftlern und Grafikern baute die Tempelanlage in der virtuellen Welt neu auf. Dabei schufen sie sowohl wirklichkeitsgetreue Modelle einiger Gebäude als auch von den ehemaligen Einwohnern bevölkerte Alltagsszenen.
Von einigen Inschriften auf Tempelwänden Isanapuras abgesehen gibt es kaum schriftliche Zeugnisse über das Leben in der alten Khmermetropole. Deshalb wurden zur Gestaltung des digitalen, interaktiven Isanapura auch Quellen aus dem hinduistischen Indien und Nepal herangezogen. Auch kambodschanische Texte aus späteren Jahrhunderten halfen den Forschern dabei, ein möglichst lebensnahes Bild der Tempelriten zu zeichnen.

Bouteng hat von der digitalen Wiederauferstehung seiner geliebten Tempel noch nie etwas gehört. Und selbst wenn, könnte er sie nicht sehen: "Wir haben hier keinen Strom und folglich auch keinen Internetzugang." Die Menschen in den Dörfern sind arm. Sie leben vom Reisanbau, von der Seidenweberei, vom Fischfang – und seit Neuestem auch von der Hoffnung auf den Tourismus.

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