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Kosmologie: Kandidaten für Dunkle Materie entdeckt

Haben Wissenschaftler das Elementarteilchen der schwer fassbaren Dunklen Materie entdeckt? Neue Daten machen Hoffnung, doch die verschiedenen Experimente liefern widersprüchliche Ergebnisse.
Das Kühlgehäuse von CDMS mit drei Detektoren

Drei Datenpunkte, die aus dem Hintergrundrauschen hervorstechen, lassen Forscher hoffen, erstmals Teilchen der Dunklen Materie direkt nachzuweisen. Das Team des Cryogenic Dark Matter Search (CDMS II) Experiment fand die Teilchenspuren bei der Analyse von Daten der sekundären Siliziumdetektoren des Experiments, die eigentlich die Hauptdetektoren aus Germanium nur unterstützen. Der Doktorand Kevin McCarthy vom Massachusetts Institute of Technology stellte den Befund am 13. April auf einer Tagung der American Physical Society vor. Demnach deuten die Daten auf ein Teilchen mit einer Masse von etwa 8,6 Gigaelektronenvolt (GeV), etwa dem Neunfachen der Protonenmasse. Damit wäre es überraschend leicht.

Das CDMS II-Experiment verwendet Scheiben aus Halbleiterkristallen, die auf einige Tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt sind, um so genannte WIMPs (weakly interacting massive Particles) zu detektieren – hypothetische Elementarteilchen der Dunklen Materie. Diese sind dunkel, weil sie praktisch gar nicht mit Licht und normaler Materie wechselwirken. Auf kosmischen Größenskalen jedoch hat ihre Gravitationswirkung entscheidenden Einfluss auf Sterne, Galaxien und die Verteilung der Masse im Universum.

Das Kühlgehäuse von CDMS | Drei Detektoren von CDMS, installiert in ihrer Kryokammer. Die Detektoren befinden sich tief unter der Erde und werden fast bis zum absoluten Nullpunkt gekühlt, um die schwachen Stöße der Dunklen Materie zu messen.

Theoretische Überlegungen legen jedoch nahe, dass die WIMPs gelegentlich mit den Atomkernen normaler Materie zusammenstoßen und ihnen einen Impuls übertragen können. Diese extrem seltenen Ereignisse sollen die Detektoren von CDMS II auffangen und von den ungleich häufigeren Zusammenstößen mit anderen Teilchen, vor allem Gammastrahlen, unterscheiden. Die fraglichen Kollisionen unterscheiden sich vom Hintergrundrauschen, weil die mutmaßliche Dunkle Materie Atomkerne zum Schwingen bringt, während die meisten anderen Interaktionen die Elektronen des Materials betreffen.

CDMS II fing die drei Signale der mutmaßlichen WIMPs bei Messungen zwischen Juli 2007 bis September 2008 auf. In diesem Zeitraum wäre statistisch weniger als ein Ereignis zu erwarten gewesen. Mit einem Modell, das die genauen Werte der übertragenen Energien berücksichtigt, beträgt die Signifikanz etwa drei Sigma, was drei Standardabweichungen über dem von der Nullhypothese vorhergesagten Wert bedeutet.

Noch nicht ausreichend signifikant

Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit von 0,19 Prozent, dass es sich bei den drei Ereignissen um eine statistische Fluktuation handelt. Allerdings reicht das nach Ansicht des Teams noch nicht, um die Dunkle Materie für entdeckt zu erklären – in der Teilchenphysik tut man das erst ab einem Signifikanzniveau von fünf Sigma, das einer Wahrscheinlichkeit von etwa eins zu 3,5 Millionen für ein falschpositives Ergebnis entspricht.

"Drei Sigma sind nicht ausreichend für eine Entdeckung, sondern eher so ein Indiz dafür, dass da etwas sein könnte", sagt auch Uwe Oberlack von der Universität Mainz, Mitbegründer des Konkurrenzexperiments XENON-100 im italienischen Gran Sasso. "Es ist aber auch möglich, dass es sich um einen nicht verstandenen Detektoreffekt handelt." Trotzdem seien die Daten des CDMS-Teams hochspannend, unter anderem, weil sie mit früheren Ergebnissen des CoGeNT Dark Matter Experiments konsistent sind.

Dafür passen die neuen Ergebnisse nicht zu Obergrenzen für die Wechselwirkungswahrscheinlichkeiten solcher Teilchen, die das XENON-100-Team ermittelt hat. Der Grund könne jedoch auch in den Annahmen liegen, die den Berechnungen zu Grunde liegen, so Oberlack: "Es besteht aber die Möglichkeit, dass die galaktische Geschwindigkeitsverteilung der Dunklen Materie anders ist als vermutet. Die kennen wir nicht genau, und wenn die Teilchen schneller sind, übertragen sie auch mehr Energie." Eine andere Geschwindigkeitsverteilung würde zu anderen Raten und Spektren führen, abhängig unter anderem vom Material der Detektoren.

Das Detektormaterial spielt auch bei den aktuellen CDMS-Daten eine Rolle. Kollidiert eines der gesuchten Teilchen mit einem Atomkern, löst es eine charakteristische Gitterschwingung aus. Für WIMPs mit Massen unter etwa 40 GeV ist dieser Prozess bei Siliziumatomen effektiver als bei den Germaniumatomen der Hauptdetektoren – womöglich der Grund, warum nur Erstere das Signal auffingen: Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit ist das Teilchen, so es denn existiert, zwischen etwa sechs und etwa 20 GeV schwer, weit leichter, als Wissenschaftler bei der Konzeption des CDMS II-Experiments vermuteten. Mit den Befunden des XENON-100-Experiments, das mit dem Edelgas Xenon arbeitet, seien die Ergebnisse jedoch in Konflikt, so Oberlack: "Wir sollten solche Teilchen auch in unserem Experiment sehen, wir sehen sie aber nicht."

Allerdings empfiehlt er Geduld, man müsse auf jeden Fall erst einmal weitere Ergebnisse abwarten, bevor man sich ein abschließendes Urteil bildet. Sollte sich das Ergebnis allerdings bestätigen, wäre das eine echte Überraschung: Ein so leichtes WIMP wäre im Rahmen der gängigen Standardmodelle für Dunkle Materie erst einmal recht ungewöhnlich – die meisten auf der Supersymmetrie basierenden Modelle sagen für die Teilchen der Dunklen Materie Massen um 100 GeV voraus. Ein leichtes WIMP könnte denn auch nach Ansicht von CDMS-Wissenschaftlern darauf hindeuten, dass statt eines supersymmetrischen WIMPs ein ganzer "dunkler Sektor" bisher unbekannter Teilchen und Wechselwirkungen existiert. "Es gibt aber durchaus Varianten der Supersymmetrie, in der leichte WIMPs vorkommen", erklärt dagegen Uwe Oberlack, "Die Theoretiker müssen dann eben die Studien solcher Modelle vertiefen."

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