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Mutualismus: Kasernen für den Jugendschutz

Die Fronten sollten klar sein: Milben, die gerne an jungen Wespen saugen, sind bestimmt nicht die Freunde von alten Wespen. Komisch nur, dass die Insekten trotzdem alles dafür tun, dass die Milben sich auf ihnen wohl fühlen. Was macht sie derart selbstlos?
Milbe attackiert Schmarotzerwespe
Die unscheinbare, selbstgenügsam durch die Welt summende Lehmwespe Allodynerus delphinalis lebt in steter Gefahr, vongrößeren Feinden verspeist oder Krankheitserregern dahingerafft zu werden, eigene Beute nicht rechtzeitig zu machen oderkeinen Partner zu finden, um Nachwuchs zu produzieren – Allodynerus ist also überhaupt nichts Besonderes. Sieunterwirft sich einfach dem Lauf der Dinge im Insektenreich: Fressen und gefressen werden, dazwischen ein wenigsichfortpflanzen. Da bleibt kein Platz für kostspielige Freundlichkeiten gegenüber Dritten, wenn sie nicht irgendwannProfit abwerfen.

In diesem Licht scheint Allodynerus allerdings doch etwas Besonderes zu sein – denn einiges an ihr scheint unerklärbaraltruistisch gestaltet, wie Insektenforscher rätselten, nachdem sie sich den Körperbau und die Untermietergesellschaft derWespen genauer angeschaut hatten. Zunächst zu den Untermietern: Auf den Wespen finden sich üblicherweise ganze Kohorten von Milben der Art Ensliniellaparasitica. Ein ziemlicher Lästling der Wespen – ernähren sich die kleinen Spinnentiere doch, indem sie in den Gelegender Wespe die Körpersäfte der Wespenlarven anzapfen und schlürfen.

Sie beginnen damit, nachdem eine befruchtete Wespe ihre Kinderstube eröffnet hat: Wie viele Solitärwespen legt die Lehmwespe ihre Eier in Brutkammern, für die sie Löcher in abgestorbenem Holz belegt. Dazu kommt – als erste Wegzehrung der bald schlüpfendenJungwespe – noch ein erbeuteter Kleinschmetterling. Dann wird letztere mit Speichel und Erde verschlossen, bisdie Wespenlarven sich zu Erwachsenen entwickelt haben und die Brutkammer verlassen. Stets mit dabei sind aber auch die Ensliniella-Milben: Bevor die Brutkammer geschlossen ist, entern die spinnenbeinigen Jungtiere sie flink.

Acarinaria von Allodynerus delphinalis | Acarinaria eines Weibchens von Allodynerus delphinalis: In diesem Hautpanzer-Unterschlupf fühlen sich Jugendstadien – die Deuteronymphen – der Milbe Ensliniella parasitica wohl und geschützt. Die Milbenherbergen der Hautflügler liegen beidseitig an Scutellum, Propodeum und dem zweiten metasomalen Tergit.
Auch wenn keine junge Milbe eine Wespe tötet, an der sie saugt, Dank sollten die Sauger nicht von ihremWespenwirt erwarten dürfen. Und genau deswegen ist unerklärlich – und damit zum altruistischen Körperbau derAllodynerus-Wespen – warum die Wespen so genannte Acarinaria ausbilden. Diese auch bei andern Wespen vorkommendenOrgane sind perfekte, eigens von den Insekten für die Milben im Laufe der Evolution geschaffene Unterschlupfmöglichkeiten aufdem Hautpanzer von Insekten.

Bislang hatten Forscher angenommen, sie seien dafür da, einigen gutartigen Milben den Verbleib auf dem Insekt zu erleichtern,damit andere, eher bösartige Milben den Lebensraum Hautflügler schon besetzt vorfinden. In den Acarinaria vonAllodynerus leben aber nun ausgerechnet die saugenden Lästlinge des Insekts. Wieso bieten die Wespen den Milben einenderartig guten Unterschlupf?

Die Antwort, so erklären nun japanische Forscher, heißt Melittobia acasta und ist ebenfalls eine Wespe – eineparasitische. Der Kosmopolit attackiert weltweit unterschiedliche Hautflüglergelege. Entdeckt ein befruchtetes Weibchen etwaeine Brutkammer von Allodynerus, so legt es seine eigenen Eier auf die darin befindlichen Puppen. Schlüpft derSchmarotzer, so saugt er schließlich den Wirt aus und tötet ihn. Womit er nicht nur die Zukunft der Wespen, sondern auch jeneder darauf herumfliegenden Milben gefährdet, dachten sich Kimiko Okabe and Shun’ichi Makino vom Forestry and Forest ProductsResearch Institute im japanischen Tsukuba.

Milben attackieren Schmarotzerwespe | Mehrere Milben attackieren eine Schmarotzerwespe. Sie ritzen dabei bevorzugt die Intersegmentalhäute mit ihren Chelizeren – und befördern damit zu mehreren oft auch die Wespe ins Jenseits.Der Hautflügler wehrt sich indes mit Bissen in den Rücken der Milben.
Sie testeten daher in kleinen Plexiglas-Arenen, wie die Milben auf die Ermordung ihrer Nahrungsquelle, denAllodynerus-Jungwespen, reagieren: Zwischen drei und zehn Milben setzten sie zusammen mit einer Melittobiaacasta – und schalteten eine Kamera ein. Tatsächlich sorgt ein zufälliger Kontakt zwischen Wespenparasitoid und Milbe fürhektische Aktivität: Massenhaft beißen die Milben sich in die Gelenkhäute der Insekten, diese wiederum attackieren dieSpinnentierchen mit gewaltätigen Bissen in den Hinterleib – ein Gemetzel auf Leben und Tod. Je mehr Milben die Forscher aufdie Parasitoiden losließen, desto geringer waren die Überlebenschancen von Melittobia.

Offensichtlich dulden Allodynerus-Wespen also ihre Milben – und, mehr noch, bieten ihnen eigens perfektionierteAcarinaria-Unterschlüpfe, weil die Spinnentiere das Wespengelege gegen wirklich tödliche Feinde wie die Melittobia-Parasitoiden verteidigen. So wird aus der Lebensgemeinschaft am Ende also ein gegenseitiges Geben und Nehmen mit großenVorteilen für beide Seiten. Beim Geben halten sich dann auch beide alles andere als zurück: Die Wespen geben den Körpersaftihrer Jüngsten – die Milben ihr eigenes Leben, wenn es denn sein muss.

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  • Quellen
Okabe, K., Makino, S.: Parasitic mites as part-time bodyguards of a host wasp. In: Proceedings of the Royal Society B, 10.1098/rspb.2008.0586, 2008.

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