Sportphysiologie: Katerstimmung im Sportlerbein
Sport ist gesund, heißt es. Doch warum fühlt er sich oft nicht so
an? Ob ein schlechtes Gewissen uns antreibt, die Laufschuhe zu
schnüren, ob der erste Schneefall uns auf die Piste lockt: Am nächsten Morgen fällt das Aufstehen schwer. Die Muskeln schmerzen, wir haben einen "Muskelkater" - und der kann bis zu eine Woche anhalten.
Als Verursacher des Muskelkaters galt lange Zeit die Milchsäure. Sie entsteht bei
so genannter anaerober Belastung, wenn also zu wenig Sauerstoff
für die Energiegewinnung zur Verfügung steht. Dann setzen Muskelzellen
den Einfachzucker Glukose über mehrere Stufen in das Zwischenprodukt
Milchsäure um und gewinnen so den Energieträger
ATP (Adenosintriphosphat).
Schon seit den 1980er Jahren gilt diese Hypothese jedoch als überholt. Denn Milchsäure entsteht bei Untrainierten wie bei Geübten. Letztere bleiben aber meist vom Kater verschont. Ein weiteres Argument gegen den vermeintlichen Übeltäter: Besonders viel Säure bildet sich bei schnellen Bewegungen, die über einen kurzen Zeitraum viel Energie erfordern – etwa beim 400-Meter-Lauf. Doch Sprinter leiden kaum unter Muskelkater.
Der Berliner Sportmediziner Dieter Böning hat zwei Muskelkatertypen definiert: Der häufigere Typ 1 entsteht durch mechanische Überlastung, den Typ 2 verursacht eine Überforderung des Muskelstoffwechsels. Einen Abstieg wird ein Bergwanderer noch eine Weile in den Gliedern spüren, während der anstrengendere Aufstieg oftmals folgenlos bleibt. Ein klassisches Experiment zu diesem Typ-1-Muskelkater stammt aus Skandinavien. Im Jahr 1956 ließ der dänische Sportphysiologe Erling Asmussen Probanden einen Stuhl bis zur Erschöpfung hinauf- und hinabsteigen – mit dem einen Bein hoch, mit dem anderen wieder hinunter. Das Ergebnis: Zwar ermüdete das "Bergbein" schneller, unter Muskelkater litt aber das andere.
Muss das Gewicht nach oben gehievt werden, aktiviert unser Nervensystem nämlich viele Muskelfasern, die sich die Arbeit teilen, beim Absteigen hingegen kommen sehr viel weniger zum Einsatz, um den quasi nach unten fallenden Körper aufzufangen. Zudem erfährt der Muskel bei der Abwärtsbewegung eine Dehnung, der er durch Kontraktion entgegenwirken muss, um zu bremsen. Mikroskopisch feine Verletzungen sind die Folge der Überlastung.
Trainierte Bergsteiger leiden darunter allerdings deutlich weniger,
denn ihr Körper hat gelernt, auch in der kritischen zweiten Bewegungsphase
mehr Muskelfasern zu aktivieren. Je detaillierter wir diese betrachten, desto deutlicher wird ein
komplexer hierarchischer Aufbau. Die unterste Ebene bilden dabei
Eiweißfäden aus den Proteinen Aktin und Myosin, die für die Kontraktion
benötigt werden, sowie Titin, das die Muskeleinheiten wie
ein Gummiband zusammenhält. Diese Fäden, fachlich als Filamente
bezeichnet, sind die Arbeitstiere eines Muskels. Sie bilden als
nächsthöhere Organisationseinheit ein "Sarkomer" (von griechisch
sarkós für Fleisch und -mer für Teil). Hunderte davon hintereinander
geschaltet ergeben eine "Fibrille", diese wiederum bauen, parallel
arbeitend, eine Muskelfaser auf.
Begrenzt wird ein Sarkomer durch die Z-Scheiben, in denen die Aktinfilamente verankert sind. Mit dem Elektronenmikroskop lässt sich zeigen, dass diese Strukturelemente nach ungewohnter oder übermäßiger Belastung bei zwanzig bis dreißig Prozent der Muskelfasern beschädigt sind.
Doch den Muskelkater rufen solche Mikroschäden nicht direkt hervor, denn obwohl sie unmittelbar nach der Kontraktion auftreten, meldet sich der Schmerz erst später. Vermutlich wird er durch einen höheren Druck im Gewebe ausgelöst, Folge von verstärktem Eiweißabbau und Schwellungen. Beeinträchtigen Letztere zudem die Durchblutung, kann das den Kater verstärken.
Auch die beschädigten Z-Scheiben sind nur ein Teil der Wahrheit. Muskelbiopsien nach Marathonläufen zeigen nämlich: größtenteils intakte Z-Scheiben, hingegen zerstörte Filamente, Zellmembranen und funktionelle Zellbestandteile wie die Energie liefernden Mitochondrien oder das sarkoplasmatische Retikulum, ein Kalzium-Speicher in den Muskelzellen. Eine erhöhte Zahl von Leukozyten und Erythrozyten, also weißen und roten Blutkörperchen, ließ auf Entzündungsprozesse schließen. Die Ursachen dieser Phänomene sind bislang nicht geklärt.
Die gute Nachricht zum Schluss: Egal woher Mikroschäden und damit der Schmerz rühren, der Muskel regeneriert sich am Ende wieder. Und auch wenn bislang kein Kraut gegen den Kater gewachsen ist: Lindern können Sie ihn etwa durch warme Bäder oder Saunabesuche, Einreiben mit durchblutungsfördernden Mitteln wie Franzbranntwein oder sanfte Bewegung.
Wussten Sie schon?
Der Begriff "Muskelkater" entstand vermutlich – ähnlich
wie auch der "Kater" nach übermäßigem Alkoholkonsum – durch
eine Verballhornung des Wortes "Katarrh" (von griechisch
katarrhein, herunterfließen), das eigentlich eine Entzündung
der Schleimhäute mit Flüssigkeitsabsonderung bezeichnet.
Wer vor dem Sport die Durchblutung und damit die Funktionsfähigkeit
des Muskels nicht durch ein kurzes Aufwärmtraining
steigert oder wer es mit dem sportlichen Eifer schlicht
übertreibt, muss mit Verletzungen rechnen. Insbesondere Ballsportarten
mit ihren abrupten Beschleunigungs- und Abbremsphasen
sind risikoreich – die Muskeln müssen durch extrem
schnelle Kontraktion Belastungsspitzen auffangen. Wird das
Gewebe überdehnt, kann eine Zerrung erfolgen. Zwar ist die
Struktur des Muskels noch intakt, doch er steht unter zu hoher
Spannung. Für einen längeren Zeitraum heißt es nun Pausieren,
Kühlen, Bandagieren und Hochlagern. Bei noch stärkerer Belastung
oder Belastung eines bereits vorgeschädigten Muskels
können einzelne Fasern, Bündel oder gar der ganze Muskel
reißen. Blutung und Blutergüsse im Gewebe gehen damit einher.
Ein ausgeprägter Muskelfaserriss lässt sich von außen als "Delle" erkennen.
Sauerkirschsaft soll gegen Muskelkater helfen – das ergab
zumindest eine kleine amerikanische Studie aus dem Jahr 2006.
Die Wissenschaftler verabreichten einem Teil ihrer Probanden
drei Tage vor und vier Tage nach dem Training zweimal täglich je
0,34 Liter mit Apfelsaft verdünnten Kirschsaft. Siehe da, die
Probanden klagten über weniger Schmerzen als ihre Mitstreiter,
die lediglich ein mit Farbstoffen versetztes Placebogetränk genossen
hatten. Außerdem sank die Leistungsfähigkeit der Muskeln
bei den Kirschsaftkonsumenten nach dem Sport nur um
rund vier Prozent, während die Teilnehmer der Kontrollgruppe
rund 22 Prozent Einbußen verzeichnen mussten. Den Effekt führten
die Wissenschaftler auf Antioxidantien und entzündungshemmende
Stoffe im Kirschsaft zurück.
Dehnen fördert die Beweglichkeit, schützt aber nicht vor
Muskelkater, wie australische Wissenschaftler 2002 ermitteltten.
Schlimmer noch: Entstanden beim Training Mikroverletzungen,
können sich diese durch Dehnübungen noch verstärken.
Und als wären das nicht schon genug schlechte Nachrichten:
Sind die Muskeln vor dem Sport noch kalt, also noch wenig
durchblutet, kann Stretching selbst Verletzungen hervorrufen.
Wie so oft lautet die Devise: Auf die Dosis kommt es an.
Schon seit den 1980er Jahren gilt diese Hypothese jedoch als überholt. Denn Milchsäure entsteht bei Untrainierten wie bei Geübten. Letztere bleiben aber meist vom Kater verschont. Ein weiteres Argument gegen den vermeintlichen Übeltäter: Besonders viel Säure bildet sich bei schnellen Bewegungen, die über einen kurzen Zeitraum viel Energie erfordern – etwa beim 400-Meter-Lauf. Doch Sprinter leiden kaum unter Muskelkater.
Der Berliner Sportmediziner Dieter Böning hat zwei Muskelkatertypen definiert: Der häufigere Typ 1 entsteht durch mechanische Überlastung, den Typ 2 verursacht eine Überforderung des Muskelstoffwechsels. Einen Abstieg wird ein Bergwanderer noch eine Weile in den Gliedern spüren, während der anstrengendere Aufstieg oftmals folgenlos bleibt. Ein klassisches Experiment zu diesem Typ-1-Muskelkater stammt aus Skandinavien. Im Jahr 1956 ließ der dänische Sportphysiologe Erling Asmussen Probanden einen Stuhl bis zur Erschöpfung hinauf- und hinabsteigen – mit dem einen Bein hoch, mit dem anderen wieder hinunter. Das Ergebnis: Zwar ermüdete das "Bergbein" schneller, unter Muskelkater litt aber das andere.
Muss das Gewicht nach oben gehievt werden, aktiviert unser Nervensystem nämlich viele Muskelfasern, die sich die Arbeit teilen, beim Absteigen hingegen kommen sehr viel weniger zum Einsatz, um den quasi nach unten fallenden Körper aufzufangen. Zudem erfährt der Muskel bei der Abwärtsbewegung eine Dehnung, der er durch Kontraktion entgegenwirken muss, um zu bremsen. Mikroskopisch feine Verletzungen sind die Folge der Überlastung.
Begrenzt wird ein Sarkomer durch die Z-Scheiben, in denen die Aktinfilamente verankert sind. Mit dem Elektronenmikroskop lässt sich zeigen, dass diese Strukturelemente nach ungewohnter oder übermäßiger Belastung bei zwanzig bis dreißig Prozent der Muskelfasern beschädigt sind.
Doch den Muskelkater rufen solche Mikroschäden nicht direkt hervor, denn obwohl sie unmittelbar nach der Kontraktion auftreten, meldet sich der Schmerz erst später. Vermutlich wird er durch einen höheren Druck im Gewebe ausgelöst, Folge von verstärktem Eiweißabbau und Schwellungen. Beeinträchtigen Letztere zudem die Durchblutung, kann das den Kater verstärken.
Auch die beschädigten Z-Scheiben sind nur ein Teil der Wahrheit. Muskelbiopsien nach Marathonläufen zeigen nämlich: größtenteils intakte Z-Scheiben, hingegen zerstörte Filamente, Zellmembranen und funktionelle Zellbestandteile wie die Energie liefernden Mitochondrien oder das sarkoplasmatische Retikulum, ein Kalzium-Speicher in den Muskelzellen. Eine erhöhte Zahl von Leukozyten und Erythrozyten, also weißen und roten Blutkörperchen, ließ auf Entzündungsprozesse schließen. Die Ursachen dieser Phänomene sind bislang nicht geklärt.
Die gute Nachricht zum Schluss: Egal woher Mikroschäden und damit der Schmerz rühren, der Muskel regeneriert sich am Ende wieder. Und auch wenn bislang kein Kraut gegen den Kater gewachsen ist: Lindern können Sie ihn etwa durch warme Bäder oder Saunabesuche, Einreiben mit durchblutungsfördernden Mitteln wie Franzbranntwein oder sanfte Bewegung.
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